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Ohne nachzudenken rannte ich die Gänge entlang. Ich nahm die Leute um mich herum nicht wahr, ich nahm die Umgebung nicht wahr. Alles spielte sich in Zeitlupe ab während ich einfach Richtung OP Saal rannte. So schnell ich konnte trugen mich meine Beine in das untere Geschoss des Krankenhauses. Treppen um Treppen lief ich runter, atmete so schnell ich konnte. Ich wusste nicht was ich denken sollte, was überhaupt passiert war. Mein Kopf war einfach leer. So schnell wie ich lief, hatte ich das Gefühl ich würde einfach schweben und meine Beine würden mich nicht tragen.

Als ich im OP Geschoss ankam, umkam mich sofort die sterile und drückende Atmosphäre.
Nie hatte es mich gestört,
die Sauberkeit,
der beißende Geruch nach Desinfektionsmittel,
die Kälte die in den Wänden herrschte.
Doch nun nahm ich alles viel eher wahr. Ein kalter Schauer lief mir den Rücken runter.
Während mich meine Füße weiter zu den OP Sälen trugen, schien mein Gehirn langsam wieder anzufangen zu denken.

Wie kam Joachim hier her?
War es wirklich Joachim? Oder habe ich es mir nur eingebildet?
Was war überhaupt passiert?
Ist ihm ein Unfall passiert?
Schwebt er in Lebensgefahr?

Mein Mund sowie meine Lunge waren so trocken, dass ich nicht mal mehr schlucken konnte. Ich schmeckte den eisigen Geschmack in meinem Mund als ich vor mich hin keuchte.
Mir gefror das Blut in den Adern, wenn ich nur an die Frage Was wäre wenn dachte. Würde mir Anastasia's Vater nun auch weggenommen? Auch wenn er viel Scheiße gebaut hatte, hatte er nicht so etwas verdient.
Wie konnte alles nur so weit kommen?

Weiter rannte ich den Gang entlang und sah eine OP-Schwester von weitem, welche mir entgegen lief. "Wo ist der Notfall mit dem Herz hin?!" rief ich ihr stückchenweise zu als ich aus der Ferne auf sie zu lief. Sie schien jedoch nicht zu verstehen was ich genau meinte. "Welcher OP?!" schrie ich nun lauter. Ich schrie sie an, ich schrie so laut ich konnte. Mit zusammengekniffenen Augen durchbohrte ich sie mit meinem Blick, ich war sauer. "Saal 3" sagte sie schnell und sah mir verwirrend zu wie ich an ihr vorbei rannte in den jeweiligen Saal.

"Sie können da nicht rein" eine weitere OP-Schwester versuchte mich an meiner Aktion zu stoppen den Saal zu stürmen, doch ohne Erfolg. Ohne zu zögern drückte ich die Tür auf und sah durch die Scheibe zu den ganzen Chirurgen, welche am operieren waren. Ich sah nur die Chirurgen, mehr nicht. Mein Herz schlug so schnell in meiner Brust, dass ich völlig versteinert dar stand. Mir raubte es förmlich den Atem, ich konnte nichts realisieren. Ich konnte mich nicht bewegen, doch ich musste, ich musste mich dazu zwingen.
Ich realisierte nicht mal, dass die OP-Schwester von vorher mir gefolgt war und versuchte auf mich einzureden. Schnell schnappte ich mir eine Maske und hielt sie vor mein Gesicht bevor ich den OP betrat. Alle sahen sofort zu mir auf.

"Was machen Sie hier? Und wieso betreten Sie meinen OP Saal ohne sich vorher gewaschen zu haben?!" murrte der Operateur mich an, hob nur seinen Blick, mehr nicht. Doch ich fokussierte mich eher auf den Menschen, der auf der Liege lag und von den Maschinen künstlich beatmet wurde. "W-was hat der Patient?" piepste meine dünne Stimme. Ich versuchte es mir nicht anmerken zu lassen, dass ich gerade innerlich zerbreche. Das komplette OP Team sah mich einfach nur an, samt dem Operateur. Er sagte einfach nichts. Ich versuchte an den Menschen vorbeizusehen wer vor ihnen lag, doch so sehr ich mich auch anstrengte, ich sah nichts. "Ist es.. etwas Schlimmes?" ich schluckte einmal. Ich räkelte und streckte mich, doch es brachte einfach nichts, es waren nach wie vor viele Menschen im Raum und sie verschwanden auch nicht, auch so sehr ich versuchte durch sie hindurchzusehen, nichts.
"Emily" sagte der Operateur und merkte, dass es mir nicht gut ging in diesem Augenblick. Ich sah ihn nun an. "Kennen Sie diesen Patienten?" fragte er mich im ersten Ton. Nach wie vor hatte er seine Statur nicht geändert, nur sein Blick lag still auf mir.

"Ich muss sehen wer das ist" sagte ich und starrte ihm direkt in die Augen.

Einen Augenblick, nein eine Ewigkeit sahen wir uns nur an. Auch wenn es nur für einen winzig kleinen Augenblick war kam es für mich wie eine halbe Ewigkeit vor. "Lassen Sie mich ihn sehen" sagte ich erneut und klang dabei sogar ein wenig fordernd. Ich wollte, nein ich musste sehen ob das Joachim war und die Tatsache, dass ich nicht quer durch den Raum rennen konnte und nur an der Schleuse stand machte diese Situation noch schwerer als sie so schon war.

"Sie werden sich jetzt wieder umdrehen und meinen OP Saal verlassen, haben Sie das verstanden?" sagte er ältere Mann etwas deutlicher und in einem ruhigen Ton. Er wusste, dass ich hier nichts verloren hatte und selbstverständlich merkte er, dass ich aufgebracht war und dies nicht im OP erwünscht war. Wild schüttelte ich den Kopf. "I-ich k-kann helfen. Ich wasch mich nur noch schnell und dann-" fuchtelte ich wie wild mit meinen Händen umher, doch er unterbrach mich sofort. "Nein, Sie verlassen jetzt den Saal.." noch einmal sah er mir in die Augen. "...zur Sicherheit des Patienten". Nachdem er seinen Satz fertig gesprochen hatte, nickte er und sah leicht nach rechts an mir vorbei.
Genau in diesem Augenblick spürte ich wie mich jemand an den Armen packte und hinausschleppte. Ich wehrte mich schrie um mich, ich wollte doch nur wissen ob es Joachim war.

Auf dem Gang draußen diskutierte ich mit meinen Krankenhaus Kollegen wie wild. Ich versuchte ihnen zu erklären, dass das der Vater meiner Tochter war und ich ahnungslos hier stand und nicht mal wusste, ob er überhaupt derjenige war der auf der OP Liege lag, geschweige denn wieso er überhaupt im OP lag und operiert wurde. Ohne dass es mir auffiel fingen meine Augen an zu tränen, einfach vor Verzweiflung. Ich wusste nicht wie lang es dauerte, es fühlte sich wie eine Ewigkeit an und ich fühlte mich einfach verloren. Ich hatte das Gefühl ich wäre diejenige die verrückt geworden war und kein Mensch mir glaubte so als hätte ich mir all das hier ausgedacht, ich fühlte mich einfach allein gelassen.
Sein Kardex lag im Operationssaal und ich saß einfach hier im Dunklen und konnte nichts an der Situation ändern.

Dann endlich nach Ewigkeiten öffnete sich die Patientenschleuse und sie schoben ihn raus. Sofort wendete ich mich vom Personal ab und sah zum Geschehen. Ich wusste nicht ob es Erleichterung war oder nicht, die mir abfiel. Denn dieser Patient war tatsächlich Joachim, ich hatte mich auf Station doch nicht vertan oder halluziniert, er war es wirklich. Zusätzlich war er nicht mit einem Leintuch verdreckt um so zu verdeutlichen, dass er verstorben war.

Sofort lief ich auf die Menschen vor mir zu, die ihn herausschoben. Ich sah Joachim an, der weiterhin künstlich Beatmet wurde und friedlich vor mir auf der Liege lag und schlief. Mir fiel ein Stein vom Herzen. Einen kurzen Moment sah ich ihn mir an bevor mich das Personal unterbrach. "Er musst auf Station verlegt werden" sagten sie mir so als würde ich das nicht wissen und mein Arztkittel nur Dekoration sei. Mit zusammengekniffenen Augenbrauen sah ich die Frau vor mir an, die sich gerade geäußert hatte und schnappte mir Joachim's Kardex welches halb unter seinem Kissen lag.

Oben auf Station angekommen saß ich neben seinem Bett und las mir den kompletten OP Bericht sowie das Kardex durch. Die Schwestern wollten natürlich sein Kardex haben für die Dokumentation, doch ich musste es selbst einmal durchlesen, mir war es in diesem Zeitpunkt egal was alle anderen wollten. Ich hatte so lange gewartet nun mussten sie warten bis ich mit dem Studieren seiner Mappe fertig war. Mitralklappeninsuffizienz.

Patient wurde mit Dyspnoe und Synkope vom RTW zu uns eingeliefert. Reanimation und O2 Gabe veranlasst. Nach Aufnahme sofortige Veranlassung zum chirurgischen Eingriff...

Mir wurde immer schlechter je weiter ich las. Oh Gott, wenn der Rettungsdienst nicht rechtzeitig bei ihm eingetroffen wäre, dann.. Ich wollte mir das nicht einmal ausmalen. Während der OP kam es zum Glück zu keinen Komplikationen. Ich rieb mir über die Stirn und musste erst einmal alles runterschlucken. Ich musste verstehen was passiert war. Hätte.. hätte ich das gewusst.... Ich hätte ihn nie alleine gelassen, ich hätte ihm zum Arzt schicken sollte, schon früher viel früher als wir noch zusammen waren.. Aber hatte er damals schon Symptome gehabt? Nicht dass ich wüsste. Dennoch hätte ein Besuch beim Kardiologen nicht geschadet...
Ich suchte die Schuld bei mir, natürlich suchte ich sie bei mir. Ich hatte ihm so viele Vorwürfe gemacht, ich hatte ihn immer wieder gestresst, ihm die Schuld an allem gegeben, ich- wieso bin ich so stur und einsichtslos? Ich versank mein Gesicht in den Händen.

Ich hob meinen Blick und sah auf die kahle weiße Wand. In meinen Augen stauten sich die Tränen. Wäre ich nicht so verbissen gewesen wäre vielleicht alles ganz anders gelaufen.

Ich sah zu ihm runter und beobachtete wie er ruhig atmete. Der Beatmungsschlauch würde eine Zeit lang sein Begleiter sein bis er wieder aufwacht. Mir kam dieses Bild hoch wie er damals ebenso in der gleichen Position im Krankenhaus lag und künstlich Beatmet wurde als der Autounfall passierte. All die Verbände, Wunden, Prellungen all das Schreckliche was damals passiert war wiederholte sich nun wieder wie ein Teufelskreis.

Ich schluchzte einmal auf bevor ich seine Hand in meine nahm. Leicht fuhr ich mit meinem Daumen über seinen Handrücken. "Es tut mir so leid" hauchte ich mit tränenerstickter Stimme ihm zu bevor ich seine Hand los ließ, aus dem Zimmer lief und die Tür leise hinter mir schloss.

Her pale fire | Band 3Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt