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Ein tiefer Seufzer entfuhr meiner Kehle. Matt schloss die Haustür ganz sachte. Ich fühlte mich als hätte ein LKW mich überrollt. Meine Glieder waren schwer und es fällte mir schwer zu atmen. Ein Stich durchfuhr meinem Kopf weswegen ich meine Augen für einen Moment schloss.

"Emily?" hörte ich dann verschwommen Matt's Stimme hinter mir. Langsam legte er seine Hände auf meine Schultern. Ich kam langsam wieder in die Realität zurück und öffnete meine Augen. "Ich weiß es ist eine blöde Frage, aber ist alles in Ordnung?". Er versuchte mir ins Gesicht zu sehen, da er immer noch hinter mir stand fiel es ihm schwer. Erneut entfuhr mir ein trauriger Seufzer, doch diesmal war dieser innerlich. Wieder schloss ich meine Augen. "Ich geh in die Wanne" sagte ich ihm und entglitt seinen Berührungen. Langsam lief ich die Treppe hinauf, Matthew's Augen folgten mir bis ich nicht mehr zu sehen war.

Ich ließ das heiße Wasser in die Badewanne einfließen und stieg schließlich hinein. Ich sah den Dampf über dem Wasser was mir signalisierte, dass es war heiß. Doch mir tat diese Wärme gerade in diesem Augenblick gut. Erleichtert atmete ich tief aus. Meine Augen schloss ich und versuchte an nichts zu denken, doch dies schien leichter gesagt als getan. Denn mir kamen die Bilder von vor einer Stunde wieder in den Sinn. Mir fiel wieder ein wie ich auf dem Stuhl lag und meine Frauenärztin mich kontrollierte. Ich wusste nur noch bruchteilhaft was sie gesagt hatte. "..keine Reste..", "....Blutungen..", "...Schmerzen...", "....wäre nicht lebensfähig gewesen..", "..mein tiefstes Beileid....".

Ich dachte ich hatte nun in meinen ganzen Jahren genug Schmerzen erleiden müssen, doch immer wieder kam etwas oben hinauf auf meinen Stapel an Last bis ich keine Luft mehr bekam. Ich war ein Stück froh gewesen als sie mir sagte, dass man mich nicht ausschaben musste. Ich saß doch so schon dar wie eine Mumie. Matthew's Gestik versuchte ich so gut es ging auszublenden, da mich das nur noch mehr mitnehmen würde. Er war entsetzt, traurig, wütend, auf sich selbst zum größten Teil, hilflos, so als würde man den Boden unter den Füßen wegziehen. Und so war es auch. Uns wurde der Boden unter den Füßen weggezogen. Ich hatte mein Leben nicht mehr unter Kontrolle. Es war nur eine Frage der Zeit bis ich zusammenbrach und wieder an Anfang stand vor meinem Scherbenhaufen.

Ich vernahm ein leises Klopfen an der Badezimmertüre. Langsam öffnete sie sich und mein Kopf drehte sich in diese Richtung. Ich sah einen besorgten Matt im Türrahmen stehen. Ohne ein Wort zu sagen trat er ein und kam zu mir. Er kniete sich um mit mir auf Augenhöhe zu sein. Erst jetzt sah ich, dass seine Augen gerötet waren. Er legte seine Hand auf meine Wange und sah mich traurig an. Er lehnte seine Stirn gegen meine und wir schlossen beide unterbewusst unsere Augen. "Wir werden das schaffen" hauchte er mir entgegen und versuchte das Zittern in seiner Stimme zu unterdrücken.

Ich wollte etwas erwidern doch meine Kehle war wie zugeschnürt, nur ein leises Wimmern entkam ihr. Erst jetzt bemerkte ich, dass ich geweint hatte. "Ich habe dich weinen gehört und ich musste nach dir sehen. Dein bitterliches Weinen bricht mir das Herz, mein Liebling" wimmerte nun Matt's Stimme. Ich öffnete meine Augen, diese füllten sich sofort mit Tränen als ich Matthew so zerbrechlich sah. Mein Herz brach und ich konnte ihm den Schmerz ebenso nicht nehmen so wie er ihn auch nicht von mir nehmen konnte. Matt's Kopf senkte sich Stück für Stück bis er den Kopf komplett hängen ließ, mein Gesicht hielt er jedoch weiterhin in seinen Händen. Er wollte mich nicht loslassen, so wie ich ihn auch nicht loslassen wollte. Ich hob seinen Kopf an und schloss ihn sofort in eine Umarmung als ich wieder seine glasigen Augen sah.

"Wir tragen keine Schuld" versuchte ich fest entschlossen zu sagen. Matthew reagierte jedoch nicht. Ich hatte einen Tag länger Zeit gehabt alles zu verdauen als er, ich musste ihn aufbauen soweit ich es konnte. "Keiner hätte es wissen können. Wie auch?" ich zog einmal die Nase hoch und sah ihn an. "Wir haben es so lange versucht und trotzdem-" Matt's Stimme brach ab. Für ihn brach die ganze Welt zusammen. Er konnte es nicht verstehen. Wieso passierte dies? Wieso ausgerechnet wir? Wieso..?

Er setzte sich aufrecht hin und wischte sich einmal übers Gesicht. "I-ich kann mir nicht vorstellen, Emily. Ich kann mir das alles nicht vorstellen, ich- ich finde keine Worte. Ich beschwere mich hier und heule mich bei dir aus, obwohl du doch das Schlimmste durchmachen musstest" Matthew's Augen fingen erneut Tränen. "Du hattest eine Fehlgeburt während dem Operieren und musstest alleine da durch und ich sitze hier und heule wie ein kleines Kind hier herum, obwohl du eher mich gebraucht hättest!" seine Stimme wurde lauter und ich sah in seinen Augen, dass in ihm die Wut aufkochte. Die Wut auf sich selbst. Er war machtlos und hatte das Gefühl versagt zu haben.

"Sei still!" schrie ich schon fast. Matthew's Wut verblasste sofort und sein Kopf schellte zu mir. Nun war ich diejenige die wütend war. Ich sah ihn wütend an. "Ja, ich hatte eine Fehlgeburt und ja ich musste da alleine durch, aber wage es nicht dir die Schuld daran zu geben! Herrgott! Hörst du dir überhaupt selber zu?!". Matt sah mich mit leicht offenem Mund erstaunt an. Er musste realisieren was gerade überhaupt passierte. "Du bist so in deinem Zorn versunken, dass du uns nicht mal siehst! Ich bin hier Matt und ich bin am Leben. Ich bin hier bei dir und möchte deine Sorgen und Gedanken hören. Ich möchte deine Trauer hören auch wenn ich selbst daran zerbreche, ich möchte deine Verzweiflung und Angst hören, denn das ist menschlich und ich kann an dir teilhaben. Ich kann dir beistehen, deine Hand halten und sagen morgen ist ein neuer Tag und es wird besser. Die Sonne ist zwar heute untergegangen, aber dafür wird sie morgen scheinen. Unsere Sonne ist untergegangen, aber morgen wird sie wieder scheinen, auch wenn es nur ein kleiner Lichtstrahl sein wird, wird sie wieder scheinen. Also bitte hör auf dich selbst so zerstören und lass mich deine Gefühle fühlen". Ich nahm seine Hand in meine Hände und sah ihn verzweifelt an. "Ich bitte dich" hauchte ich ihm entgegen während meine Augen langsam erneut Tränen fingen.

Matthew war sprachlos, dennoch öffnete es ihm die Augen. Er brauchte dies in diesem Moment. Er brauchte jemand der ihm die Augen öffnen konnte.

Auf seinem Gesicht bildete sich ein kleines Lächeln ab. Er legte seine rechte Hand auf meine Hände und drückte sie einmal fest. "Wie habe ich dich nur verdient".
Auf meinem Gesicht erschein ein erleichterndes Lächeln.

Ich trocknete meinen Körper ab und zog mir meine Nachtwäsche an. Dann plötzlich sah ich aus dem Augenwinkel wie mein Handy klingelte und Joachim's Name darauf erschien. Für einen Augenblick sah ich es an und für eine Millisekunde dachte ich daran ranzugehen. Doch entschied mich sofort dagegen. Ich drückte auf den Sperrbildschirmknopf und das Handy wurde Schwarz. "Schatz, kommst du?" rief Matt vom Schlafzimmer. "Ja, ich komme" antwortete ich ihm und drehte das Handy mit dem Bildschirm nach unten auf die Ablage bevor ich das Badezimmerlicht ausschaltete und ins Schlafzimmer lief.

Her pale fire | Band 3Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt