16

240 11 4
                                    

Immer wieder tippte ich mit dem Zeigefinger seitlich auf die Cappuccinotasse während mir der warme Duft entgegen strömte. Schon so lange war ich in keinem Café mehr gewesen. Ich wusste selber nicht wieso ich so lange nicht mal aus war. All die Jahre war ich für meine Familie da und dachte überhaupt nicht daran mal etwas für mich zu tun. Einfach nur gemütlich auf einem der Lederstuhl in einem warmen Café zu sitzen und mal abzuschalten. 

"Entschuldige" riss mich eine Stimme aus meinen Gedanken. Ich nahm wieder meine Umgebung wahr und all die Menschen, die in dieser waren. Ich sah mich einmal um und beobachtete die Menschen bevor ich mich wieder der Realität widmete. "Ich würde dich jetzt gerne fragen wie es dir geht, aber das kann ich mir wohl selbst denken" sanft nahm Joachim den Blick von mir ab und sah in seinen Kaffee. Ja, diese Frage könnte er sich wohldeutlich sparen. Einmal tief atmete ich ein und sah von meiner Tasse auf, zu meinem Ex. "Also, was hast du?" fragend sah ich ihn an. Verdutzt sah er mich jedoch an. "Was genau meinst du?". "An Informationen" fügte ich hinzu und sah ihn starr an. Ich war müde und ausgelaugt. So viel hatte ich in den letzten Tagen nicht geredet und das Sprechen ermüdete mich. Joachim sah an mir vorbei durch das große Fenster, welches neben uns war. Man sah die verschiedensten Menschen vorbeilaufen. Stumm beobachtete Joachim diese Menschen. Ein wenig genervt sah ich ihn nun an. Doch als ich ihn genauer ansah bemerkte ich, dass er gar nicht die Menschen draußen beobachtete. Er beobachtete sie nicht und versuchte so auch gar nicht Zeit zu schinden. Stattdessen dachte er nach. "Joachim" versuchte ich ihn dazu zu bringen, dass er seine Gedanken mit mir teilte. Einen kurzen Augenblick verblieb er noch so in dieser Position bevor seine Aufmerksamkeit wieder auf mir lag. Sein Blick fiel auf mich und als seine blauen Augen mich ansahen, schlug mein Herz einen Augenblick nicht mehr. Es war so als würde dich dein Lehrer beim Spicken in der Klassenarbeit erwischen, so war es für mich. So als hätte ich etwas falsch gemacht. Ich wusste nicht was ich denken oder sagen sollte. Sein Blick blieb starr und durchbohrte mich schon förmlich. Was hatte das zu bedeuten?

Doch dann langsam öffneten sich seine Lippen und er sprach. "Anastasia war bei mir. Ein Mal, zwei Mal und dann immer öfters". Meinen Körper durchfuhr ein Stromschlag. Joachim's Mimik veränderte sich jedoch überhaupt nicht. Ich wusste, dass sie bei Joachim war. Ein paar Male war sie wahrscheinlich bei ihm, dachte ich mir. Doch dass sie öfters bei ihm war als ich mir ausgemalt hatte, schockierte mich zutiefst. Ich wollte nicht mehr in sein Gesicht sehen, ich wollte es nicht mehr sehen. Doch ich konnte nicht. "Versteh mich nicht falsch, ich habe sie nicht aufgesucht oder sie gezwungen. Sie fand und kam ganz allein zu mir. Ich versuchte sie sogar davon zu überzeugen mit dir darüber zu reden, doch-" erklärte Joachim mir, jedoch unterbrach ich ihn sofort. "-sie war zu stur!" patzte ich ihn an mit einem scharfen Ton. Joachim hatte sich schon ausgemalt, dass ich ihm die Schuld geben würde. Das tat ich schon immer so. Ich schob die Schuld sofort auf jemand anders und begriff erst später. Joachim seufzte innerlich. Wenn ich sauer war, dann konnte man nicht mehr mit mir reden. Ich war verdammt stur und das wurde mir oft zum Verhängnis. "Ich erzähle dir nur was bei mir passiert ist" sagte Joachim. Langsam atmete ich durch und versuchte meinen Zorn abzuschalten. Ich biss mir auf meine Unterlippe, ich konzentrierte mich. Kurz schloss ich meine Augen und nickte, sodass er fortfahren konnte. 

Noch einmal sah Joachim mich an bevor er fortfuhr. "Am Anfang dachte ich, dass sie schüchtern sein würde. Das war ja eigentlich selbstverständlich, sie kannte mich ja kaum. Doch das war sie nicht. Sie redete mit mir über alles mögliche, so als hätte ich all die Jahre miterlebt. Sie sagte mir, dass du etwas dagegen hättest, dass sie nach mir suchen würde und das kann ich nachvollziehen, Emily" fügte Joachim die restlichen Wörter hinzu. "Doch-" erneut setzte er zum Reden an. "Ich bin nicht der Böse, Emily. Ich bin auf deiner Seite und ich möchte genauso wie du auch unsere Tochter finden". Bei dem Wort unsere zuckte meine Augenbraue minimal auf. Was bildete sich dieser Mann eigentlich ein? Die ganze Trauer von vorher war vollkommen verschwunden. "Du hast echt Nerven". Joachim, der an seinem Kaffee nippte, hielt inne. "Du tauchst hier auf, um mit mir nach Anhaltspunkten für das Verschwinden meiner Tochter zu reden und stattdessen verteidigst du deine Position. Sag mal hast du sie noch alle? Dabei nimmst du dir das Recht raus Anastasia als deine, nein tut mir leid, als unsere Tochter zu betiteln? Es tut mir leid dich darauf immer wieder hinzuweisen, doch du bist und warst nie ihr Vater." knurrte ich ihn am Schluss drohend an. Mein Blut kochte in meinen Venen und ich hatte das ungeheuerliche Bedürfnis irgendetwas gegen die Wand zu werfen. "Egal wie oft du mir das noch vorwirfst, ändert das nicht daran, dass ich nicht ihr Vater bin. Ich bin ihr Vater und zwar ihr leiblicher Vater. Ich habe genauso ein Recht auf sie wie du. Und im Gegensatz zu deiner Position musste ich sechzehn Jahre ohne meine Tochter leben ohne zu wissen wie es ihr geht oder wie sie heranwächst. Denkst du wirklich, Emily, dass ich mir nie vorgestellt hatte auf deine Regel oder Drohung, die du mir damals gegen den Kopf geworfen hast, zu scheissen und stattdessen meine Tochter eigenhändig suchen zu gehen? Glaube mir, wenn ich dich damals nicht so abgöttisch geliebt hätte, wäre ich schon längst auf der Suche gewesen, um sie zu suchen". Joachim beugte sich ein wenig auf den Tisch und durchbohrte mich mit seinem Blick und seinen Worten. Mit einem Ruck schnappte ich nach Luft und stand auf. Dabei knarzte der Stuhl laut auf und die ganzen Menschen, welche im Café saßen, sahen zu uns. Ich blendete jedoch alles und jeden aus. Joachim's Worte schockierten mich zu tiefst. Meine Hand zuckte minimal, doch stattdessen sah ich in sein Gesicht. Ich unterdrückte das starke Bedürfnis ihm eine runter zu hauen. "Glaub du mir eins Joachim. Wärst du damals vor meiner Tür aufgetaucht, hätte dir nicht nur ein Kontaktverbot geblüht sondern weitaus schlimmeres. Du wirst mich nicht erpressen oder mich unter Druck setzten oder sogar verunsichern, denn du wirst mich nicht so leicht klein kriegen, das sage ich dir" hauchte ich ihm zu. Ich habe die schlimmste Zeit nach unserer Beziehung hinter mir gehabt und dies hatte ich überlebt. "Ich möchte nichts dergleichen. Ich möchte dir nur klar machen, dass es hier auch um meine Tochter geht und es ebenso mein Fleisch und Blut ist und ich ebenso um sie kämpfen werde wie du. Du kannst mich nicht mehr als nicht existent abstempeln, denn unsere Tochter möchte auch, dass ich in ihrer Nähe bin, nicht nur du".


Her pale fire | Band 3Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt