Esmera, Dean und ich hatten uns alle an einen Tisch gesetzt, ich am Kopfende. Vor uns standen drei Tassen heisser Kamillentee.
Ich begann Esmera alles zu erzählen. "Esmera, ich war nicht ganz ehrlich zu euch, als ich sagte, dass es mir in Emiva gut geht. Es sind Dinge vorgefallen, von denen ich euch nichts erzählt habe."
Mein Herz schlug und ich fing an zu zittern. Aus irgendeinem Grund war ich furchtbar aufgeregt.
Alles fing an, als ich das Gen erhalten habe. Seither wache ich Nachts öfters auf, zweimal pro Nacht und das immer zu den selben Uhrzeiten. Bevor ich nach Emiva gegangen bin, habe ich ein eigenartiges Gespräch zwischen Amanda und Aralda mitbekommen, ganz zufällig. Im Groben ging es darum, dass sie mich beschützen müssen und deshalb gegen viele Regeln verstossen."Esmera sah mich an, als würde ich eine andere Sprache sprechen.
"Ich hatte Träume von Engeln und in diesem Träumen, haben die Engel auch mit mir kommuniziert. An einen Engel kann ich mich noch erinnern, das war Erzengel Gabriel. Ich dachte, dass sei nur ein Traum und hab mir nichts daraus gemacht. Als ich dann aber in Emiva war, hörten diese seltsamen Dinge nicht auf. Ich bin öfters Raben begegnet, hatte letztens erst einen in meinem Zimmer. Ich glaube, ich brauche dir nicht zu erzählen, dass Raben ein böses Zeichen sind."
"Nein", Esmera schüttelte den Kopf, "das weiss ich."
"Ich bin unheimlichen Gestalten begegnet und immer schienen mich Engel vor ihnen zu beschützen. Ich habe mich unsicher gefühlt und ich hatte Angst."
Die Worte sprudelten einfach so aus mir heraus. Ich achtete gar nicht, was ich sagte, ich tat es irgendwie einfach. "Ich habe mich dann einem Lehrer anvertraut. Er heisst Mr Amberla und unterrichtet Hellsehen und Wahrsagen. Ausserdem hat er das zweite Gesicht. Wenn er die Erstgeborenen ansieht, hat er manchmal Visionen ihrer nahen Zukunft. Bei mir... funktioniert das nicht. Bei Mir sieht Mr Amberla einfach nur schwarz, was sehr ungewöhnlich und schlecht ist."
Ich spürte plötzlich Deans Hand, die sich unter dem Tisch auf meinen Oberschenkel gelegt hatte. Er drückte ihn leicht und sagte mir so, dass ich es gut machte.
"Ich bin mir sicher, dass der Angriff auf die Schule irgendwie mit den Ereignissen, die mir widerfahren, zusammenhängt. Seit ich Raben sehe, werden sie überall gesichtet, auch hier unten in Endola. Als ich dann für ein paar Tage zuhause war, habe ich wieder ein Gespräch zwischen Amanda und Aralda mitbekommen. Sie haben die Schulleiterin, Mrs Hawking, erwähnt. Sie muss da also auch mit drin stecken. Sie haben auch gesagt, dass er mich auf keinen Fall kriegen darf und auch nicht wird."
"Wer ist er?"
"Keine Ahnung, Esmera. Wenn ich das nur wüsste."
"Okay, tut mir leid, ich wollte dich nicht unterbrechen. Erzähl weiter."
"Zurück in der Schule sind Dean und ich zufällig auf ein altes Jahrbuch von Emiva gestossen und wir fanden ein Bild von Mama darin. Mama ist also eine Erstgeborenen und sie war auch in Emiva."
"Nein", stiess Esmera geschockt aus.
"Doch", nickte ich. Sie schnappte nach Luft. "Wie bitte? Hat Mama uns also die ganze Zeit belogen? Und Oma auch?"
"Nicht nur in dieser Sache, Esmera."
Erneut schnappte sie nach Luft. "Worin denn noch?"
"Etwas später hat mich Mr Amberla zu sich gerufen. Ich hatte ihm alles erzählt und er hat ziemlich viel geforscht, da er mir so auch nicht weiterhelfen konnte. Die Sache mit den Engeln hat ihn besonders verunsichert. Er hat also geforscht und hat herausgefunden, dass Engel nur untereinander kommunizieren können. Ein Engel kann also gar nicht mit einem Erstgeborenen kommunizieren, es ist nicht so, dass er nicht will - er kann nicht. Und da mit mir ein Engel kommuniziert hat, bedeutet das, dass ich ein Engel bin."
Ich schnappte nach Luft und wartete auf Esmeras Reaktion. Die liess allerdings auf sich warten. Sie schaute mich nur mit diesem Blick an, der sehr schwierig zu deuten war. "Du bist ein was?"
"Ein Engel, Esmera und du bist es auch, da wir ja... Zwillinge sind."
Ihre Augen weiteten sich. "Wie ist das möglich?", rief sie empört aus, ihr Kinnlade herunter geklappt.
"Ich weiss es nicht. Denkst du Mama ist ein Engel?"
Ohne zu überlegen, schüttelte sie den Kopf. "Nein, nie im Leben. Mama ist so gar nicht Engel."
Ich fuhr fort. Jetzt kam der Teil, vor dem ich Angst hatte. "Und wir sind uns einig, dass Mama unsere Mama ist? Wir sehen ja alle drei gleich aus."
"Ja", sagte sie verwirrt und zog das a dabei in die Länge.
Mein Herz schlug schneller. Ich schluckte. "Und es ist klar, dass Papa ein Mensch ist?"
"Worauf willst du hinaus?"
"Papa ist nicht unser Papa..."
"Weil wir sonst kein Engelsblut besitzen können", beendete Esmera meinen Satz und ich nickte.
"Scheisse", sagte sie nur und traf dabei mitten ins Schwarze. Ja, diese Situation war scheisse, da brauchte man gar nicht lange drum rum reden.
"Hat Mama ihn betrogen?"
Ich zuckte mit den Schultern. "Vielleicht weiss er's auch? Sie haben schliesslich geheiratet, als Mama frisch schwanger war."
"Oh Gott", Esmera fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare, welche heute ausnahmsweise mal nicht zu zwei Zöpfen geflochten waren.
"Mama hat sich also von einem Engel schwängern lassen", sagte ich leise und schaute zu Dean, der mich liebevoll und aufmunternd anlächelte.
"Aber Moment mal", sagte Emsera auf einmal und richtete sich kerzengerade auf. "Wenn Engel nur mit Engel kommunizieren können, wie hat Mama dann mit unserem Vater kommuniziert?", sie verzog das Gesicht. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie Sex mit einem Mann hatte, mit dem sie kein Wort geredet hat. Nein, stopp", sie schüttelte den Kopf, "das geht gar nicht. Engel haben nicht dieselbe Gestalt wie wir."
Ich erinnerte mich an Erzengel Gabriel aus meinem Traum. Er sah nicht annähernd so aus wie wir. Er war grösser und bestand irgendwie aus Licht.
"Wie sind wir also entstanden?", fragte ich Esmera, als würde ich eine Antwort von ihr erwarten. Doch sie hatte natürlich keine.
Dean räusperte sich. "Darf ich auch etwas sagen?"
Ich nickte. Ich hatte total vergessen, dass er auch noch hier war.
"Also", begann er, "ich würde euch auf jeden Fall empfehlen, so schnell wie möglich mit eurer Mutter zu sprechen. Es bringt euch nichts, wenn ihr hier vor euch her überlegt und euch dadurch verrückt macht. Ausserdem... das ist mir jetzt auch nur gerade in den Sinn gekommen, weil wir, Aurelia..." er schaute mich kurz an, "gestern Abend darüber gesprochen haben."
"Der Höllensturz", sagte ich atemlos.
"Ein gefallener Engel lebt dann auf der Erde, so wie wir und nimmt die Gestalt einer Person an. Das Blut, bleibt aber dennoch reines Engelsblut, das verändert sich mit dem Sturz auf die Erde nicht, er ist dann strenggenommen immer noch ein Engel. Das heisst also, wenn das alles so passiert ist, wie ihr hier vermutet, dann muss eure Mutter also mit einem gefallenen Engel geschlafen haben. Anders kann ich mir das beim besten Willen nicht erklären", kombinierte ich.
Esmera seufzte. "Das klingt alles so unreal."
Ein schrecklicher Gedanke hatte sich in mein Hirn geschlichen, ich traute mich gar nicht, ihn auszusprechen. Dean schien das Gleiche zu denken. "Sag du es", forderte er mich auf.
Das tat ich. "Luzifer. Luzifer muss unser Vater sein."
***
Wir kommen der Wahrheit immer näher... ich bin irgendwie ganz aufgeregt🙈Ich hoffe es geht euch allen gut!!!
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Die Erstgeborenen | ✔️
FantasyIn der magischen Welt Endola gelten Erstgeborene als elitär. Sie besitzen besondere Fähigkeiten die mit sechzehn Jahren in Kraft treten. Aurelia Cohan ist die Erstgeborene und erbt somit das magische Gen ihrer Familie, welches sie in der "Emiva" Sch...