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Verwirrt und gleichzeitig ein wenig überfordert sah ich ihn einfach an. Joachim nahm einen seinen Kopfhörer aus dem Ohr und versuchte seinen Atem durch sein Schnaufen wieder zu regulieren. Mit offenem Mund nahm er den zweiten Kopfhörer aus dem Ohr und kam langsam auf mich zu. Mein Blick glitt von seinem Gesicht zu seinem Körper über.
Er trug einen dunkelblauen Pullover und dazu noch eine graue Jogginghose.
Er hatte mit Joggen angefangen also.
Seine Haare standen wirr in der Luft und ließen ihn ein Stück weit attraktiver wirken. Ich hielt inne, was zum Teufel dachte ich gerade. Ich schloss meinen Mund und sah wieder auf den großen See vor mir. "Emily?" lächelte er ein wenig und kam näher um mir ins Gesicht sehen zu können. "Oh, ähm.. hey" verlegen sah ich ihn an während ich mich am Kopf kratzte. "Ich hätte nicht gedacht, dass ich dich hier treffe" lächelte er so wie er es immer schon gemacht hatte, wenn er sich freute jemanden wiederzusehen. "Ja, also ich hätte es auch nicht gedacht dich hier zu sehen" lächelte ich leicht auf. Joachim lächelte. "Ich dachte ich probiere heute mal eine neue Stecke aus und wie auf ein Wunder stoße ich auf dich".

Es herrschte eine kurze Stille zwischen uns was sich für mich wie eine halbe Ewigkeit anfühlte. Angestrengt versuchte ich irgendwelche Themen zu finden, höflichkeitshalber im Kontakt zu sein. Jedoch fand er schneller den Faden und sah nicht so angestrengt wie ich aus als er sprach. "Was ließt du denn?". Verwirrt sah ich ihn an. Er hingegen sah kurz zu meinem Buch, welches neben mir lag was ich vor einigen Minuten noch in der Hand hatte, um mir zu signalisieren was er meinte. Mein Blick huschte zu dem Buch. "Oh, ahm" ich nahm das Buch in die Hände und sah mir das Cover an. "D-das ist nur ein Roman, den ich empfohlen bekommen habe" zum Ende wurde ich leiser, da ich nachdachte.

Ich dachte daran als ich bei einer Kollegin das Buch sah und sie es in ihren Pausen nicht aus den Händen legen konnte. "Was liest du da?" fragte ich sie. "Oh, es ist ein Roman über eine Beziehung, welche einst perfekt war jedoch immer weiter zu Bruch ging". Ab diesem Zeitpunkt wollte ich schon das Gespräch beenden, da mich dieses Thema überhaupt nicht interessierte noch dazu, dass ich das einst selbst durchmachen musste. Doch jeder kennt solche Menschen, die dich so vollquatschen, dass du dich dann schließlich doch dafür interessierst. Solche Menschen sollten Marktschreier werden oder in der Beratung tätig sein. Das Ende vom Lied war, dass ich mir trotz meiner letzten Beziehung, welche den Bach runterlief wie in dem Buch erzählt wurde, trotzdem kaufte. Das Interessante war, dass mir dieses Buch gefiel. Was eine Ironie des Schicksals dachte ich mir, vor allem da nun mein Ex auftauchte und mich auf das Buch ansprach, welches unsere einst Beziehung widergespiegelt.

"Um was geht es?" fragte Joachim. "Ist nichts besonderes" sagte ich knapp und warf es fast schon wie ein Frisbee nach rechts bis zum Ende der Bank. Joachim sah das Buch und dann mich an. "Interessante Zusammenfassung" sagte er. "Darf ich mich setzten?" Joachim deutete auf den leeren Platz neben mir. Ich nickte nur stumm und wusste nicht was ich sagen sollte. Joachim wickelte seine Kopfhörer ein und legte sie in seine Bauchtasche des Pullovers als er zu mir kam und sich schließlich setzte.

"Also du joggst?" sagte ich. Ich wollte nicht, dass wieder diese unangenehme Stimmung herrschte. Wahrscheinlich war sie nur für mich unangenehm, denn Joachim störte so gar nichts. So schien es zumindest. "Oh ja" sagte er und nahm das Buch in die Hand, welches nun neben ihm lag. Mir standen schon die Schweißperlen auf der Stirn schon deutlich geschrieben als er das Buch ansah. "Was perfekt war" las er laut vor. Ich hoffte nur, dass er das Buch nicht umdrehen würde um den Klappentext zu lesen. "Ich habe mir etwas gesucht wo ich meine komplette Aufmerksamkeit hineinstecken konnte, weißt du" sagte er. Während er redete sah er mich kurz an und nahm sofort den Blick von mir ab um wieder sich dem Buch zu widmen. Ich wurde nervöser. Was würde er denken, wenn er den Inhalt kannte? Würde er denken, dass ich noch an ihm hängen würde? Genervt atmete ich innerlich einmal aus. Ich bin eigentlich hier her gefahren, um endlich abzuschalten und nun das. "Ist Mathe nicht mehr deine volle Aufmerksamkeit wert?" sagte ich und hoffte er würde sich lieber dem Gespräch mit mir zu wenden als dem Buch. "Oh und wie" sagte er und drehte das Buch um. Meine Finger krallten sich in das Holz der Bank. "Jedoch sind Zahlen nicht das Wahre" erklärte er völlig ruhig und gelassen. "Ach ja? Und das wäre?" verfestigte ich meine Stimme. "Der Mensch selbst" sagte Joachim und sah mich dabei an. All meine Gefühle und Verkrampfungen verflogen sofort. So etwas hatte Joachim noch nie gesagt. Er in mit den Jahren weise geworden, wow.

Ich dachte über seine Worte nach und vergaß völlig, dass er das Buch immer noch in der Hand hielt.

"Das ist eine düstere Aussicht der Beziehung, die du da ließt" riss er mich aus meinem Staunen. Wieder realisierte ich, dass er den Klappentext gelesen hat und nun skeptisch auf das Buch sah. Schnell riss ich ihm das Buch aus der Hand und warf es nach links auf das Gras. "Ist kein sonderlich gutes Buch" log ich rasch. Joachim sah mich einfach nur an bis er dann lachte. "Was ist so witzig?" mit einem schnippischen Ton sah ich ihn fragend an. "Gar nichts" lachte er und sah mich dann einfach nur an. Verwirrt sah ich ihn an. Lachte er mich aus?
"Gibt es keine freudigeren Bücher, die du lesen kannst?". "Doch" sagte ich und zog meine Knie an meine Brust. "Wieso ließt du dann solche unschönen Themen?". Weil sie der Wahrheit entsprechen wollte ich sagen, jedoch sagte ich stattdessen nichts. Ich sah ihn noch einmal an als ich meinen Blick von ihm nahm und zu dem Horizont sah. Joachim's Blick blieb jedoch auf mich gerichtet. Er sah mich einfach nur an und ich sah einfach dem Horizont zu.

Joachim's Blick glitt über mich und dann zu meiner Tasche wo mein Uniklinik Ausweis herauslugte, sowie mein Stethoskop. Er fragte sich wieso ich es dabei hatte, doch ein kurzer Blick zu mir verriet ihm mehr als ich wusste.

"Wieso bist du hier, Emily?" sagte er ruhig. Verwirrt sah ich ihn an, doch als er zu meiner offenen Tasche blickte verstand ich was er meinte. Wieder sah ich zum Horizont. "Ich hab frei" log ich. Ich wusste nicht mal wieso ich mich rechtfertigte, das hatte ich überhaupt nicht nötig. Jedoch tat ich es. "Du lügst" sagte er. Ich wurde wieder wütend. Was ginge ihn das an? "Wieso bist du hier und nicht in der Schule?" mein Ton wurde schroffer. Joachim sah mich eifach nur an. Er wusste, dass ich es nicht mochte, wenn man mich auf etwas hinweisen wollte was richtig war. Doch so war es von ihm nicht gemeint. Ich konnte auch nicht wissen, dass die Schule ihm frei gegeben hatte wegen Anastasia's verschwinden. Joachim wurde beurlaubt aufgrund der jetzigen Situation.

Sofort bekam ich Schuldgefühle, da ich ihn wieder aus dem Nichts anfuhr.

Seufzend schloss ich die Augen. "Ich kann nicht arbeiten gehen, nicht so" hauchte ich fast kaum hörbar aus gegen meine Knie. Joachim sah mich weiterhin an. Ich stießt einen lauten verzweifelten Ton aus und senkte meinen Kopf auf meine Knie. "Ich belüge sogar meinen Mann, weil ich es einfach nicht schaffe ehrlich zu ihm zu sein!". Meine Situation war überhaupt nicht fabelhaft so wie es für Außenstehende aussah. Ich war am Boden und wollte niemanden zur Last fallen. Meine Zweifel kamen wieder hervor. "Ich flüchte jeden Tag hier her bis ich Schichtende habe und fahre dann nach Hause als wäre alles völlig normal. Ich benehme mich so als wäre alles super, obwohl ich innerlich zerfalle. Ich weiß nicht mehr weiter, ich bin eine Schauspielerin..." hauchte ich meine letzten Worte aus. Joachim sagte nichts, er hörte mir aufmerksam zu und verarbeitete alles.

Ich wusste nichts mehr. Ich wusste nicht was ich unternehmen sollte, was ich machen sollte, alles schien so aussichtslos zu sein, es war bedrückend.

"Wieso sagst du deinem Mann nicht die Wahrheit?". "Das kann ich nicht!" verzweifelt sah ich ihn an. "Das solltest du aber, du kannst deinem Partner nicht sowas verheimlichen, vor allem nicht wenn du leidest" Joachim wandte sich mit seinem Körper mir zu. Besorgt sah er mich an. "Ich kann ihm das nicht antun.." hauchte ich kaum hörbar aus als meine Tränen über mein Gesicht liefen. Ich kann Matt das nicht antun, er hat so schon zu viel wegen mir durchgemacht. Ich wollte nicht, dass er wegen mir wieder all das durchmachen muss. "Wieso? Wieso redet ihr über so etwas nicht? Das ist wichtig, Emily und das weißt du. Du weißt wie es mit uns zu Grunde gegangen ist. Diese Geheimnisse machen all das Gute und Schöne kaputt". Fast schon flehend sah er mich an. "Ich möchte nicht, dass deine Beziehung zu Bruch geht wegen Geheimnissen, die keine sein müssen".

Ich sah ihn einfach nur an.

Ich wollte selbst nicht, dass meine Beziehung scheiterte, ich liebe Matt. Doch mich hinderte etwas daran komplett ehrlich zu sein. "I-ich kann nicht" hauchte ich kaum hörbar auf während ich ihm flehend in die Augen sah. Joachim erwiderte meinen Blick, jedoch sah er mich hilfloser an als ich ihn.

Also führte ich mein Spiel weiter.

Her pale fire | Band 3Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt