Achtunddreissigstes Kapitel

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"Erzählen Sie das nochmal", wurde ich von Hawking aufgefordert. Ihr langes, pechschwarzes Haar fiel ihr zerzaust, aber dennoch elegant über die Schultern. Als Dean und ich gegen ihre Tür hämmerten, hatte es nicht lange gedauert, bis sie uns öffnete. Ich war so aufgeregt, dass ich kein Wort rausbrachte, und sie mich erstmal beruhigen musste. Nun wiederholte ich die Geschehnisse in meinem Traum zum dritten Mal. Sie lief vor ihrem Pult auf und ab. Ich sass vor ihr, auf einem der Sessel, Dean neben mir.

Valerie Hawking rieb sich ihr Kinn. "Und da sind Sie sich absolut sicher?" Ich nickte verwirrt, schliesslich wusste ich ja, was ich gesehen hatte. "Sind Sie sich zu einhundert Prozent sicher, Aurelia?"

"Ja", sagte ich laut und etwas hart. "Was ist los, Mrs Hawking? Wieso glauben Sie mir nicht?"

Sie setzte sich kopfschüttelnd. "Ich glaube Ihnen, Miss Cohan. Ich bin nur etwas überrascht, dass er es schon so früh versucht. Wir dachten, wir hätten mehr Zeit."

"Zeit für was?"

"Das hätte ich Ihnen morgen Abend alles erklärt. Zusammen mit ihrer Grossmutter." Sie biss sich auf die Unterlippe. Noch nie hatte ich die Schulleiterin der Emiva so planlos gesehen. Zu wissen, dass sie nicht wusste was zu tun war, machte mir Angst und verunsicherte mich.

"Können Sie mir bitte sagen, was hier vor sich geht? Diese Ungewissheit macht mich noch wahnsinnig."

Dean hatte bis jetzt noch kein Wort gesagt. Seine Anwesenheit beruhigte mich, er brauchte nichts zu sagen. 

Ihr Blick wurde ernst. "Sie müssen mir jetzt genau zuhören, verstanden? Das was Sie gesehen haben, war kein Traum, es war eine Vision. Es war echt. Dass Luzifer irgendwann den Kontakt mit Ihnen suchen würde, das war klar. Wir dachten, Ihnen in Emiva die nötige Sicherheit geben zu können. Doch da haben wir uns getäuscht."

"Wer ist wir?", fragte ich verwirrt. "Sie, Amanda und Aralda?

"Und das Department."

Davon, dass das Department eingeweiht war, hatte ich keine Ahnung. "Luzifer hat ganz bewusst zu Ihnen gesprochen."

Ich verdeckte mein Gesicht mit meinen Händen. Ich hätte weinen können, doch ich wollte nicht. Nicht hier und nicht jetzt. 

"Das Department ist also auch eingeweiht?", meldete sich Dean nun doch zu Wort.

"Und Sie sind es auch, Deanion?", sie seufzte kopfschüttelnd. "Das Department ist über Luzifer eingeweiht, nicht über Ihre Situation. Die Sache verlangt allerdings höchste Sicherheit."

Es störte mich, dass sie mich und meine Situation als Sache bezeichnete. Das war viel mehr als bloss eine Sache. Es ging um mich, um mein Leben, um meine Familie und nicht um das Department oder Endola.

"Im Moment können wir allerdings nichts tun. Wir müssen auf eine Antwort des Departments warten, ich kümmere mich darum. Doch ohne dessen Unterstützung sind mir leider die Hände gebunden."

Sie hatte ihre gefalteten Hände auf dem grossen Schreibtisch abgelegt. "Versuchen Sie zu schlafen, Aurelia."

Ich schnaubte. "Ich kann doch jetzt nicht schlafen und warten, bis sich das Department meldet, mit dem Wissen, dass Luzifer meinen Vater in seiner Gewalt hat."

Wie stellte sie sich das vor? In diesem Moment fühlte ich mich von Valerie Hawking im Stich gelassen und vernachlässigt. Ich hatte auf sie und ihre Hilfe gezählt.

"Ich verspreche Ihnen, dass sich das Department bis zum Frühstück bei mir gemeldet hat. Die Sache wird nun von ihnen übernommen. Denn es ist keine Option, dass sich Luzifer seine Macht zurückholt."

Nun hatte ich doch angefangen zu weinen. "Es geht um Valentin", schluchzte ich, "um meinen Vater."

"Es geht um Endola. Sollte Luzifer bekommen, was er verlangt, dann sind wir alle betroffen. Ich weiss, dass das schwer zu akzeptieren ist, Aurelia. Doch ich kann mich nur wiederholen. Mir sind die Hände gebunden."

Ich wollte protestieren.

"Deanion, bitte bringen Sie Aurelia noch auf ihr Zimmer und dann gehen auch Sie bitte in ihr eigenes Bett schlafen. Morgen sehen wir weiter."
Ich wollte wieder protestieren doch ich wurde von Dean weggezogen.

Er gehorchte, stand auf und verabschiedete sich höflich. "Komm schon", flüsterte er mir zu. Ich wollte nicht gehen, doch ich hatte keine Wahl. Valerie Hawking wünschte uns eine gute Nacht und schloss die Tür hinter uns. Dean umklammerte mein Handgelenk und hastete die Treppen runter.

«Das kann doch nicht Ihr Ernst sein», regte ich mich wenig später auf, als wir im Innenhof standen und über uns der Mond durch die leichte Wolkendecke schien. "Ich kann nicht ins Bett gehen und nichts tun, Dean. Wie soll ich jetzt noch ein Auge zukriegen?»

Er antwortete: "Wir müssen nicht unbedingt warten, es sei denn, du willst." Ich schüttelte den Kopf. "Ich möchte ganz bestimmt nicht warten. Was schlägst du vor?" Er zögerte. "Fühlst du dich denn überhaupt dazu bereit ihm gegenüber zu treten?"

Ich atmete tief ein. Einen Augenblick zögerte ich, ob ich Luzifer denn gewachsen wäre.

«Ich bin nicht bereit, aber ich habe keine Wahl. Es geht um meine Familie." Meine Stimme klang nicht so entschlossen, wie ich gehofft hatte»

"Ich bin unglaublich stolz auf dich und habe den grössten Respekt vor dir." Während er das sagte, schaute er mir tief in die Augen und lächelte leicht.

"Wenn du wirklich bereit bist, dann müssen wir jetzt Trevor wecken. Er weiss, was zu tun ist."

Trevor? Trevor weiss was zu tun ist? Das hätte ich ihm gar nicht zugetraut. "Warte", hielt ich ihn auf, denn er hatte sich schon zum Gehen abgewendet. "Ich muss Nova dabei haben. Sie würde mir das nie verzeihen, und ich mir auch nicht. Ich brauche sie."

Verständnisvoll nickte er. "Dann geh und hol sie. Wir treffen uns hinter dem Schlafhaus der Jungs, okay? Ich fünf Minuten."

"Okay."

***


Findet ihr Hawking hätte anders handeln sollen?

Was glaubt ihr, wie es weitergeht?

Danke fürs Lesen und ich freue mich euch beim nächsten Kapitel wiederzusehen.

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