Sechstes Kapitel

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"Kommt schon, nicht trödeln. Wir haben schliesslich nicht ewig Zeit", wurden wir von der blonden Frau namens Tanya, gescheucht, obwohl wir bereits in einem zügigen Laufschritt hinter ihr herliefen. Sie führte mich zusammen mit vier anderen Jugendlichen quer durch das ganze Department. Wir bogen um zick Ecken und ich hatte das Gefühl im Kreis zu laufen, da hier alles gleich aussah. Alleine hätte ich mich garantiert verlaufen. Unzählige Leute kamen uns entgegen und quetschten sich an uns vorbei. Ich musste aufpassen, dass ich den Gruppenanschluss nicht verlor.

Während wir uns hier quer durch das ganze Department bewegten, wagte ich es, einen Blick auf die anderen Erstgeborenen zu werfen. Die Namen der drei Jungs hatte ich mir nicht richtig merken können. Nur der des Mädchens war in meinem Kopf geblieben. Novalee Castillo. Ihr braunes, glattes Haar reichte ihr bis zu den Schultern. Die vollen Lippen passten perfekt in ihr rundes Gesicht. Ihre dichten Augenbrauen harmonierten mit ihren hellbraunen, grossen Augen. Sie war wunderschön.

"Ruhe und zuhören bitte», sagte Tanya, obwohl niemand von uns auf dem Weg gesprochen hatte. Ich hatte nicht gemerkt wie wir in einen grossen klinischen Raum gelangt waren. Es sah aus wie in einem Krankenhaus. Mehrere Liegen wurden durch hellblaue Raumteiler voneinander getrennt. Magier waren in Kittel mit dem selben hellblauen Ton gekleidet und eilten mit Spritzen und allen möglichen Flüssigkeiten in kleinen Fläschchen und Reagenzgläsern zwischen den Liegen umher. Einige von ihnen waren bereits besetzt.

"Bei eurer Geburt wurde euer Gen von uns sichergestellt und jetzt, werden wir es euch wieder geben." Mit einem Klemmbrett unter dem Arm und mit verschränkten Armen vor ihrem Unterleib stand Tanya aufrecht da. Sie erklärte uns, was sie nun genau mit uns vorhatte und wir wurden auf die übrigen leeren Liegen verteilt.

Ich schwang meine Füsse hoch und machte es mir bequem. Mir gegenüber, auf der anderen Seite, lag ein junger Mann der gerade eine Spritze in den Arm gepikst bekam. Ich war nervös.

Eine Mann mittleren Alters, voll tätowiert und mit Glatze trat an mich heran. "Hallo, mein Name ist Thomas. Ich gebe dir heute dein Gen zurück", stellte er sich freundlich bei mir vor und warf mir ein strahlendes Lächeln zu. "Aurelia."

Ich musste kräftig schlucken, als sich der restliche Inhalt meines Magen drehte. Er schien Saltos zu schlagen. Gleich, sobald ich mein Gen zurückerhalten habe, würde ich dazugehören. Ich würde eine Magierin sein. Jetzt, als ich hier so lag, konnte ich mir nicht mehr vorstellen normal zu sein. Ich war etwas Besonderes und das wollte ich in vollen Zügen ausleben.

"Gut, na dann", Thomas setzte sich auf den kleinen Drehstuhl neben mich an die Liege. "Würdest du bitte deinen Oberkörper frei machen?"

Ich zog die Augenbrauen hoch. Wie bitte? Ich hatte mich wohl verhört.

"Entschuldigen Sie bitte?", ich rückte instinktiv ein Stück von ihm weg. "Du musst deinen Oberkörper frei machen , damit ich dir dein Gen zurückgeben kann." Er sah mich herausforderungsvoll an.

"Ich bin aber eine Frau", sagte ich verwirrt. Ich würde mich doch nicht in einem Raum voller Menschen ausziehen. Thomas nickte: "Ist mir bewusst. Aber ich habe schon viele Oberweiten gesehen, ist also nicht neues. Also?" Er wartete geduldig.

Überrascht von seiner Offenheit willigte ich schliesslich ein und zog mir mein Langarmshirt über den Kopf. Die kalte Luft legte sich auf meine dünne Haut und meine Härchen stellten sich schlagartig auf.

Es war mir unangenehm mich oben ohne vor einem Mann zu zeigen. Ja, nicht nur vor einem. Es waren schliesslich viele Männer im Raum. Das hatte ich noch nie zuvor getan. In Endola hatte man es nicht so sehr mit Privatsphäre und Intimität.

Thomas liess sich jedoch nichts anmerken und begann mit seiner Arbeit. Er erklärte mir ausführlich jeden seiner Arbeitsschritte, was mich unglaublich stark beruhigte. Zuerst desinfizierte er die Haut zwischen meinem Busen. Anschliessen bekam ich sechs Spritzen mit meinem Gen injiziert.

"Damit sich das Gen auch überall verteilt", erklärte Thomas.

Ich nickte und spürte ein leichtes Brennen auf meiner Haut. Die erste Spritze ging zwischen meine Oberweite, eine in den linken Arm, eine in den rechten Arm, jeweils eine in meinen Oberschenkel und zum Schluss noch eine in meinen Hinterkopf.

Sofort spürte ich wie die Wärme in meinen Körper schoss und sich verteilte. Es kribbelte leicht und ich fühlte mich wie benommen. Thomas tupfte die Einstichstellen nach ein paar Minuten mit einem Stück Watte ab.

So schnell wie möglich zog ich mir mein Oberteil wieder an und legte mich dann entspannt zurück. Ich musste noch eine Weile liegen bleiben um auch wirklich sicher zu gehen, dass alles so geklappt hatte, wie es sollte.

Thomas war bereits weitergezogen, denn es wurde eine neue Gruppe von Erstgeborenen in den Raum geführt und auf die Liegen verteilt. Ich beobachtete sie gespannt, als die Trennwand zu meiner Rechten zur Seite geschoben wurde und ein Kopf mit aschblondem Haar hervor schaute.

"Hi", sagte der Junge und strahlte mich an.

"Hallo", entgegnete ich.

"Fühlt sich komisch an, was?", lächelte er mir zu und deutete auf meinen Körper.

"Ja, sehr. Etwa so, wie wenn man bei Kälte draussen war und dann ins Warme rein kommt. Das kribbelt auch immer so."

"Ganz schön langweilig hier rum zu liegen und zu warten. Ich habe schon das Gefühl seit Ewigkeiten hier zu liegen, doch es sind bestimmt erst ein paar Minuten vergangen."

Ich stimmte ihm zu. "Ja, das stimmt. Es zieht sich wirklich total in die Länge."

Er nickte mir lachend zu: "Ich bin übrigens Elliot."

Ich schüttelte ihm die dünne Hand, die er mir rüber hielt, und stellte mich ebenso vor. "Aurelia."

Elliot und ich unterhielten uns bestimmt eine halbe Stunde lang während wir da lagen und warteten bis wir endlich nach Hause gehen konnten. Ich erfuhr, dass er ebenso der Emiva zugeteilt wurde. Somit würde Cosmos Gesicht also nicht das einzige sein, welches ich bereits kennen würde.

Elliot durfte vor mir nach Hause gehen. "Hat mich gefreut dich kennenzulernen, Aurelia", verabschiedete er sich von mir. "Wir sehen und dann in Emiva, mach's gut."

"Tschüss Elliot. Bis dann."

Es dauerte noch gute zehn Minuten, bis auch ich gehen durfte. "Versuche dich die nächsten Tage etwas zu schonen. Es kann sein, dass dir schwummrig wird oder auch übel", trichterte mir Thomas ein.

Ich versprach ihm, keine körperlichen Aktivitäten auszuführen, die anstrengend für mich sein könnten und meinem Körper etwas Ruhe zu gönnen.

Ich schwang meine Beine von der Liege und wurde zurück zu Amanda gebracht.

Die Erstgeborenen | ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt