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"Möchtest du einen Tee?" fragte er mich als ich mich gerade auf das Sofa setzte. Ich erwachte wie aus Trance und sah ihn an. Langsam nickte ich als ich die komplette Situation noch einmal im Kopf durchging. Joachim nickte ebenso und verschwand in der Küche. Mein Blick glitt wieder ins Leere. Ich wusste nicht was ich denken sollte. Die ganze Situation, die auf dem Geburtstag geschah.. Das was mich eigentlich schockiert hatte war Matt's Verhalten. Wie konnte er nur über meinen Kopf hinweg entscheiden? Ich wollte mich verkriechen in einem tiefen Loch und nie wieder heraus kommen. War dies normal? Ich wusste es nicht. Doch das was ich wusste, genau zu diesem Zeitpunkt war, dass ich nicht allein sein wollte. Ich wollte, dass jemand mir all den Schmerz nahm und ihn wegtrug. Doch wenn es schmerzte, war das alles noch nicht vorbei und das wusste ich. Ich wusste, dass der Schmerz irgendwann vergehen würde. Ich müsste nur durchhalten.

"Hier" Joachim reichte mir die Teetasse und ich entkam meinen Gedanken. Ich sah auf und nahm die Tasse dankend an. Als ich Joachim ansah verflogen alle Gedanken, die ich hatte. Ich war nun hier im Jetzt und nur das zählte gerade. Wie in einem Tunnelblick war ich gefangen und wusste nicht mehr was links und rechts geschah. Ich sah nur das was vor mir lag.

Ich fuhr mit dem Auto einfach los ohne zu wissen wohin ich wollte. Die Regentropfen machten es nicht besser. Sie verwischten meine Sicht jedes Mal aufs Neue. Es sah so als ob sich mein Innerstes gerade in diesem Moment Äußerlich zeigte und der Regen die heißen Tränen auf meinen Wangen waren.
Als ich vor Joachim's Apartment stand kam es mir alles so selbstverständlich vor. Ich hielt einen Moment inne und sah nur auf seine Haustüre.
Dann stieg ich aus ohne groß darüber nachzudenken was ich mit meinen Taten nun anrichten könnte. Joachim könnte Besuch haben, oder sogar gar nicht zu Hause sein. Mein Kopf war in diesem Moment einfach wie ausgeschaltet und ich wusste, dass er wusste was ich machen kann. Er wusste immer, was zu tun war.
Ich klingelte an seiner Tür und mein Herz schlug mir bis zum Hals. Nach kurzen Sekunden als ich vor der Haustüre stand und darauf wartete, dass er diese öffnete, schaltete sich langsam mein Verstand ein. Wieso war ich hier?

Doch Joachim öffnete schon die Tür und ich hob automatisch meinen Blick. Ich sah ihm in seine Augen und er erwiderte sofort den Blick. Er bemerkte wie meine Augen und meine Nase gerötet waren und mein Blick bei ihm Halt suchte. Joachim sah mir an, dass es mir nicht gut ging. "Was ist passiert?" fragte er nun besorgt und ließ mich eintreten.

Nun saß ich hier auf seinem Sofa und nahm dankend die Teetasse entgegen während ich zusah wie Joachim reagierte. "Nicht dafür" hauchte er mir zu und setzte sich auch auf das Sofa. Ich sah auf das heiße Getränk und war wieder in Gedanken verloren. Mein Gegenüber merkte dies natürlich sofort. Er sah mich an und versuchte aus der Situation schlau zu werden. "Emily" unterbrache er die Stille. Ich sah auf und blickte in seine Augen, die mich ernst ansahen. Er wusste, dass ich nicht einfach so bei ihm auftauchen würde, vor allem, nicht aus dem Nichts.

"Erzähl mir was dich zu mir geführt hat".

Ich wusste es nicht wieso ich zu ihm gefahren bin. Ich dachte kurz nach, was könnte ich ihm sagen wieso ich ausgerechnet zu ihm gefahren bin. Doch mir fiel nichts ein, mein Kopf war wie leer, wie ausgeschaltet, einfach blank. Joachim sah mich an, er wollte wissen wieso ich ausgerechnet zu ihm gefahren bin, doch ich konnte ihm diese Frage nicht beantworten.

"Ich weiß es nicht" hauchte ich leise ohne den Blick zu heben. "Möchtest du mir erzählen was geschehen ist bevor du hier her kamst?". Ich hielt mit meiner Atmung kurz inne. "Ich habe das Gefühl, dass mein Leben langsam auseinander bricht. Egal was ich mache, es macht alles nur schlimmer und ich weiß nicht was ich tun soll" gestand ich ihm. "Bin ich distanzierter?" ich sah Joachim nachdenklich an als ich an Matt's Worte dachte. "Ich weiß nicht wie es mit anderen Menschen in deinem Umfeld aussieht, aber ich habe nicht das Gefühl, dass du zu mir distanziert bist falls es dir hilft. Und ich denke, dass du einfach eine schreckliche Zeit gerade durchmachst und du deswegen durcheinander oder auch verzweifelt bist. Mach dir bitte keine Vorwürfe" versuchte Joachim mich zu ermuntern. "Du denkst nicht, dass ich komplett verkorkst bin?" ein kleiner Schimmer von einem Lächeln bildete sich auf meinem Gesicht. Joachim's Mundwinkel fanden den Weg nach oben. "Nein, das denke ich nicht". Auch ich musste leicht lächeln. Wieso habe ich dieses Gefühl von Sicherheit bei ihm, aber nicht mehr bei Matt?

Ich nahm einen Schluck von dem Tee. Er schmeckte nach Pfefferminz und erfrischte meinen Mund. Auch Joachim nahm ein Schluck aus seiner Tasse. Ich beobachtete jede seiner Gesten genau. "Denkst du all das Schlechte wird eines Tages vergehen?" fragend sah ich ihn an. "Das denke ich nicht nur, ich weiß es. Es wird irgendwann wieder Frühling, das verspreche ich dir". Joachim lächelte aufmunternd mich an.

Ich blickte ihn an und sah auf seine schönen vollen Lippen. Ich schaltete meine Gedanken komplett aus. Sein Duft stieg mir sofort durch die Nase. Kurz schloss ich meine Augen damit ich mich vollkommend auf den Duft konzentrieren konnte. Es fühlte sich an wie ein vertrautes Gefühl.. wie ein Heim kommen. Das hatte ich schon so lange nicht mehr, dass ich es schon vermisst hatte. Ich habe diese Vertrautheit und die Unversehrtheit so vermisst.

Ich öffnete meine Augen und sah wie Joachim erneut einen Schluck von seinem Tee nahm und ihn auf den kleinen Glastisch vor uns abstellte. Mein Herz schlug so unfassbar schnell, dass mir schon das Atmen schwer fiel. Ich stellte ebenso meine Tasse auf den Tisch ab. In meinen Fingern juckte es. Wie war es wohl ihn wieder anzufassen? Ihm näher zu kommen? Seine Haut zu berühren? Seine Haare zu berühren? ..Seine Lippen zu berühren.

All die Trauer und die Sorgen, die ich vor einer halben Stunde hatte, waren wie vergessen. Mein Verstand hatte sich komplett ausgeschaltet was ich erst später verstand. Nervös sah ich in seine Augen und dann wieder auf seine Lippen. Joachim schien das alles überhaupt nicht zu bemerken, da er ruhig und gelassen da saß. In mir hingegen herrschte ein wütender Sturm.
Immer wieder dachte ich nach ob ich es tun sollte oder ob ich es lassen sollte. Als er jedoch seinen Blick erneut hob und mich mit einem leichten Lächeln ansah war es um mich geschehen. Ich verlor mich komplett in seinen Augen und kam ihm näher. Mit einem Ruck lehnte ich mich ihm entgegen.

Ich legte meine Lippen auf seine und küsste ihn. Zuerst vorsichtig. Ich genoss die Berührungen seiner Lippen auf meinen. So lange hatte ich sie nicht mehr berührt. Sie waren immer noch so weich wie ich sie in Erinnerung hatte. Die Gefühle, die mich in diesem Moment durchfuhren waren atemberaubend.
Ich fühlte mich wieder vollkommen.

War dies wirklich real?

Her pale fire | Band 3Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt