Fünftes Kapitel

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Mir war speiübel. Es war der vierte August und ich stand neben meiner Grossmutter, die sich wie immer ordentlich herausgeputzt hatte, auf einem kreisrunden Platz, auf dem eine Sonnenuhr abgebildet war. Um uns herum war die Hölle los. Etliche Leute waren unterwegs, die in sämtliche Richtungen liefen. Vor uns das Department. Ein riesiges Gebäude, vierstöckig, nobel und exquisit, eine weisse Backsteinmauer als Fassade. Mächtige Säulen, die den Vorsprung im zweiten Stock stützten.

Mir war schon seit gestern Abend schlecht vor Aufregung und Nervosität gewesen und auch heute morgen war das unwohle Gefühl in meinem Magen nicht verschwunden. Als ich nun hier vor dem Department stand, konnte ich mich nicht länger zurückhalten. Ich übergab mich, mitten auf der Strasse. "Kind", entfuhr es Amanda, "so schlimm?" Ich nickte beschämt und fuhr mit dem Handrücken über meinen Mund. Der eklige Geschmack in meinem Mund blieb. "Oma", flüsterte ich und Amanda verstand. Mit einer kurzen Bewegung mit dem kleinen Finger, liess sie die Schweinerei verschwinden.

"Gut, dass das hier draussen passiert ist. Da drinnen", sie deutete mit dem Finger auf das Department, "lässt du das lieber bleiben. Los jetzt."

Amanda zog mich über die Strasse in das grosse Gebäude vor uns. In der Eingangshalle herrschte viel Gedränge. Hohe Decken mit gerahmten Gemälden, zierten den gigantischen Raum und eine riesige Wendeltreppe führte in das obere Stockwerk. Die Menschen wirkten alle gestresst und eilten die langen Korridore entlang. Oben in der Decke über mir, war eine Glaskuppel, die einen grossen Lichtfleck auf den Boden fallen lies, auf dem das Wappen von Endola abgebildet war.

Der Raum war riesig, mit hohen Wänden und goldenen Kronleuchtern. Vor mir sah ich eine lange Empfangstheke aus Marmor, genau so wie der Boden, hinter der sicherlich ein dutzend Frauen und Männer positioniert waren. Amanda zog mich weiter, doch ich hielt sie zurück. Mein Magen hatte erneut angefangen zu brummen und ich wollte das eben Geschehene nicht noch ein zweites Mal erleben.

"Ich glaube, ich muss mal auf Klo", sagte ich deshalb zu ihr.

Ihre Augen weiteten sich. "Himmel, was ist denn los mit dir", sie seufzte schüttelnd den Kopf und beschrieb mir den Weg zur Toilette. "Beeil dich aber", rief sie mir noch hinterher und ich nickte bestätigend.

Ich hatte Glück gehabt, denn die Toiletten waren leer. So konnte ich mich in Ruhe nochmals übergeben, ohne gestört zu werden. Mit der linken Hand klammerte ich mich an die Klobrille, mit der rechten Hand hielt ich meine dunklen Haare im Nacken zurück. Anschliessend wusch ich mir die Hände und spülte mir mehrmals gründlich den Mund aus.

Ich schaute auf und blickte in den Spiegel. Du kannst das Aurelia, keine Sorge. Es passiert nichts Schlimmes und egal was es ist - du kommst lebend wieder hier raus. Nachdem ich langsam auf zwanzig gezählt und meine Atmung unter Kontrolle gebracht hatte, verliess ich die Damentoiletten und machte mich auf den Weg zurück.

Der Korridor war leer und ich war noch keine zehn Schritte gegangen, als plötzlich links neben mir eine Tür gewaltsam aufgerissen wurde und ein junger Mann mit hochrotem Kopf aufgebracht hinausstürmte. Er trug eine schwarze Cordhose und einen dunkelgrauen Kapuzenpullover, der schmutzig und voller Löcher war.

"Ihr könnt mich mal!", brüllte er, wie ein Löwe, und ich blieb erschrocken stehen. "Ihr könnt mich alle kreuzweise. Euch hat doch jemand ins Gehirn gespuckt!", fuhr er noch wütender fort.

Ein älterer Mann, dessen Kopf mindestens genauso rot war, wie der des Jungen, trat ebenso aus dem Zimmer heraus. "Reiss dich zusammen Deanion, untersteh dich auch noch ein weiteres Wort zu sagen!" Mit verengten Augen hob er warnend den Finger. "Wenn du glaubst, hier ein Theater machen zu müssen, dann kannst du aber was erleben!"

Ich war mir nicht sicher, ob die zwei Herren mich überhaupt bemerkt hatten. Keine zehn Meter, stand ich von ihnen entfernt. Ich wollte so schnell wie möglich wieder zu Amanda zurück. Die Situation war mir äusserst unangenehm und meine Ohren waren definitiv nicht für dieses Gespräch bestimmt. Doch um wieder in die Eingangshalle zu gelangen, musste ich an den Streithähnen vorbei und dies war unmöglich, ohne von ihnen gesehen zu werden. Also blieb ich regungslos stehen und traute mich kaum zu atmen, in der Hoffnung sie würden mich nicht bemerken.

"Ich lass mir von dir gar nichts mehr sagen!" Der Junge, der allem Anschein nach Deanion hiess, tobte wie eine Furie. "Ich hab keine Lust mehr auf diesen Dreck hier. Es ist jedes Mal das gleiche mit dir!"

"Halt jetzt sofort die Klappe. Das du dich überhaupt traust in so einem Aufzug", der Mann deutete auf die schmutzige Kleidung, "hier aufzutauchen, in das Department. Schämst du dich denn nicht? Hast du deinen Respekt vor Endola etwa verloren?"

"Ich hatte noch nie Respekt vor Endola und vor dir erst recht nicht."

Der Ältere schien sich mühsam beruhigt zu haben, denn er sagte leise und kontrolliert: "Du gehst jetzt sofort nach Hause und packst deine Sachen. Heute Abend, wenn ich nach Hause komme, sprechen wir darüber." Mit einem Todesblick und ohne ein weiteres Wort zu sagen drehte er sich um und verschwand wieder in dem Zimmer, aus dem er raus gekommen war.

Es war ruhig. Deanion stand mit hängenden Schultern in mitten des Korridors. Er hatte dunkelbraune Haare, die ihm in Gesicht hingen und sein drei Tage Bart sah eher schon nach sechs Tagen aus.

Er schaute hoch, erblickte mich und ich konnte seine Augen sehen. Kalt und grau. Eiskalte, graue, Augen. Ein Schauer lief mir über den Rücken.

"Hallo", piepste ich vorsichtig und bereute sofort etwas gesagt zu haben. Mit einem ziemlich abschätzendem Blick musterte er mich von oben nach unten. Sein Blick liess mich förmlich erstarren. Er brachte mich so dermassen aus der Fassung, dass ich noch ein: "Geht es dir gut?", hinterherschob.

"Alles Bestens", zischte er, machte auf dem Absatz kehrt, liess mich stehen und eilte in einem zügigen Tempo davon.

Erst als er aus meinem Blickfeld verschwunden war merkte ich, dass ich aufgehört hatte zu atmen. Ich rang nach Luft. Was war dass denn eben? Obwohl er schon weg war, hatte ich immer noch das Gefühl seine Blicke auf mir spüren zu können. Unheimlich. Ich fasste mich wieder und machte mich nun auch schleunigst auf den Weg.

Amanda wartete schon ungeduldig auf mich. "Da bist du ja", sie klang erleichtert, "wieso hast du so lange gebraucht. Geht es dir denn so schlecht?" Sie schaute mich mitleidend an, doch ich schüttelte abwehrend den Kopf. Ich wollte ihr nicht von dem Ereignis berichten und ich hatte sowieso keine Zeit dazu, denn schon wurde mein Name von einer jungen blonden Frau aufgerufen. "Na los", Amanda schob mich nach vorne. Zusammen mit vier anderen wurde ich fortgeführt. Ich blickte noch einmal zurück und Amanda lächelte mir aufmunternd zu.

Was sollte schon schief gehen?

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So, das sind die ersten Teile meiner Geschichte :) Ich werde versuchen mindestens einmal pro Woche ein neues Kapitel hochzuladen, mal sehen ob das zeitlich klappt.

Wünsche euch eine gute Woche und natürlich viel Spass beim Lesen,

eure Lousssy

Die Erstgeborenen | ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt