Dreiundvierzigstes Kapitel

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Ab und zu schien die Sonne durch die dichte Wolkendecke hindurch und warf ein trauriges aber helles Licht auf den Friedhof in Stateville M.B, etwas abseits von Endola. Die Menschen, alle in schwarz gekleidet, hatten auf den aufgestellten Stühlen Platz genommen. Es waren nicht mehr als zwanzig. Die Familie, Freunde und einige Lehrer und Schüler und Schülerinnen aus Emiva.

In den ersten Reihen hatte die Familie Platz genommen, wir sassen in der vierten. Meine Augen brannten von der ganzen Weinerei so sehr, dass ich sie teilweise nur noch mit Mühe aufmachen konnte. Meine Haut drumherum war gerötet und gereizt.

Währenddem der Bestatter einige rührende Worte sagte, hatte man immer wieder ein Schluchzen gehört.

"Ich kann das nicht", flüsterte Dean, der neben mir sass. Sein Blick war stur gerade aus gerichtet. Ich legte ihm meine Hand auf den Oberschenkel. "Es wird alles gut werden. Du kannst das."

Er schüttelte leicht den Kopf. Ich sah die Träne, welche seine Wange hinunterkullerte und wischte sie mit meinem Daumen ab. "Du musst", flüsterte ich.

Wenig später erhob er sich und ging auf wackligen Beinen nach vorne. Dort angekommen holte er das weisse Stück Papier aus der Brusttasche seiner Anzugsjacke und faltete es vorsichtig auseinander.

Schon wieder war ich den Tränen nahe. Meine Nase war verstopft.

Am liebsten hätte ich Dean nach vorne begleitet, damit er nicht alleine da stehen musste.

"An erster Stelle möchte ich Trevors Familie mein herzliches Beileid aussprechen. Das was passiert ist, ist schrecklich und unbegreiflich", begann er mit seiner Trauerrede.

Trevors Mutter begann erneut zu schniefen.

"Trevor war ein guter Freund von mir. Er war sogar mehr als das, nicht nur war er mein bester Freund, er gehörte zu meiner Familie. Der Tod kann uns einen geliebten Menschen zwar nehmen, aber nicht die Erinnerungen, die sind dem Tod unerreichbar", er legte eine kurze Pause ein um tief durchzuatmen.

Ich konnte gut erkennen, wie er die Tränen zurückhielt.

"Ich werde nie verstehen warum Trevor so früh von uns gehen musste. Keiner wird das und Niemand kann das. Wir trauern um einen liebevollen Menschen, der in vollen Zügen gelebt hat. Und obwohl deine gezählten Tage vorüber sind, Trevor, hätte ich mir viele weitere Tage für dich gewünscht. Weitere Tage an denen ich mit dir den langweiligen Worten von Mrs Vander keine Beachtung schenken würde, Tage an denen du Lennard stichelst und über deine eigenen Witze lachst."

Inzwischen waren mir erneut die Tränen in die Augen gestiegen, die ich traurig raus blinzelte. Ich holte ein paar Mal tief Luft. Lennard neben mir rieb mir sanft über den Rücken, wobei ich ihn trösten sollte. Er stand Trevor näher als ich.

"Trevor hat mich einst gefragt, ob ich an ein Leben nach dem Tod glaube und ich habe mit nein geantwortet. Doch für dich glaube ich daran. Ich hoffe und glaube, dass du an einem schönen Ort bist, weil ich einfach nicht akzeptieren will und auch nicht kann, dass du nicht mehr bist. Du fehlst mir, uns allen, so unglaublich fest. In meinem Leben, in unser allen Leben, wird eine Lücke sein, die du bisher so grossartig ausgefüllt hast. Wir trauern aus tiefster Seele um dich und wir werden nie aufhören dich zu lieben."

***

Nach der Beerdigung hatten wir uns von Trevors Familie verabschiedet und ihnen nochmals unser herzliches Beileid ausgesprochen.

Trevor hatte St. Markolf nicht überlebt. Es war uns zuerst gar nicht aufgefallen. Erst als Dean mich losgelassen und sich alles beruhigt hatte, hatten wir Trevors leblosen Körper auf dem Boden erblickt.

Noch immer wussten wir nicht, wer aus seinem Gefolge dafür verantwortlich war und wahrscheinlich würden wir das auch niemals herausfinden.

Dean und ich gingen langsam nebeneinander her. Lennard war bei Trevors Mutter geblieben.

"Ich verstehe das nicht, Aurelia", sagte Dean leise, so leise, dass ich ihn fast nicht verstand.

"Ich auch nicht. Ich werde mir nie verzeihen, dass er meinetwegen gestorben ist."

"Das war nicht deinetwegen", sagte Dean sofort, doch so richtig konnte ich ihm nicht glauben. "Wir haben uns freiwillig dazu entschieden, mit dir mitzukommen. Er kannte das Risiko."

"Ja, ich weiss", gestand ich ein und gab mir insgeheim trotzdem die Schuld daran. Deans Worte machten die Sache nicht besser.

Einige Vögel zwitscherten. Dean öffnete das eiserne Tor und liess mir den Vortritt. An den Friedhof grenzte einen Wald, auf den wir zuliefen.

"Trevor war...", begann Dean, "er war alles für mich. Ich kann mir nicht vorstellen, wie das ohne ihn gehen soll."

"Es wird gehen", versprach ich ihm. "Das braucht einfach Zeit."

Ich hielt an und nahm Dean fest in den Arm, weil ich das Gefühl hatte, das brauchte er jetzt.

Er erwiderte meine Umarmung, sprach jedoch weiter. "Trevor hat mir bei allem beigestanden. Er hat mir mit der Sache mit meiner Familie geholfen, hat versucht mit mir meinen Vater zu finden."

Ich seufzte und liess ihn los. "Was ist?", fragte Dean besorgt.

Ich strich mir die Haare hinters Ohr. Da war ja noch was. Ich wusste nicht, wann ich Dean das sagen sollte, da kein Zeitpunkt richtig erschien und auch jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt dafür. Dean trauerte um seinem besten Freund.

"Hey", er fasste mich am Arm, "alles okay? Du siehst auf einmal so blass aus."

Ich nahm meinen gesamten Mut zusammen. "Heute ist wirklich nicht optimal, aber ich sag's trotzdem, weil du schon von deinem Vater angefangen hast."

Dean wich einige Zentimeter zurück und schaute mich wartend an. "Was ist los?"

"In der Kirche in St. Markolf, als sein Gefolge kam und diese ihre Kapuzen runtergezogen haben konnte ich die Gesichter sehen. Ich erkannte deinen Vater."

Dean schüttelte langsam den Kopf. "Nein, das kann nicht sein."

"Doch", nickte ich zögernd, "ich weiss doch wie er aussieht. Es war zu hundert Prozent er. Er war es."

Dean stöhnte und kratze an seinen Bartstoppeln. "Ich hatte eigentlich auch keine Hoffnung mehr gehabt. Was habe ich erwartet? Das er eines Tages vor der Tür steht? Mein Vater gehört also zu deinem Vater?"

"Zu Luzifer", korrigierte ich.

Dean fing an zu lachen. Er fing wirklich an zu lachen. Mir war überhaupt nicht nach lachen zu Mute. Gerade wurde Trevor beerdigt und ich habe ihm verkündet, dass sein Vater mit Luzifer unter einer Decke steckte und er lachte.

"Hör auf zu lachen", fuhr ich ihn leise und verwirrt an.

Er hörte nicht auf. "Das ist doch... verrückt. Und irgendwie lustig. Mein Vater und dein Vater auf der einen Seite und du und ich auf der anderen."

Obwohl ich wirklich nicht lachen wollte, steckte er mich an. "Du hast Recht", stellte ich fest und stimmte in sein Lachen mit ein.

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