Mein Atem stockte. Mir blieb die Spucke weg. Es war so ruhig in, nennen wir es mal Mr Amberlas Büro, sodass man die berühmte Stecknadel hätte fallen hören können. Doch sie fiel nicht.
"Schwarz?"
Er nickte und senkte seinen Blick wieder auf den Boden.
"Was hat das zu bedeuten?" Es war ein komisches Gefühl, sich mit jemandem zu unterhalten, der einen nicht ansah. Doch ich verstand ihn und versuchte es deshalb zu ignorieren.
"Das kann ich Ihnen leider nicht sagen", antwortete er, "nicht, weil ich nicht will, glauben Sie mir, wenn ich Ihnen sage, dass ich dies nur zu gerne würde. Aber ich weiss es schlicht und einfach nicht. Deshalb herrscht hier auch so ein Chaos. Ich habe das ganze Archiv der Bibliothek auseinandergenommen um dahinter zu kommen. Ich suche Tag und Nacht nach einer Erklärung, finde aber einfach keine", er ballte seine Hände zu Fäusten.
"Sie meinen als, die ganzen Papiere und Bücher", ich sah mich nochmal um, um mir bewusst zu werden, wie viele Unterlagen es tatsächlich waren, "liegen hier nur meinetwegen? Weil Sie bei mir nichts sehen?"
Er korrigierte mich: "Ich sehe nicht nichts. Ich sehe schwarz. Das ist was anderes. Wenn ich nichts sehen würde, könnte ich sie ansehen und einfach nur ihr Gesicht sehen, mehr nicht."
Ich seufzte. Das konnte doch nicht wahr sein. Wenn selbst Mr Amberla nicht wusste, was das zu bedeuten hatte, wer konnte es dann wissen?
"Sie müssen wissen", sagte er, "dass ich meine Blicke in Anderen immer deuten kann. Meistens ist es etwas ganz banales, wie die Erstgeborenen im Unterricht sitzen, spazieren gehen oder sich mit anderen unterhalten. Aber bei Ihnen... nur schwarz."
Das ganze kam mir ziemlich unheimlich vor. „Können Sie sonst noch etwas sehen?"
Zu meiner Enttäuschung schüttelte er den Kopf. „Leider nicht."
***
Ich hatte mich nicht länger mit Mr Amberla unterhalten können. Die nächste Stunde hatte bereits angefangen, als ich die Korridore entlang eilte und die Treppen nach unten spurtete. Ich wusste nicht, wie ich mich nach diesem Gespräch überhaupt noch auf Mr Grain's Unterricht konzentrieren sollte. Dass Mr Amberla schwarz sah, war mir eigentlich ziemlich egal. Nur, dass er dies nicht deuten konnte, dass es ihn verrückt machte, er nach Gründen dafür suchte und nicht fündig wurde, war das, was mir Angst machte.
Mir war schon lange klar, dass sich in letzter Zeit etwas verändert hatte. Diese ganzen merkwürdigen Ereignisse waren nicht normal. Ich bereute es, dass ich Mr Amberla nicht eingeweiht hatte, vielleicht wüsste er etwas damit anzufangen. Alleine wusste ich nicht weiter und Elliot schien auch nicht mehr zu wissen.
Gerade, als ich die letzten Treppenstufen runtergesprungen war, erklang wie aus dem Nichts eine Stimme. Es war die von Hawking.
"Alle Erstgeborenen, begeben sich unverzüglich in den grossen Saal. Lassen Sie alles stehen und liegen und begeben Sie sich sofort dort hin. Ich wiederhole, alle Erstgeborenen in den grossen Saal. Die Lehrerschaft bitte ich auf der Stelle in mein Büro. Auf der Stelle."
Es dauerte nicht lange und es wurden sämtliche Türen aufgerissen. Schülerschaaren strömten an mir vorbei. Von links und rechts wurde ich angerempelt und ich wusste gar nicht was hier vor sich ging. Ich versuchte meine Klasse unter den laufenden Schüler ausfindig zu machen und entdeckte schliesslich Anna und Rufus. "Aurelia!", winkte sie mir zu, "hier sind wir."
Ich bahnte mir einen Weg auf die andere Seite des Korridors. "Was ist denn los?", fragte ich aufgeregt. "Wir haben nur die Durchsage gehört", antwortete Rufus, "keine Ahnung was hier vor sich geht." Zusammen liefen wir los.
DU LIEST GERADE
Die Erstgeborenen | ✔️
FantasíaIn der magischen Welt Endola gelten Erstgeborene als elitär. Sie besitzen besondere Fähigkeiten die mit sechzehn Jahren in Kraft treten. Aurelia Cohan ist die Erstgeborene und erbt somit das magische Gen ihrer Familie, welches sie in der "Emiva" Sch...