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Ich blickte in den Spiegel.
Zwar war meine Haut noch etwas blass, doch ansonsten sah ich fast aus wie immer.
Da mein Hals sowie mein Top voller Blut gewesen waren hatte Lucien mir angeboten, eine Dusche zu nehmen und mir eines seiner T-Shirts gegeben.
Und auch wenn es mir irgendwie nicht gerade gefiel, Angebote von ihm anzunehmen, hatte ich genau das getan, da ich mich mit Blut auf der Haut und den Klamotten nicht gerade wohl gefühlt hatte.

Das weiße Shirt das er mir gegeben hatte, war mir zwar viel zu groß, doch es war um einiges besser als weiterhin mein blutverschmiertes Oberteil zu tragen.
Außerdem trug es einen mir sehr bekannten Geruch an sich. Luciens.
Er erinnerte mich an die Tage und Nächte, die wir damals zusammen verbracht hatten und die ein so abruptes Ende genommen als er New Orleans verlassen hatte. Mit Aurora zusammen.

Ich verwarf den Gedanken wieder und verließ das Badezimmer.
Aus der Küche konnte ich Geräusche hören und folgte ihnen.
Lucien stand vor einer Kaffeemaschine, die vermutlich teurer war als irgendetwas was ich in meinem Leben je besessen hatte, und drückte einen Knopf bevor er mich ansah.
"Du siehst in meinen Sachen immer noch mindestens genauso gut aus wie früher, Liebes", meinte er schmunzelnd, woraufhin ich die Augen verdrehte.
Ich lehnte mich gegenüber der Küchenzeile an die Wand und sah ihn erwartungsvoll an.

"Du hast gesagt, du willst mir etwas erzählen und ich werde diesmal nicht einfach gehen", meinte ich und überging damit seinen Kommentar.
Es war als würde ich mit meinen Worten das Lächeln von seinem Gesicht wischen und seine Miene verfinsterte sich etwas.

"Ich will dir erzählen, was damals wirklich passiert ist", meinte er, kam auf mich zu und lehnte sich gegenüber von mir an die Küchenzeile.
Es war, als würde ein Stich durch mein Herz fahren.
Es tat immer noch weh, auch wenn es schon Ewigkeiten her war.

"Schön", seufzte ich und sah ihm direkt in die Augen.
Er schwieg einen Moment, bevor er seinen Blick abwandte und dann begann zu erzählen.
"Du denkst ich hätte dich für Aurora verlassen, nicht wahr?", fragte er dann.
"Ja", erwiderte ich kühl.
"Das war nicht so. Ich habe dich und Klaus verlassen, um euch vor Aurora zu schützen."
Was?
Verwirrt sah ich ihn an.

"Aurora hat ihre Spielchen mit mir und Klaus gespielt und das über Jahrhunderte. Als wir ihr in den Fünfzigern beide den Rücken gekehrt haben, war das zu viel Ablehnung für sie und sie wollte nichts lieber, als dich und die Mikaelsons tot zu sehen. Und ich kenne Aurora, sie hätte dir etwas angetan", meinte er und sah mich an.
"Ich bin zu ihr zurück, damit sie das Gefühl hat, gewonnen zu haben und euch in Ruhe lässt. Und es tut mir so unendlich leid, dass ich dich damit verletzt habe."

Mir blieb irgendwie fast schon die Luft weg.
Deswegen war er damals gegangen?
Ich konnte irgendwie kaum glauben, dass es wirklich so gewesen sein sollte.
Was, wenn es wieder nur eines von Luciens Spielen war? Was, wenn er das nur zum Spaß sagte?

"Wieso sollte ich dir glauben, Lucien?", fragte ich verunsichert.
"Ist das dein Ernst?", fragte er fast schon enttäuscht. In seiner Stimme schwang Wut mit und er funkelte mich an.
"Tut mir leid, aber woher soll ich wissen, dass das nicht irgendeine Taktik-"

Lucien unterbrach mich indem er die Distanz zwischen uns überbrückte und mit der Hand gegen die Wand neben mir schlug.
Er sah mich direkt an und ich konnte den Zorn in seinen Augen aufflammen sehen.

"Weil ich Aurora Jahrhunderte lang geliebt habe. Ich war ein Narr, mich in dieses Miststück zu verlieben und Jahrhunderte lang habe ich darunter gelitten, weil sie mich nie wirklich wollte. Bis ich dich getroffen habe. Ich habe dich kennengelernt und zum ersten mal seit Ewigkeiten wusste ich wieder wie es sich anfühlt wirklich zu lieben. Du hast mich von meiner Liebe zu ihr befreit und das hättest du niemals geschafft, wenn ich dir gegenüber keine Gefühle hätte."

Die Wut verschwand langsam aus seinen Augen und wich Verzweiflung.
"Also nein, Tristan hatte nicht Recht", fügte er noch hinzu. "Du bedeutest mir nicht etwas. Du bedeutest mir viel mehr als es mir lieb wäre."

Ab diesem Moment konnte ich nicht mehr an meinen Gedanken festhalten, die mich davor warnten, ihm erneut zu vertrauen. Es ging einfach nicht, es war als würde ich in diesem Moment von meinen puren Gefühlen überwältigt werden.

Ohne einen weiteren Moment zu zögern legte ich meine Lippen auf seine und küsste ihn.
Er umgriff mein Gesicht mit seinen Händen und zog mich noch näher zu sich.
In diesem Moment war es, als würde sich all die Spannung die sich über die Zeit zwischen uns aufgebaut hatte auf einmal entladen.
Ich schob meine Hände unter sein Hemd, während seine Hände sanft über meinen Nacken und meinen Rücken strichen.
Einangenehmer warmer Schauer rann mir über den Nacken.
Erst jetzt wurde mir bewusst, wie lange ich ohne mir darüber im Klaren zu sein auf diesen Moment gewartet hatte.

Und für diesen Augenblick vergaß ich es alles; ich vergaß, dass Klaus wütend auf mich war, dass Aurora mich immer noch tot sehen wollte und dass ich wegen meinem Bruder Schuldgefühle hatte.
In diesem Augenblick schien alles in Ordnung zu sein.

Als ich aufwachte färbte sich der Himmel über der Stadt gerade orange.
Dank der wundervollen Aussicht, die man von Luciens Schlafzimmer aus auf New Orleans hatte, könnte ich den Sonnenaufgang von der ersten Minute an im Detail beobachten, wenn ich wollte.

Lucien lag nicht mehr neben mir und ich schlug die weißen Bettlaken zur Seite, um aufzustehen.
Mir fiel es immer noch schwer zu realisieren was er gestern zu mir gesagt hatte.
Dass er New Orleans damals nur verlassen hatte, um mich vor Auroras irrsinnigem Zorn zu schützen.

Ich zog meine Unterwäsche an und schlüpfte in das weiße T-Shirt von Lucien, das ich gestern bereits getragen hatte, bevor ich zu dem Panoramafenster ging, um einen Blick auf die zum Großteil noch schlafende Stadt zu werfen.

Es war wirklich eine außergewöhnliche Aussicht und ich konnte in diesem Moment wirklich gut nachvollziehen, wieso Lucien dieses Appartement gewählt hatte.
Man konnte wirklich beobachten welche Teile der Stadt am frühsten vom Licht der Morgensonne erleuchtet wurden und obwohl New Orleans ein relativ lebendiger Ort war, wirkte von hier alles so friedlich.

"Du bist noch da."
Luciens Stimme klang viel mehr sarkastisch als tatsächlich verwundert.
Früher war ich tatsächlich meistens gegangen, bevor er mich am Morgen noch zu Gesicht bekommen konnte.
Ich drehte mich um und lächelte ihn schief an.
Er lehnte mit einer Tasse Kaffee in der Hand im Türrahmen und sah mich ebenfalls lächelnd an.

"Diese Aussicht macht es nicht gerade leicht, einfach zu verschwinden", erwiderte ich, doch bevor er mir antworten konnte, wurden wir vom Klingelton meines Handys unterbrochen.
Ich warf einen Blick auf das Display und seufzte, da es sich augenblicklich so anfühlte, als würde jemand einen Stein auf meinem Herzen platzieren.

"Wer ist es?", fragte Lucien, als ich gerade den Anruf entgegen nahm.

"Klaus?", fragte ich als Begrüßung.
"Ist alles in Ordnung bei dir, Lucille?", erwiderte er kühl. Auch wenn er mir gegenüber so wenig Emotionen wie möglich zeigen wollte merkte ich, dass er angespannt war.

"Ja, wieso?"
Lucien, der das Gespräch offensichtlich verfolgte, runzelte besorgt die Stirn und nahm einen Schluck von seinem Kaffee.
"Es geht um Aurora", meinte er verbittert, "und ich habe mir Sorgen gemacht."
Ich hatte das Gefühl, so etwas wie Erleichterung zu verspüren, wollte mich allerdings nicht zu früh freuen. Bei Klaus konnte man nie wissen.

"Was ist mit ihr?", fragte ich besorgt.
Klaus seufzte.
"Sie hat die Weißeiche."

Lucille St. John - Little VampireWo Geschichten leben. Entdecke jetzt