Es kam mir so vor, als würde die Zeit hier oben auf dem Berg, viel schneller vergehen als unten in Endola. Die Tage zogen sich in keinster Weise in die Länge, sondern schienen nur so an mir vorbei zu fliegen.
Wenn ich Dean ab und zu auf den Korridoren begegnete, nickte er mir leicht zu. Jedoch sah ich ihn selten.
Ich hatte Recht behalten. Wahrsagen und Hellsehen war wirklich mein liebstes Fach und nun, da ich über Mr Amberla Bescheid wusste, beobachtete ich ihn immer mehr und sah es genau, wenn er irgendwelche Blicke hatte. Leider wusste ich noch nicht, ob er mich auch mochte. Ich nahm mir vor, eine von den besten Erstgeborenen in seinem Fach - und aus meiner Klasse seine Lieblingsschülerin zu werden. Vielleicht schaffte ich es sogar so weit, dass er mir mehr über sein zweites Gesicht erzählen würde. Ich war unglaublich davon angetan.
Je mehr ich von Wahrsagen und Hellsehen fasziniert war, desto weniger Begeisterung konnte ich für das Fach Magische Geschichte aufbringen. Es wurde von Mr Sutter unterrichtet. Ein ziemlich dicker Mann mit einem Sturkopf ohne Haare und ständiger Pfeife im Mund. Selbst wenn er mal keine Pfeife zwischen den Lippen klemmen hatte, konnte man den penetranten Geruch schon meterweise im Voraus riechen.
Ausserdem war sein Unterricht bieder. Mr Sutter atmete so schwer, dass er manchmal eine zwanzig sekündige Verschnaufpause einlegen musste um wieder einigermassen normal reden zu können.
Es war Freitagmorgen und momentan war es ruhig im Klassenzimmer, da Mr Sutter genau jetzt diese Pause benötigte. Laut atmete er ein und aus.
"Also", fuhr er mit seiner tiefen, kratzigen Stimme fort, "unser magisches Gen gibt es schon seit ewigen Zeiten. Damals, bei den ersten Magiern und Magierinnen wurde das Gen auch noch an Zweit-, Dritt- oder Viertgeborene vererbt. Es war weiter verbreitet als zu unserer Zeit. Hat jemand eine Idee, wieso es heute nur noch den Erstgeborenen vererbt wird?"
Keiner wusste eine Antwort darauf. Woher auch? Es war unser erstes Mal, dass wir in magischer Geschichte unterrichtet wurden.
Mr Sutter zog die Augenbrauen zusammen und ich konnte ihm ansehen, dass er verärgert über unser Unwissen war.
"Selektion", sagte er schlicht, ehe er anfing zu husten und nach Luft rang. "Entschuldigen Sie", sagte er und klopfte sich auf die Brust, "dauert nicht lange."
Elliot, der neben mir sass flüsterte mir zu: "Dauert wahrscheinlich auch nicht mehr lang, bis er's nicht mehr macht." Ich schmunzelte.
Elliot war ein lustiger Junge. Das hatte nicht nur ich bemerkt, sondern auch der Rest unserer Klasse. Er war der Spassvogel und da ich immer neben ihm sass und deshalb alles genau mitbekam was er sagte, war auch ich diejenige die am meisten ermahnt wurde, wenn sie laut lachte.
Mr Sutter fuhr fort: "Weil mehr Leute das Gen besassen, führte dies zu Kriegen. Jeder wusste besser mit seiner Magie umzugehen, jeder war der Meinung er könne etwas besser als sein Nebenmann. Nur die Stärksten konnten sich durchsetzten und das waren hauptsächlich die Erstgeborenen, da ihnen am meisten Magie vererbt wurde. Je später man geboren wurde, desto weniger magische Kräfte besass man, da die älteren Geschwister schon alles geerbt hatten."
Das erschien mir logisch. Mr Sutter erzählte uns noch etwas von den Kriegen, die es damals gab und deren Auswirkungen. "Die Erstgeborenen hatten sich zusammengeschlossen und gegen Zweit- und Drittgeborene verschworen. Teilweise sogar gegen die eigenen Brüder und Schwestern. So weit ging dieses Machtspiel. Alle, die nicht an erster Stelle geboren waren mussten um ihr Leben fürchten, denn ihre Magie reichte nicht annähernd aus, um sich gegen die Erstgeborenen durchzusetzten. Sie wurden verfolgt, gequält und getötet." Er begann erneut zu husten.
Der Freitagmorgen ging schnell vorbei und ich hatte das Mittagessen schon fast beendet, Erbsenauflauf mit Efeusauce, als mir Cosmo gerade etwas über Metamorphose erzählte. "Das war heute total langweilig. Mrs Adler meinte, dass wir noch lange, lange üben müssten, ehe wir uns selbst daran wagen können. Deshalb hat sie uns nur Theorie lesen lassen und uns einige Beispiele gezeigt. Ich will mich endlich selbst verwandeln können."
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Die Erstgeborenen | ✔️
FantasíaIn der magischen Welt Endola gelten Erstgeborene als elitär. Sie besitzen besondere Fähigkeiten die mit sechzehn Jahren in Kraft treten. Aurelia Cohan ist die Erstgeborene und erbt somit das magische Gen ihrer Familie, welches sie in der "Emiva" Sch...