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Einen Abend später saß ich mit Kol und Davina in einer Bar.
Sie hatte es tatsächlich geschafft.
Sie hatte Kol zurückgeholt.
Natürlich hatte ich mir Hoffnungen gemacht, als sie erzählt hatte, dass sie etwas auf der Spur war, doch ich hatte nicht wirklich damit gerechnet, dass es funktionieren würde.

"Hast du deinen Bruder gefunden, Lucille?", fragte Kol. "Als wir uns das letzte Mal gesehen haben, bist du gegangen um ihn zu suchen."
Ich verdrehte die Augen.
"Ja. Aber wir haben uns gestritten und jetzt bin ich wieder hier", erzählte ich knapp.
"Also ist er zu einem Idioten geworden?", erwiderte Kol und hob die Brauen.
Ich zuckte nur mit den Schultern.
"Er ist scheinbar immer noch mit dieser Lily befreundet", meinte ich und trank einen Schluck.
"Bitte?", fragte er schockiert. "Lily ist der Vampir, der dir-"
Ich unterbrach ihn, indem ich ihm einen warnenden Blick zuwarf.
Er wusste, wie sehr ich es hasste, über diese Nacht zu reden.
Er war der einzige, der wusste, was ich damals wirklich verloren hatte und es gab nur wenige Momente, in denen ich mich tatsächlich dazu äußerte.
Ich mochte Davina zwar, doch ich kannte sie kaum, weswegen mir wirklich nicht danach war, dieses Thema anzusprechen.

"Hat Davina dir schon die Jazz-Bar zwei Straßen weiter gezeigt?", fragte ich und wechselte somit schnell das Thema.
Kol schüttelte den Kopf und sah dann seine Freundin an.
"Davina, wie konntest du mir nur so etwas vorenthalten?", fragte er sie spielerisch, woraufhin sie lächelte.
"Wie wäre es, wenn wir jetzt hingehen?", schlug sie vor.
"Mit Vergnügen", antwortete er und die beiden sahen zu mir.
"Möchtest du mitkommen?", fragte Davina, doch ich schüttelte den Kopf.
"Ich denke ich gehe heute früher nach Hause, ich bin müde", antwortete ich. "Aber habt ihr viel Spaß!"
"Oh Gott, es wird wirklich Zeit, dass wir gehen", murmelte Kol und zog seine Jacke an.
Ich runzelte die Stirn und blickte auf. "Was meinst-"
Ich führte die Frage nicht zu Ende, als ich sah, wer mir vom Eingang aus zuwinkte.
"Lucien."

"Wieso verfolgst du mich eigentlich?", zischte ich als er sich neben mir niederließ.
"Ich verfolge dich nicht, du magst es scheinbar nur sehr von mir gefunden zu werden", erwiderte er in selbstgefälligem Ton und bestellte sich einen Drink.
"Ich denke nicht, ich wollte gerade gehen", meinte ich und leerte mein Glas in einem Zug.
"Zu schade, ich hatte gehofft wir können etwas reden", sagte er und trank.
Ich legte Geld auf den Tresen und seufzte.
"Ich wüsste nicht, was wir zu bereden haben. Außerdem bin ich dafür nicht betrunken genug und möchte nach Hause. Hab einen schönen Abend, Lucien."
Mit diesen Worten stand ich auf und verließ die Bar.

Ich hatte keine Angst allein durch dunkle Gassen zu laufen, immerhin war ich ein Vampir und konnte mich somit den meisten Gefahren relativ gut entgegenstellen.
Das Einzige, was mir ein mulmiges Gefühl bereitete waren die Erinnerungen an die Nacht, in der ich verwandelt worden war.
Denn in dieser Nacht hatte ich mehr als nur meine Menschlichkeit verloren.

Meine Gedanken wurden unterbrochen, als ich urplötzlich in eine der Gassen gezerrt wurde.
Erschrocken stieß ich die Person, die mich offensichtlich angegriffen hatte zurück.
Ich erkannte sofort, um wen es sich handelte, als ich das rote Haar im schwachen Licht einer entfernten Laterne schimmern sah.

"Himmel, Aurora, was ist eigentlich dein Problem?", fragte ich genervt und sah sie an.
Sie trug das für sie typische Lächeln auf den Lippen und in ihren Augen funkelte etwas Bedrohliches.
Sie lachte gekünstelt und kam mir einen Schritt näher.
"Mein Problem?", fragte sie und legte den Kopf schief. "Mein Problem ist, dass du mich einmal fast erstochen und mir einmal das Genick gebrochen hast. Begrüßt man denn so eine alte Freundin?"
Ich verdrehte die Augen.
"Wir waren nie Freundinnen, Aurora", erwiderte ich. "Außerdem hast du mich zuerst angegriffen und es für eine gute Idee befunden, Rebekah im Ozean zu versenken."
Sie zuckte mit den Schultern.
Ehe ich mich versah, war sie bei mir und legte ihre Hände an mein Genick, vermutlich um es zu brechen.
Mir gelang es allerdings, mich zu ducken und sie erneut zurück zu stoßen.
Doch bevor ich noch etwas tun konnte, stieß sie mit eine Hand in den Brustkorb und knallte mich gegen die Hauswand hinter mir.

Es war zwar kein Schmerz, der mir unbekannt war, doch einer, an den ich mich nie gewöhnen würde.
Das Gefühl, wie jemand wortwörtlich mein Herz in seinen Händen hielt, gleichte dem, auf der Schwelle zum Tod zu stehen.
Ich hustete und schmeckte dabei Blut in meinem Mund.
"Sie es als Warnung, meine Süße", flüsterte sie in mein Ohr.
"Und halt dich von Lucien fern - ich brauche ihn noch, aber das geht nicht, wenn er von dir abgelenkt wird."
Mit diesen Worten zog sie ihre Hand aus meinem Fleisch und ich keuchte.
"Jetzt sind wir quitt."
Ich wollte ihr antworten, doch bevor ich etwas erwidern konnte, brach sie mir das Genick.

-

1903

Es war kalt, dunkel und nass, als ich endlich erwachte.
Mein Herz pochte schneller in meiner Brust als je zu vor und ich hatte das Gefühl, eine unheimliche Hitze hatte meinen Körper erfasst - und das, obwohl ich vor Kälte am ganzen Leib zitterte.
Was war eben geschehen?
Da war Lorenzo gewesen, und diese Frau namens Lily und ich... Ich müsste tot sein!
Doch ich war es nicht.
Wieso war ich nicht gestorben?
Verwirrt rappelte ich mich auf und fasste mir in den Nacken.
Keiner meiner Knochen schien gebrochen zu sein, sonst hätte ich den Schmerz auch gefühlt.
Wieso war ich nicht tot?

Automatisch fasste ich mir an den Bauch, als mir ein anderer Gedanke durch den Kopf schoss.
Vier Monate.
Nach vier Monaten konnte...
Tränen schossen mir in die Augen.
Ich hatte keinen blassen Schimmer, woher ich das wusste, aber mir war klar, dass es stimmte.
Ich war gestorben und jetzt wieder hier.
Das Kind, das in mir heranwuchs... Es konnte nicht überlebt haben.

Ich schluchzte und vergrub mein Gesicht in den Händen.
Ja, ich war jung, aber ich hatte mich an dem Gedanken, endlich wieder eine Familie zu haben, festgehalten.
Die ganze Zeit, als ich um meinen Bruder gefürchtet hatte, war der einzige Gedanke, der mich tröstete der gewesen, eines Tages mit Roy zusammenzuleben und eine Familie zu haben.
Diese Hoffnung war das einzige gewesen, woran ich mich geklammert hatte.
Jetzt war sie zerstört.

Und mein Bruder war fort.

-

Naa:)
Danke an die Leute, die die Story lesen, auch ohne abzustimmen, ich freue mich wirklich über jedes einzelne Read!!
Was denkt ihr bisher?

Lucille St. John - Little VampireWo Geschichten leben. Entdecke jetzt