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Ich sah mir genau die OP Tafel an. Heute standen einige OPs auf dem Plan und ich scannte jede einzelne Spalte ab. Später hatte ich ebenso eine OP wie Neil. Ich sah in seine Spalte, in die er eingetragen wurde und erkannte, dass er bei einer Osteosynthese dabei war mit unserem Orthopäden. Vielleicht  könnte ich dazu kommen und helfen. Ich versuchte mich mit allem möglichen was Arbeit betrifft abzulenken. Ich verlor die Nerven, wenn ich nichts zu tun hatte und das machte mich fertig. Matt versuchte schon krampfhaft mich zur Entspannung zu zwingen, doch ich konnte nicht still halten. Dann kam wieder die Tatsache hoch, dass Anastasia verschwunden war und ich nichts unternehmen konnte. Jedes Mal wenn ich überlegte was ich besser hätte machen können, dann zeigte es mir nur auf wie unfähig ich war auf meine Tochter aufzupassen. Ich lebte in meiner eigenen Blase in der ich dafür sorgte, dass alles okay war auch wenn es nicht so war. Ich schmückte sie aus, um der Realität zu entkommen. Ich konnte sie nicht akzeptieren. 

Mit schnellen Schritten lief ich Richtung Notaufnahme wo ich Neil fand. Er war Oberarzt in der Traumatologie und war somit mit schwer verletzten Personen in Kontakt. Ich beneidete Neil deswegen oft für seine Arbeit und wie ruhig er mit schweren Fällen umging. Wir hatten einmal einen Patienten, der hatte Äste an seinem Baum abgesägt, ist von der Leiter abgerutscht und in einem der Äste gelandet und hatte sich sozusagen selbst aufgespießt. Die krassesten Fälle kamen hier rein und ich wusste oft nicht wie ich handeln sollte, wenn ich vor Ort war, doch von Neil konnte ich mir immer eine Scheibe abschneiden. Er teilte sein Wissen auch sehr gern mit mir und versuchte mir bei jeder Situation zu helfen. Oft benutzte er auch wenn wir essen waren das Essen, um mir zu zeigen was er meinte und wie er vorging. Manchmal kann ich jedoch gut darauf verzichten. Ich war jedoch froh ihn hier bei mir zu haben. 

Als ich in der Notaufnahme angekommen war sah ich schon wie Neil mit anderen Ärzten in einem der Traumaräume stand und einen Patienten versorgte. 

"Kann ich euch helfen?" kam ich herein gelaufen in das Zimmer und zog mir die Handschuhe über. Mein Blick glitt rüber zu dem Patienten und erkannte, dass dieser enorme Quetschungen am ganzen Körper hatte. "Emily, was machst du hier?" verwirrt sah Neil mich kurz an bevor er den Patienten weiterversorgte. "Ich habe gerade Zeit und dachte ich schau mal bei euch vorbei". Wieder sah ich Neil an und hoffte, dass er meiner Hilfe zusagen würde. "Halten Sie das hier fest" sagte er zu einem der Assistenzärzte und meinte damit das Bein des Mannes. Es musste fixiert  werden und mit einem Ruck renkte er auch die Hüfte sofort wieder ein soweit er ging. 

"Okay, wo kann ich helfen" kam auch schon die Orthopädie herein marschiert. Es war Luke, er arbeitete einige Jahre länger als Neil und ich hier im Krankenhaus. Er war stets fokussiert und kannte sein Handwerk in und auswendig. Öfters sah ich ihn, wenn er den Gang entlang lief oder wir uns in der Notaufnahme über den Weg liefen. Ich mochte ihn, ihm war es egal woher du kommst oder welche Nationalität du angehörst, er hörte sich deine Geschichte an und verstand dich sofort. Auch mag er besonders Lachs was ich überhaupt nicht nachvollziehen konnte. Jedes Mal wenn wir Ärzte mittags in der Cafeteria aßen, war Luke der Erste und auch der Einzige welcher zuerst ganz nach hinten zum Ende des Tresens ging und sich den Lachs holte bevor er bestellte. Neil machte sich oft über Luke in freundschaftlicher Hinsicht lustig, doch ihm war es egal.

Neil erklärte Luke schnell was wichtig für uns Chirurgen war und setzte ihn schnell ins Bild. Luke hörte aufmerksam zu und hielt dabei seine Hände etwas hoch wie wir es oft im OP taten, das half ihm sich zu konzentrieren. Als Neil sein letztes Wort gesprochen hatte, sprach schon Luke und gab Anweisungen wie wir verfahren würden. Es vergingen einige Sekunden und sie hatten ihn schon soweit stabilisiert, dass sie ihn in der OP schieben konnten. Sie schoben ihn aus dem Raum und die Assistenzärzte halfen dabei. "Du kommst mit, Emily" sagte Neil hektisch und innerlich freute ich mich. Schnell liefen wir den anderen hinterher und machten uns für die Operation fertig. Ich stand neben Neil und Neil stand neben Luke. Wir wuschen unsere Hände und Unterarme und gingen nochmal die gesamte OP durch. "Denkst du, du schaffst das Emily?" grinste Luke mich an und verweilte in seiner Position sarkastisch. "Selbstverständlich schaffe ich das. Nicht umsonst bin ich Chefin der Allgemeinen" grinste ich nun auch und sah Luke an bevor ich im OP verschwand.

Die Operation dauerte lange, doch ich konnte mich schon früher entziehen, da der Patient keine schweren inneren Verletzungen hatte. Ich atmete einmal tief durch und lief den Gang entlang bis ich am Aufzug ankam, der mich wieder zur OP Tafel brachte. Ich sah mir die Tafel erneut an und strukturierte meine Operation, die bald anstand. Schritt für Schritt ging ich sie in meinem Kopf durch bis ich aus meinen Gedanken gerissen wurde. Ich sah zu meiner Linken und sah, dass Matt vor mir stand und mich am Arm hielt. Noch verwirrter als ich sonst war sah ich ihn an. "Was machst du hier?". "Was ich hier mache? Ich sollte eher dich fragen was du hier machst. Emily, du solltest eigentlich schon seit Stunden zu Hause sein" Matt sah mich an. Verwirrt nahm ich mein Handy aus einer der Taschen meines Kittels und sah auf das Display. Matt hatte recht. Es war schon lange Feierabend für mich. "Auf deine Nachrichten scheinst du wohl auch nicht zu antworten" Matt sah kurz auf mein Handy und wies auf seine Nachrichten hin, die er mir hinterlassen hatte. Völlig neben der Spur versuchte ich meine Gedanken zu fassen. "Matt, ich kann hier aber nicht weg" ich sah ihn an. Matt's Mimik zuckte kurz. "Wie du kannst hier nicht weg?". Ich deutete auf die Tafel vor uns. "Ich habe in einer Stunde eine OP bei einem jungen Mann, der dringen eine neue Niere braucht". Matt sah kurz auf die Tafel und erkannte auch meinen Namen, der draufstand. Doch so schnell er auch auf die Tafel gesehen hatte, so schnell sah er mich wieder an. "Emily, du musst jetzt mit mir nach Hause kommen. Du bist völlig erschöpft, sieh dich doch mal an" zischte er mir zu. Matt hatte erneut recht, ich fühlte mich müde und ausgelaugt. Doch so fühlte ich mich nun schon lange und ich wusste genau, dass ich das nicht zugeben würde. Ich war stur. "Mir geht es gut, Matt. Lass mich arbeiten" sagte ich und schritt ein wenig weg von ihm. Mein Blick war wieder auf die große weiße Tafel vor mir gerichtet. Matt kam jedoch wieder ein Schritt auf mich zu. "Emily, ich meine das ernst" hauchte er mir zu und versuchte mich somit zur Vernunft zu bringen. Doch ich war nach wie vor stur.

"Ich muss arbeiten" sagte ich und lief an ihm vorbei. Matt griff nach meinem Arm und hielt mich fest, sodass ich nicht weglaufen konnte. "Emily, du flüchtest dich in die Arbeit. Zwei Wochen, zwei ganze Wochen seit Anastasia verschwunden ist flüchtest du dich Tag für Tag in die Arbeit, um deinem Schmerz zu entfliehen und du weißt selbst ganz genau, dass das nicht gesund ist. Du schläft nicht, du isst nicht genug, du schiebst eine OP nach der anderen-. Die wievielte ist das heute?" Matt unterbrach sich selbst und sah mich mit verschränkten Armen an. Ich sah ihn an und erkannte an seinem Gesichtsausdruck, dass er die Wahrheit wissen wollte. Innerlich seufzte ich auf. Nicht dass ich mich ertappt  fühlte, sondern weil Matt mir sagte was ich tun sollte. Er wollte nur das Beste für mich, doch in diesem Moment sah ich es einfach nicht. Wäre er hier nicht aufgetaucht hätte ich heute eine OP nach der anderen gemacht. Ich seufzte auf. "Die siebte" murrte ich und sah an ihm vorbei auf den Gang. Dass er den Kopf unglaubwürdig schüttelte übersah ich. 

Dann legte mein Gegenüber seine Hände auf meine Oberarme und sah mich eindringlich an. "Bitte komm mit mir nach Hause. Du wirst noch kollabieren und das will ich verhindern. Ich will nicht, dass du irgendwo in einem dieser Gänge oder schlimmer noch im OP regungslos am Boden liegst. Außerdem solltest du deinen Patienten in keiner Weise in Gefahr bringen, okay?". Matt wusste nicht was er noch tun sollte, er war selbst verzweifelt. Noch nie hatte er mich in diesem Zustand gesehen und das bereitete ihm Sorgen. "Verstehst du mich?". Ich hob meinen Blick und sah in seine besorgten Augen. Ich verstand was er mir sagen wollte und dies ist bei mir angekommen. Ich wollte selbst keinen Menschen in Gefahr bringen. Langsam nickte ich. Auch Matt nickte leicht und nahm mich in den Arm. "Lass uns heim gehen" hauchte er mir noch leise zu.

Her pale fire | Band 3Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt