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Ich stand in der Küche mit meiner Tasse in der Hand während ich aus dem Fenster sah. Ich konzentrierte mich auf einen Punkt und dachte nach. Ich hatte mir einen Pfefferminztee gemacht, der mich beruhigen sollte. Joachim's Worte hatten mich aufgewühlt und ich meine nicht nur ein bisschen, sondern sehr. Ich war so unfassbar sauer, wütend, emotional aufgewühlt und fühlte mich einfach angegriffen. Ich war wütend auf ihn, doch umso wütender war ich auf mich selber. Denn er hatte Recht. In einer gewissen Hinsicht hatte er Recht gehabt, doch das würde ich nie gegenüber ihm zugeben. Dafür überragte mein Stolz. Anastasia war Joachim's Tochter, genauso wie meine. Ich dachte über meine Entscheidung nach, die ich vor Ana's Geburt getroffen hatte und zwar, dass Joachim sie nicht sehen durfte. War sie gerechtfertigt? Definitiv ja. Dennoch bekam ich nun Zweifel und dafür hasste ich ihn. Jedes Mal, wenn ich denke es ist alles gut verlaufen, so wie es sein sollte, dann kommt er und wirft all meine Pläne und Gedanken über Board. Sogar als wir schon lange getrennt waren plagte er mich damit. Ich kniff meine Augen zu und versuchte meinen Puls zu beruhigen. Tief atmete ich ein und wieder aus. Der Griff um meine Tasse war fest. Ich verspürte den Impuls sie gegen die Wand werfen zu wollen, doch ich versuchte dem Drang zu widerstehen. Und die Tatsache, dass er vielleicht Recht hatte, dass Anastasia auch seine Tochter war und er sie sechzehn Jahre nicht kennenlernen durfte, sowie dass er ein Recht auf sie hatte, machte die Sache nicht besser. Diesen Fakt musste ich mir wahrscheinlich in der Zeit als Anastasia verschwunden ist, länger anhören.

Ich hatte seinen Gesichtsausdruck vor Augen. Dieser Ausdruck in seinem Gesicht, dass er Recht hatte. Er dachte daran, dass sie wegen mir verschwunden ist, das was sicher. Zu Hundertprozent ist ihm der Gedanke gekommen und es war nur eine Frage der Zeit bis er ihn aussprechen und mir gegen den Kopf werfen würde. Ich konnte ihn schon hören, "Das ist alles deine Schuld, Emily". Mit dem Impuls was ich verspürte musste ich dem Drang nachgehen und die Tasse flog an die nächste weiße Wand in Millisekunden und zersprang sofort. Die Flüssigkeit floss an der Wand herunter und hinterließ eine Spur. Mein Herz schlug so schnell und mein Puls reagierte dementsprechend. Blut wurde so schnell durch meinen Körper gepumpt, sodass ich kurz denken könnte ich wäre gerannt. Meine Atmung verschnellerte sich und meine Wut war wieder da.

Klar, es war komisch ihn nach all der Zeit wiederzusehen. Ehrlicherweise hatte ich mir ein Treffen mit ihm anders vorgestellt. Ja, ich hatte ein oder zweimal daran gedacht wie es sein würde ihn wieder zu sehen. Im Einkaufszentrum oder vielleicht im Möbelgeschäft, das hatte ich mir vorstellen können. Doch versöhnen könnte ich mich mit ihm nicht. Das konnte ich nicht. Ich konnte ihm nicht verzeihen. Alles was er mir je angetan hatte, das konnte ich nicht vergessen. Und der Satz, welcher er mir vor ein paar Stunden gesagt hatte, ließ mich nochmal über alles nachdenken. Ich war ein Mensch, der Mitleid mit anderen hatte, der anderen helfen wollte, der anderen verzeihen wollte, obwohl sie mich wie Dreck behandelten. Doch ich musste mir selbst immer wieder bewusst machen, dass ich es nicht Wert bin mich kaputt zu machen nur um anderen ein gutes Gefühl zu geben. Wenn ich diesem Empfinden nicht nachgehen sollte, wäre ich ein psychisch kaputtes Wrack und das wollte ich nicht sein.

Ich dachte an unsere Zeit zurück Joachim, nur für diese kleine Millisekunde. Doch ich unterbrach sofort meine Gedanken. Ich wollte nicht mehr zurückblicken.

"Was ist passiert?" ertönte Matt's Stimme als er in die Küche kam. Schockiert sah er den Scherbenhaufen und die von Tee verlaufene Wand. Und mich wie ich mit gemischten Gefühlen einfach nur da stand. Matthew riss mich wieder in die Realität und erst jetzt bemerkte ich ihn. Ich sah in sein besorgtes Gesicht und folgte seinem Blick. Auch ich sah nun den Scherbenhaufen auf dem Boden. Ich war selbst schockiert, dass mir sowas widerfahren ist. Noch nie hatte ich so etwas gemacht. "Ich-" stotterte ich und versuchte nachzudenken, doch Matt kam auf mich zu. "Ist schon okay" sagte er ruhig und sah mich an. Dann entdeckte er ein paar Scherben, welche sich in meinen Arm gebohrt hatten. Sie mussten beim Aufprall in meine Richtung geflogen sein. "Schatz" sagte Matt und sah auf meinen Arm. Ich tat es ihm gleich und sah auf meinen Arm. Matt suchte irgendetwas, doch ich beobachtete meine Verletzung stattdessen. Wieso hatte ich das nicht gespürt? War ich echt so in Gedanken versunken gewesen, dass ich nicht mal die tiefen Schnitte bemerkt hatte?

"Setz dich" hauchte mir Matt zu, doch sein Gesagtes ging auf einen Seite des Ohrs und auf der anderen Seite wieder heraus. Ich konnte mich nicht bewegen. Matt sah mich kurz an, doch dann fing er an mit einer Pinzette die Keramikstücke der Tasse aus meiner Haut zu entfernen.
Genau sah ich ihm dabei zu. Einem nach dem anderen holte er raus. Als er dann auch die letzte Scherbe herausgeholt hatte sah er mich noch einmal an. "Emily, ich desinfiziere die Wunden, okay?" er sah mich an und hielt das Desinfektionsspray schon in der Hand bereit. Was wenn ich alles aus einem anderen Winkel betrachten sollte? Ich sah mir die Wunden an und dachte nach. Vielleicht eine andere Person als Joachim und ich? Matt vielleicht? Ich hatte ihm nie im Detail erzählt was genau alles zwischen Joachim und mir passiert ist. Doch ich wusste, dass ich mit immer über alles reden konnte.

Dann sprühte Matthew das Desinfektionsmittel auf die Wunden und ich zischte sofort auf. "Gehts?" mein Gegenüber sah mich an während er anfing meinen Arm zu verbinden. Ich beobachtete seine Hände bis er fertig war. Sanft legte er seine Hände um meinen Arm und sah mich besorgt an. "Matt?" ergriff ich nun das Wort. "Kann ich dich was fragen?" ich sah ihn an. "Natürlich" sagte er und sah mich gespannt an. Ich dachte noch einmal nach, ob ich ihn wirklich nach seinem Rat oder nach seinem Eindruck fragen sollte. Doch was blieb mir übrig? Ich wurde noch wahnsinnig. Und ich vertraute ihm.

"Denkst du ich hätte Anastasia von kleinauf Kontakt zu ihrem Vater zustimmen sollen?". Verwirrt sah er mich an, doch er dachte anschließend nach. Jedoch musste er nicht lange nachdenken, er wusste die Antwort schon. "Nein, ich finde du hast damals richtig gehandelt" er legte seine Hände um meine Hand während er mich ansah. Ich wusste, dass Matt immer ehrlich zu mir sein würde. Auch wenn ich nach seiner Meinung zu etwas fragte, sagte er mir immer das was er dachte. Und das war auch gut so, denn somit sah ich auch die anderen Seiten. Ich sagte jedoch nichts, stattdessen sah ich Matt nachdenklich an. Dann ergriff er erneut das Wort. "Hör mal, auch wenn du mir einige Details von damals nicht erzählt hast, bin ich mir ziemlich sicher, dass du richtig gehandelt hast. Ich würde genauso handeln, wenn ich ein Kind hätte und meine Ex mich so verarscht hätte". Wieder sah ich ihn nur an. Ich dachte über sein Gesagtes nach.

"Und was wenn sie dir dein Kind vorenthalten würde? Hättest du dich damit abgefunden?". Seine Augen sahen direkt in meine. Diesmal hatte er seine Antwort nicht so schnell parat, er dachte nach. Doch dann seufzte er auf. "Nein, das hätte ich nicht" Matt brach den Augenkontakt ab und sah zur Seite während er nachdachte. "Aber, es geht darum was alles dazwischen abgelaufen ist. Bei meiner Ex und mir war das eine andere Sache als bei dir-" Matt versuchte mir Zuspruch zu geben, doch ich unterbrach ihn sofort. "Denkst du ich habe einen Fehler gemacht und bin für das alles verantwortlich?" einige Tränen bauten sich in meinen Augen auf. Ich verspürte Schuld an Ana's Verschwinden und das machte mich fertig. Matthew's Augen sahen mich klar an. "Nein, nein" hauchte er und nahm mich in den Arm. Ich legte meine Arme um ihm und drückte mich näher an ihn. "Wieso? Wie kommst du da drauf? Hat er dir das gesagt?" Matt ließ von mir ab und legte seine Hände auf meine Schultern während er mich ernst ansah. Ich sah ihm an, dass wenn ich seine Aussage bejahen sollte, er Joachim den Kopf abreißen würde. Doch dies war nicht so. Ich schüttelte meinen Kopf. "Nein, hat er nicht. Er hat nur gesagt, dass er auch ein Recht auf Anastasia hat, nicht nur ich". Matt sah mich konzentriert an. "Bullshit. Einen Scheiß hat er. Er hat dir das Herz gebrochen und ich sollte ihm die Knochen brechen. Er hat kein Recht auf Anastasia, denn er ist kein Vater. Er hat dich im Stich gelassen, das sind nun mal die Tatsachen". Ich sah Matt an und seine Mimik strahlte Überzeugung aus. Er machte mir nichts vor und erzählte mir nicht das was ich hören wollte. Das war seine Meinung zu allem und das sah ich ihm an. Ich nickte und fiel ihm erneut in die Arme. "Ich danke dir, Schatz" flüsterte ich ihm entgegen während ich die Augen schloss und seinem Herzschlag zuhörte. Ich war erschöpft und müde. Deswegen war ich umso erleichterter, dass ich Matt an meiner Seite hatte, der mich auffing und mir Stabilität gab. "Das ist selbstverständlich, Schatz. Ich liebe dich, vergiss das nicht. Ich bin für dich da" hauchte er mir nun zu. "Ich liebe dich" murmelte ich ihm ebenso zu und mein Herz schlug schneller während ich mich wieder beruhigte.

Her pale fire | Band 3Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt