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Nie hätte ich gedacht, dass ich nach all den Jahren wieder hier stehen würde, vor seinem Haus. Um ehrlich zu sein machte es mir ein unheimlich große Angst wieder hier zustehen. Ein mulmiges Gefühl verfolgte mich nach wie vor, denn seitdem ich losgefahren war, war es da. Ich kann es auch nicht beschreiben. Ich habe Angst, dass mir all das zu viel wird und ich keine Luft mehr bekomme, Panik schiebe. Doch ich war es Anastasia schuldig mich mit ihm auszusprechen, vielleicht würden wir somit zu einem Punkt kommen, nicht so wie der letzte Versuch.
Vor meinem inneren Auge sah ich wie ich damals vor vielen Jahren diesen Weg entlang geschritten bin, um zu ihm zu gelangen. Ich sah mich selber wie ich an mir vorbeilief und auf die Haustüre zu lief. Ich wusste noch ganz genau wie ich mich gefühlt hatte, denn an diesem Tag war ich endgültig fertig mit den Klassenarbeiten gewesen, es standen nur noch die Abschlussprüfungen an. Während mein früheres Ich geklingelt hatte fiel mir wieder ein, dass ich zu diesem Zeitpunkt schwanger war. Ich strich mir reflexhaft über meinen Bauch, so wie ich es früher immer getan hatte. Als dann die Tür aufging und ich Joachim vor mir sah, war es so als würde mir jemand in dieser Sekunde die Kehle zuschnüren. Ich bekam keine Luft mehr, ich hatte vergessen wie man atmet, ich hatte vergessen wie man Luft holt. Mein Herz schlug so unfassbar schnell, dass ich mich zusammenreißen musste. Schon so lange hatte ich diese Erinnerungen verdrängt und nun sah ich ihn vor meinem inneren Auge wie er mich anlächelt und ich sein Lächeln erwiderte. Zu diesem Zeitpunkt war alles noch perfekt.

Ich war ahnungslos.

Mein zwanzigjähriges Ich trat ein und somit verschwand auch die Erinnerung. Hastig sah ich mich um. Ich bildete mir schon ein, dass jeder diese Szene gesehen hatte, doch sie existierte nur in meinem Kopf.
Es war verrückt.

"Ich kann das nicht" hauchte ich mir selbst zu mit zittriger Stimme. Ich merkte erst jetzt wie ich mich an meinen Riemen der Tasche geklammert hatte. "Ich kann das nicht" wiederholte ich und ging einen Schritt nach hinten. Mich meiner Vergangenheit zu stellen erforderte doch mehr Kraft als ich gedacht hatte. Ich bildete mir ein, dass es schon gehen würde. Ich würde einfach nicht daran denken, einfach in seine Wohnung spazieren, die genauso wie immer ausgesehen hat, mich an seinen Tisch setzten, an dem wir nachts einen Glassplitter aus meinem Fuß gezogen hatten, er würde mir einen Tee eingießen, so wie er es immer gemacht hatte als ich fror, wir würden uns gegenüber sitzen, und lachen, er würde mich nach meinem Befinden fragen und ich würde sagen, dass es mir gut ginge, Lüge.

Wieso ist das alles nur so verdammt schwer? Ich wusste nicht mal wie lange ich hier schon stand, er würde schon längst auf mich warten, doch ich blendete dies komplett aus. Wieder kämpfte ich gegen mich selbst. Was ist wenn wir uns nur anschweigen würden? Würde ich es unterbrechen können? Von außen wirkte ich schon immer stark und sorglos, doch wie es tief in mir aussah war es das komplette Gegenteil. Wie sehr würde ich ihn vergessen wollen, all das was wir hatten und umziehen. Ja, wenn Anastasia wieder da war würde ich umziehen mit ihr und Matt. Ich ertrug es nicht mehr hier zu leben.

Dann auf einmal klingelte mein Handy, ich nahm es in die Hand und erkannte seine Nummer. Zögernd nahm ich ab, sagte jedoch nichts. Ich wusste nicht was ich ihm sagen sollte. Doch Joachim übernahm schon den Faden des Gesprächs. "Hast du's dir anders überlegt?". Seine Stimme war weder vorwurfsvoll, noch genervt. Ich wäre genervt, wenn ich mich mit jemanden verabredete und dieser nicht erscheint. Er wollte meine Antwort hören, doch ich wusste nicht was ich wollte. Zu einem wollte ich mich mit ihm unterhalten über Anastasia, zum Anderen würde ich soweit ich kann wegrennen. Doch ich war es meiner Tochter schuldig, ich würde sie nicht im Stich lassen. "Nein" sagte ich dann schließlich und versuchte fest entschlossen zu klingen. Ich könnte schwören, dass ich ein Schmunzeln durch das Telefon gehört habe, doch ich sah konzentriert auf den grünen Busch, der schon so lange eingepflanzt neben seiner Haustüre stand, er war schon vor mir hier gewesen. Seine grüne Farbe beruhigte mich ein wenig. "Ist dir auch nicht kalt in der dünnen Jacke?".

So als würde mich ein Blitzschlag treffen stellten sich all meine Nackenhaare auf. Er wusste, dass ich seit einer Stunde vor seinem Haus stand?! Ich würde wütend und verunsichert zugleich. In diesem Moment hätte ich umdrehen sollen, einfach gehen. Doch dann hörte ich ein sanftes Lachen an meinem Ohr. "Es ist deine Entscheidung, Emily. Ich zwinge dich zu nichts, wenn du möchtest können wir auch wo anders hin zum Reden oder.. du machst wieder kehrt und gehst. Das wäre völlig okay für mich, wirklich".
Wieso war er immer so verständnisvoll? Das machte much unfassbar wütend.

Ich schloss meine Augen und biss mir auf meine Zähne. Wenn Matt wüsste was ich hier wieder mache..

Dann öffnete ich meine Augen wieder und fixierte wieder den Busch. "Nein, ich komme".

Als ich auf die Fußmatte stieg bemerkte ich, dass sie immer noch die gleiche war wie damals. Herzlich Willkommen verzierte den Teppich.
Doch bevor ich weiterdenken konnte öffnete er schon die Tür und nun stand er dicht vor mir. Ich sah hinauf und blickte sofort in seine blaue Augen. Mein Herz setzte einen Moment aus, da ich mich erschrocken hatte. Dass er plötzlich vor mir stand und dass er mich ansah, so direkt. So nah war ich ihm schon so unfassbar lange nicht mehr gewesen und das ist beängstigend in einer Hinsicht, mehr wusste ich aber auch nicht. "Schön, dass du dich doch dazu entschlossen hast" er lächelte mich an und mein Herz setzte erneut aus. Er redete mit mir so als wäre unsere Vergangenheit nur eine Annahme, als wäre sie nie passiert. Wie kann er so tun als wäre nichts? "Komm bitte rein, es ist kalt draußen" er trat zur Seite und ließ mich eintreten. Innerlich zögerte ich, doch ich ließ mir das nicht anmerken. Ich trat ein mit einem großen Schritt. "Aber du magst ja die Kälte" wieder hörte ich ein Lächeln in seiner Stimme. Bei jedem Satz, bei jedem Wort, bei jeder Mimik erschrak ich erneut und mein Herz stoppte.
Es fühlte sich so an als hätte ich Glasscherben gegessen.

Ich ignorierte jedoch seine Aussage und zog meine Schuhe aus. Als ich wieder hinauf sah merkte ich, dass alles wie immer war. Wollte er nicht etwas ändern lassen seitdem wir Jahre hier in dieser Wohnung verbracht haben? Ich könnte dies nicht. Der selbe Teppich, die selbe Garderobe, die selben Schuhe, Jacken, der selbe Spiegel, der selbe Duft..

"Komm" hauchte er mir fast ins Ohr als er an mir vorbei schritt und den Gang entlang lief. In diesem Moment dachte ich daran wie er unterrichtet hat. Diese gleiche Tonlage hatte er immer drauf, wenn er den Schülern einzeln bei Schwierigkeiten half. Dies habe ich noch nie bei einem Lehrer gesehen, er war der erste der die Ruhe selbst war und in solch einer beruhigenden Tonlage half. Diese Einfühlsamkeit, die er immer bei sich hatte ließ mich erschaudern. Ich kann das nicht. Wieder kamen mir Zweifel, doch ich schob sie zur Seite.

Ich folgte ihm in die Wohnung und schluckte einmal heftig. Alles, einfach alles, sah genauso aus wie am letzten Tag als ich von ihm ging. Wenn ich ehrlich war fand ich es beängstigend, komisch.

"Möchtest du Wasser? Tee?". "Tee" sagte ich ohne ihn anzusehen. Ich sah mich unauffällig in seiner Wohnung um. Eine Kleinigkeit, eine Winzigkeit musste doch anders sein und da, ich sah etwas. Auf seinem Sofa lag eine Decke zusammengefaltet, eine Decke die ich nicht kannte. Ob sie vielleicht von seiner Freundin war? Ein Weihnachtsgeschenk? Ein Geburtstagsgeschenk? Vielleicht gehörte sie auch ihr nur, wer weiß das schon? "Emily" sagte er dann meinen Namen und ich ertappte mich dabei, dass ich seine Wohnung doch etwas zu genau unter die Lupe nahm als ich es eigentlich wollte. Peinlich. Innerlich schlug ich meinen Kopf gegen die Wand vor Dämlichkeit.
Ich drehte meinen Kopf zu ihm. "Ich weiß, einiges sieht genauso aus wie damals" fing er an zu reden und sah sich in seinem Wohnzimmer um. "Unverändert" patzte es fast komplett laut aus mir heraus, jedoch war es zu laut gewesen und Joachim hatte es gehört. Dann fing er an zu lachen. Sofort sah ich ihn wieder an, wieso lachte er? "Das stimmt, ich mag keine räumlichen Veränderungen" gestand er und goss mir den Tee ein.

"Bitte, setz dich" sagte er und zeigte zum Glastisch. Ich setzte mich und er reichte mir den Tee.

Her pale fire | Band 3Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt