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"Ich habe eine Idee" erschlug er plötzlich die Stille mit seiner Stimme. Ich hob meinen Kopf und sah ihn an. Joachim's Blick blieb jedoch nach vorne gerichtet, so als hätte er etwas gesehen. "Lass uns nochmal Sechszehn sein". Er sah mich mit strahlenden Augen an. Ich sah ihn jedoch verwirrt an, er schien jedoch fest entschlossen zu sein. Er reichte mir seine Hand. Verwundert sah ich sie einfach nur an. "Lass uns ein letztes Mal jung sein". Joachim's Augen strahlten einfach mich an, es war überwältigend das Schimmern in ihnen zu sehen.

Ich wusste immer noch nicht was ich sagen sollte, was meinte er damit? Sollte ich sein Angebot wirklich annehmen? Ich wusste wirklich nicht was danach geschehen sollte. Scheiß drauf, dachte ich mir. Ohne zuvor noch großartig nachzudenken nahm ich seine Hand und er lief los und zog mich somit mit ihm. Ein kleines Lachen entglitt mir während wir Hand in Hand durch die Straßen liefen.

Wir liefen einfach lachend durch die Straßen und vergaßen all die Sorgen und den Kummer für einen Moment. Dieser kleine Moment, der mir so viel gab. Dieser kleine Moment als ich mein Herz so schnell schlagen hörte und einfach Weiterrennen wollte. Ich wollte mein Blut durch meinen Körper rauschen hören. Wir waren wie Teenager und uns war es egal. In diesem Moment gab es nur Joachim und mich. Unsere strahlenden Augen die alles wie ein Film wahrnahmen. Die Sonne verabschiedete sich langsam und wir liefen in den Sonnenuntergang hinein. Wir sprangen über Steine, Kettenzäune und über Absperrungen. Ich wusste nicht wohin Joachim mich führte, doch mir war es egal. Ich folgte ihm wo auch immer er hinging. Wir rempelten Leute ausversehen an und rannten gegen den Strom, auch ernteten wir komische Blicke. Doch in diesem Moment gab es all die Menschen um uns herum nicht. Immer wieder lachten wir auf, was unsere Augen noch mehr erstrahlen ließ. Ich hatte nur Joachim im Blick wie er mich mit sich zog bis wir die Sterne erreichten.

Nach einiger Zeit kamen wir bei einer riesigen Brücke an und da blieb Joachim stehen. Auch ich kam zum Stehen und sah ihn an was er nun vor hatte. Er sah auf das glitzernde Wasser, welches quer durch die Stadt floss. Es sah wunderschön aus, alles ertrank in einem rot-orangenen Ton. Ich sah von der Seite in Joachim's Gesicht. Die Farben des Sonnenuntergang spiegelte sich in seinen Augen. Joachim half mir hinauf auf ein Plateau der Brücke wo eine größere Fläche war zum Hinaufklettern, um sich dort hinzusetzten. Wir setzten uns beide auf dieses und sahen in den Sonnenuntergang. Die komplette Stadt war in einem warmen orange-roten Farbton getränkt. Alles war einfach so surreal. Das Eis, welches immer noch in meinem Becher war, war schon längst geschmolzen. Es war jedoch egal, nur dieser Moment existierte mit uns im Hier und Jetzt.

Ich lehnte mich mit dem Rücken gegen das Geländer und stocherte in der Eispampe herum. Ich dachte ich könnte nie wieder lachen seit dem meine Tochter verschwunden war, doch Joachim hatte es geschafft mich von seiner Positivität zu überzeugen, welche in ihm nach wie vor herrschte. Dann lächelte ich auf als ich an das Gefühl zurück dachte, als wir wie Teenager durch die Straßen liefen. Der leichte Wind, der unsere Haut streifte. Es war so als fühlte ich mich endlich frei. So lange war ich gefangen, ich hatte es nie gemerkt. Doch nun realisierte ich alles erst. Ich habe mich schon so viele Jahre nicht mehr so atemberaubend gut gefühlt wie jetzt in diesem Moment. Ich konnte aufatmen.

"Was ist?" lächelte Joachim mich an. "All die Zeit dachte ich, dass ich ein perfektes Leben führte. Ich habe alles was ich je wollte, doch jetzt erst merke ich, dass das nicht stimmt. Ich merke jetzt erst, dass ich aufatmen kann und die Luft sich in meine Lungen füllt. Jeden Tag den gleichen Tag erleben zu müssen macht mich nicht vollkommen. Genau das habe ich gebraucht" ich hob meinen Kopf und sah in den wunderschönen Sonnenuntergang. Joachim sah mich einfach nur an. Auch er sah wie sich das Farbenspiel des Himmels in meinen Augen spiegelte. "Du hast Recht, Emily." Joachim sah nun ebenso in die Ferne. Langsam nahm ich meinen Blick von dem Himmel und sah wieder in die matschige Pampe vor mir. Auch wenn mein Leben gerade nicht besonders schön ist, werde ich nicht aufgeben. An diesem Punkt des Aufgebens war ich schon mal und hier werde ich nie wieder enden. "Vor Sechszehn Jahren hätte ich nie gedacht, dass ich nun hier sitzen würde und mir den Sonnenuntergang mit dir ansehen würde". Joachim nahm seinen Blick von der Aussicht und sah mich an. "Ich hätte nie gedacht, dass ich dich je wieder ansehen könnte" ich hob meinen Blick und sah ihm direkt in die Augen. Joachim atmete einmal tief ein bevor er sprach. "Ich weiß, dass ich sehr viele gravierende Fehler gemacht habe und dies bereue ich heute noch. Ich habe dich und meine Tochter verloren, nur weil ich nicht ehrlich zu dir war. Ich war blind" Joachim sah wieder in die Ferne. "Ich habe alles verloren was mir einst je wichtig war, einfach alles".

Es herrschte Stille. Joachim sah zum Ausblick der Stadt hinaus und ich sah in das geschmolzene Eisgemisch.

"Ich bin in Depressionen gefallen." unterbrach ich die Stille. Joachim hielt in diesem Moment still. Es kam ihm surreal vor was ich gerade gesagt hatte, er konnte es nicht begreifen. Hatte ich mich versprochen? Hatte er etwas missverstanden? Sein Kopf schellte in meine Richtung. Auch so schön dieser Ausblick war, so bitter war die Realität. Die ekelhafte, grausame Realität die sein Herz zusammenziehen lassen würde. "In solche schlimmen, dass ich mich nicht um mein eigenes Kind kümmern konnte." Joachim's Mund wurde wie auf Knopfdruck trocken. Es fühlte sich so an als würde jemand genau in diesem Moment seine Kehle zuschnüren. "Ich hatte mit Vertrauensproblemen, mit Selbstzweifel, mit Ängsten... mit so vielem zu kämpfen gehabt.. und schließlich mit schweren Depressionen. Das war eines der dunkelsten Kapitel in meinem Leben und ich möchte nie wieder an diesem Punkt stehen." Joachim wurde schlecht, ihm wurde schlagartig so schlecht und heiß gleichzeitig. Er konnte alles nicht realisieren, war er gerade in einem schlechten Film? All die Jahre dachte er mir würde es nun besser ohne ihn gehen, doch damit hatte er sicherlich nicht gerechnet. Er wollte mir nicht weiter zuhören, nicht weil er nicht wollte, sondern weil er nicht konnte. Er ertrug es nicht den Wörtern zu zuhören, die ich von mir gab. Ich fuhr jedoch fort. Ich bemerkte nicht mit was Joachim gerade zu kämpfen hatte um ehrlich zu sein. All diese Jahre des Schmerzes sprudelten einfach aus mir raus.

"Ich dachte ich habe das Schlimmste nun hinter mir, doch dann verschwindet Anastasia spurlos und ich spüre wie ein Stück von mir immer mehr bricht und die Dunkelheit sich langsam anfängt über mir zu bilden wie dunkle Wolken vor einem Sturm" sprach ich meine Gedanken aus. Ich hatte nicht mal Matt davon erzählt, niemanden. Joachim war der erste dem ich mich komplett anvertraute, mich öffnete, obwohl er mich einst zu diesem Punkt gebracht hatte.

All das fühlte sich an als wäre ich in einer Blase gefangen, wodurch ich nicht wirklich existiert habe.

"Und dann plötzlich wachst du auf und es war Dezember und du bist keine achtzehn mehr. Die Welt drehte sich weiter, egal wie sehr du versuchst dich dagegen zu wehren. Egal ob du betest, flehst oder einfach nur hoffst, dass der Schmerz vergeht, das tut er aber nicht".

Her pale fire | Band 3Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt