Zehntes Kapitel

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Ich hörte gedämpfte Stimmen, die vom Korridor aus in mein Zimmer drangen. Zum Abendessen hatte es gefüllte Paprika und Kartoffelbrei gegeben. Es war das erste Mal gewesen, dass ich alle Schüler und Schülerinnen der Emiva sehen konnte. Es waren nicht so viele, wie ich erwartet hatte. Dennoch war es mir nicht möglich gewesen einen Überblick zu behalten.

Nach dem Abendessen wollte ich so schnell wie möglich alleine sein, da die fremden Leute um mich herum ein unwohles Gefühl in mir weckten. Deshalb hatte ich mich schon früh zurückgezogen, mich gewaschen, mir die Zähne geputzt und meinen Schlafanzug angezogen. Nun lag ich hellwach im Bett und konnte nicht einschlafen.

Es kam mir so vor, als ob sich meine Laune schlagartig verschlechtert hatte, als ich das Schulgelände betreten habe. Ich fühlte mich hier nicht wohl und wäre am liebsten sofort wieder nach Hause gegangen. Aber das ging nicht.

Auf dem Korridor schlossen sich die letzten Türen und es wurde ruhig. Ich hatte das Fenster leicht geöffnet und konnte den leise wehenden Wind durch die dichten Bäume wehen hören. Ich fand keinen Schlaf. Ich lag einfach nur da und starrte Löcher in die Luft. Ein schneller Blick auf den kleinen Wecker auf dem Schreibtisch verriet mir, dass es erst 22:17 Uhr war. Ich hatte also noch dreizehn Minuten, bis ich ganz offiziell in meinem Bett liegen musste.

Kurzer Hand zog ich mir einen blauen Kapuzenpulli über, band meine schwarzen Haare zusammen und schlüpfte in meine Schuhe. Dann verliess ich leise mein Zimmer und ging die Treppen nach unten.

Es war noch angenehm warm draussen. Durch den hell leuchtenden Mond warfen die Bäume lange Schatten auf den Boden. Ich schlug den Pfad zum Hauptgebäude ein und überquerte anschliessend den grossen Platz.

Ich wollte nur eine kleine Runde am Waldrand drehen und dann wieder hinter der Medizinischen Station vorbei zurück zu den Schlafhäusern. Tief zog ich die frische Luft ein.

Als ich mich dem Waldrand näherte, konnte ich auf einmal leise Stimmen und ein Rascheln wahrnehmen. Automatisch drehte ich mich um, um zu sehen ob jemand hinter mir war. Doch da war nichts. Ich liess meinen Blick umherschweifen, doch ich konnte niemanden entdecken.

Aber mein Gehör hatte sich nicht getäuscht. Da waren doch eindeutige Stimmen gewesen, oder hatte ich mir das nur eingebildet? Ich blieb stehen, unsicher ob ich weiterlaufen sollte, um die Stimmen zu entdecken, oder ob ich besser wieder in mein Bett schlüpfen sollte.

"Du musst schon härter ran", hörte ich eine männliche Stimme. Aha, hatte ich mich also doch nicht getäuscht. Kurz darauf hörte ich noch ein Stöhnen und etwas, dass sich so anhörte, als hätte jemand eine Faust kassiert.

Ich konnte leider nichts für meine Neugierde, deshalb folgte ich den Geräuschen, die eindeutig aus dem Wald kamen. Das Mondlicht wurde von den hohen, dichten Bäumen verdeckt und es dauerte einen kurzen Augenblick, bis sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Nach ein paar weiteren Schritten gelangte ich an einen wilden Busch und dahinter sah ich es.

Ein grossesr Junge, mit dunkelbraunem Haar stand mit dem Rücken zu mir. Vor ihm rauften sich zwei weitere Jungen miteinander auf dem Boden. Der Eine, der auf dem Anderen drauf sass und ihm am Kragen gepackt hielt, erkannte ich wieder. Er war es gewesen, der bei unserer Ankunft "Frischfleisch" gerufen hatte. Der Junge, der unter ihm auf dem Rücken lag kannte ich nicht. Ich konnte mich auch nicht erinnern, ihn beim Abendessen erblickt zu haben. Er war dunkelhäutig und hatte schwarze Locken, die ihm fast bis zum Kinn reichen mussten.

Der Frischfleisch-Junge legte seine Hände an den Hals des anderen. In der Dunkelheit konnte ich sehen, wie silberne Funken aus seinen Fingern hervor sprühten und sich ebenso um den Hals wickelten. Ich nahm an, dass das Opfer sich wehren würde, doch das tat er nicht. Im Gegenteil.

Die Erstgeborenen | ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt