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"Später führen wir noch eine OP durch, um den Tumor an der Speiseröhre zu entfernen" erklärte ich dem Patienten die Vorgehensweise während meine Assistenzärztin neben mir stand. "Und tut das weh? Beziehungsweise werde ich was spüren?" besorgt sah mich der Patient an, doch ich versuchte ihm die Angst zu nehmen. "Nein, Sie werden narkotisiert und bekommen nichts mit. Und um Sie zu beruhigen kann ich Ihnen versichern, dass ich diesen Eingriff schon sehr oft durchgeführt habe" lächelte ich. Seine Mimik wurde leichter und er beruhigte sich tatsächlich.

Nachdem wir den Patienten über alles wichtige aufgeklärt hatten, verließen die Assistenzärztin und ich den Raum. "Bereiten Sie den OP für die Operation später vor" sagte ich ihr und wollte zum Gehen ansetzten. "Kommen Sie nicht mit in die NA, um die Patientin mit abdominellen Schmerzen abzuholen?" fragte sie mich. "Nein, Sie bekommen das hin. Bei Komplikationen piepen sie mich an" sagte ich ihr im Gehen. Ohne nochmal mich umzudrehen lief ich den sterilen Gang entlang. Ich konnte mich gerade nicht wirklich konzentrieren, nur diese eine Sache schwirrte mir den ganzen Tag im Kopf herum. Seufzend bog ich in einen weiteren Gang ein und verschwand somit.

Ich starrte einfach nur den Test vor mir an während ich auf der Toilette saß.
Wieder negativ..
Enttäuschung breitete sich in mir aus, ein bitterer Beigeschmack von Frust steckte auch mit drinnen. Es konnte doch nicht sein, dass ich weiterhin nicht schwanger wurde. Schon so lange starrte ich nur negative Tests an und jedes Mal zieht es meine Stimmung herunter. Je öfter ich diese negativen Tests anstarrte, desto mehr dachte ich daran, dass das Schicksal einfach nicht möchte, dass ich ein weiteres Kind bekam. Man fühlt sich als Frau schon ein wenig unweiblicher, wenn man keine Kinder haben kann und dies nagte an mir. Zwar ist mir bewusst, dass es nicht an mir lag, dennoch war es ein mieses Gefühl. Ich wollte weitere Kinder, doch es klappte einfach nicht. Ich sah schon vor meinem inneren Auge Matt wie sein glitzern in den Augen langsam verschwand, wenn ich ihm die Nachricht überbringen würde.
Das ist nicht fair.
Mit einem langen Seufzer starrte ich hinauf an die Decke und sammelte mich. Ich musste gleich noch operieren und dieses Gefühl von Niedergeschlagenheit ist nicht besonders hilfreich. In ein OP sollte man mit einer positiver Einstellung eintreten, das war ich dem Patienten schuldig. Noch einmal atmete ich tief durch, schloss die Augen, zählte bis zehn, stand auf und ging schließlich aus der Toilette.

Als ich in der Notaufnahme ankam herrschte reinstes Chaos. Es war so viel los und das Personal wurde auch immer weniger. Ich flog einmal meinen Blick quer durch die NA, bis mich jemand dabei unterbrach. "Emily". Ich sah nach rechts und erkannte Neil, ein Arbeitskollege und ein sehr guter Freund. "Hey" sagte ich schnell und zog mir die Handschuhe an. "Wie lief die OP?" fragend sah er mich von der Seite an während auch er Handschuhe anzog. "Ich operiere erst später" sagte ich und sah ihn kurz an. Dann drehte ich mich um und sah mir einige Unterlagen an über die Patientin, die ich gleich aufnehmen würde. Er beobachtete mich intensiv. Natürlich merkte ich es, doch ich versuchte es so gut es ging zu ignorieren. Doch ich kannte Neil zu gut, wenn ihm etwas auf der Seele brannte und er etwas loswerden will, fackelt er nicht lange und kommt sofort zum Punkt. Schon damals im Studium habe ich ihn so kennengelernt. Zuerst fand ich ihn komisch und habe ihn deswegen still aus der Ferne beobachtet bevor ich mir ein Bild machen konnte. Doch schon nach den ersten zehn Minuten als er den Tubus in die falsche Röhre der Übungspuppe gelegt hatte, wurde er mir sympathisch. Mit der Zeit lernten wir uns besser kennen und wurde somit auch gute Freunde.

"Und? Hat's geklappt?" er lehnte sich an den auf Rädern fahrenden Schrank an und versuchte mir ins Gesicht zu sehen. Ich sah auf und blickte ihn direkt an. Dann schüttelte ich langsam den Kopf und senkte diesen sofort wieder. Ich blätterte erneut in der Akte, Neil rührte sich jedoch überhaupt nicht in seiner Position. Langsam wurde es mir unbequem und ich hatte das Gefühl, dass mich tausend Augenpaare durchlöcherten. "Das wird schon, geb nicht auf" ertönte dann doch seine Stimme und er tätschelte mir freundschaftlich auf die Schulter. Mit einem kleinen Lächeln sah ich auf bevor ich mich umdrehte und mit der Akte in der Hand zu meiner Patientin ging.

Abends als ich nach Hause kam wartete Matt schon auf mich und empfing mich liebevoll. "Wie war dein Tag, Schatz?". Ein kleiner Kuss legte sich auf meine Lippen. "Keiner ist gestorben, von dem her war es ein angemessen guter Tag" lächelte ich erschöpft und sah ihn an. "Das ist sehr gut" lächelte mich nun mein Freund an. "Und wie war deiner? War viel los im Büro?" ich rückte seine Krawatte zurecht. "Du weißt doch, dass die Kunden bei mir Schlange stehen. Nicht umsonst bekommt man so schwer einen Termin bei mir" er zog die Augenbraue hoch und grinste breit. Ein kleines Lachen umspielte mein Gesicht. "Dann bin ich froh, dass du zu Hause nur mir gehörst". Langsam legte ich wieder meine Lippen auf seine, die er freudig empfing. "Du hast sowas von Recht". "Ich zieh mich um und dann können wir los" hauchte ich gegen seine Lippen bevor ich die Treppe hinauf ging und im Schlafzimmer verschwand.

Matt hatte einen Tisch in einem Restaurant reserviert, sodass wir schön zusammen essen gehen konnten. Ich genoss sehr die Zeit zu zweit, die wir füreinander hatten. Beruflich war demnach ziemlich viel los, weswegen wir viel Wert auf solche Abende legten wo wir einfach nur uns beide hatten und die Zeit zusammen verbachten. Während wir aßen tauschten wir uns aus was heute alles passiert war. Es war ein wunderschöner Abend und das Lokal war in einem angenehmen rot gehalten. Das Licht war auch gedimmt und das Restaurant schien dadurch ziemlich gemütlich.

"Hast du den Test gemacht?" Matt nahm einen Schluck aus seinem Champangerglas während er mich ansah. Wieder kam mir dieses eine Gefühl hoch von Frust und Enttäuschung. Seufzend sah ich an den Nachbartisch. Dort saßen eine Dame und ihr Ehemann, welche aßen und sich lächelnd unterhielten. Beide schienen ziemlich glücklich zu sein und ließen sich von keiner Negativität die Stimmung verderben. Ich wollte auch so etwas. Mit dem Mann, den ich über alles liebte alt zu werden und das restliche Leben in vollen Zügen genießen zu können ohne an die negativen Dinge im Leben denken zu müssen.
Langsam drehte ich meinen Kopf Matt wieder zu und schüttelte diesen leicht. Ich sah wie seine Mimik kurz fiel und er sich zwang sie wieder aufzubauen, um mir kein schlechtes Gefühl vermitteln zu müssen. "Naja, es wird schon klappen" sagte er und wollte die Hoffnung nicht aufgeben. Ich sah ihm jedoch an, dass er ebenso wie ich darunter litt. Innerlich seufzte ich auf und sah auf unsere Hände. Meine Hand lag mitten auf dem Tisch in Matt's Hand. Er hielt meine sanft in seiner. Schon so viel hatten wir zusammen erlebt und durch dieses eine kleine Puzzleteil war unser Bild noch nicht vollendet. Doch ich war nichtsdestotrotz dankbar für alles was wir erlebt und erreicht hatten. Dass wir gesund sind, dass Anastasia gesund ist und es uns gut geht. Mit einem Lächeln drehte ich unsere Hände um, sodass seine Hand nun in meiner lag. Meine zweite Hand legte ich auf seine und sah ihn an. "Wir können uns glücklich schätzen, dass wir uns haben und dass es uns gut geht. Dieses eine kleine Teil werden wir noch meistern, wir geben nicht auf". Auf seinem Gesicht bildete sich ein breites Lächeln ab als er meine Worte hörte und unsere Hände ansah. "Ja" hauchte er. "Du bist alles was ich jemals wollte und den Rest schaffen wir auch zusammen".

Her pale fire | Band 3Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt