Nässe und Kälte.
Das waren die ersten beiden Dinge, die ich wahrnahm als ich aufwachte.
Und Schmerz. Ein unfassbarer Schmerz, der sich wie ein Feuer in meinen Adern ausbreitete und drohte, mich um den Verstand zu bringen.
Es fühlte sich beinahe wie in der Nacht meiner Verwandlung an und ich legte automatisch wieder eine Hand auf meinen Bauch. Bis ich mich schmerzlich wieder daran erinnerte, weswegen ich eigentlich hier lag.
Benommen stand ich auf, während die Erinnerungen von vorhin sich in meinem Kopf erneut abspielten.Aurora.
Der Werwolf.
Der Biss.Vorsichtig fuhr ich mit den Fingern über die Stelle, an der der Mann seine Zähne in meine Haut geschlagen hatte, zuckte allerdings wieder zurück, als der Schmerz noch intensiver aufflammte.
"Lucy."
Verwirrt drehte ich mich um. Mein Herz schien in meiner Brust zu rasen. Ich kannte diese Stimme sehr gut, aber es war unmöglich, dass ich sie eben wirklich gehört hatte.
"Wieso bist du einfach gegangen, Lucy?"
Erneut drehte ich mich um.
Tränen sammelten sich in meinen Augen, als ich Lorenzo vor mir stehen sah.
Er trug ein graues T-Shirt, das allerdings zum Großteil rot gefärbt war. Mitten in seinem Herzen steckte ein Holzpfahl und meine Kehle schnürte sich zu, als ich das sah. So musste er gestorben sein.
Er sah so unfassbar verletzt aus und in seinen Augen spiegelte sich blanke Wut."Lorenzo, es tut mir so leid", sagte ich und ging auf ihn zu, doch bevor ich bei meinem Bruder ankam, löste er sich auf. Wie ein Geist, der verblasste.
Erst jetzt realisierte ich es: Das Gift des Werwolfs löste Halluzinationen bei mir aus.Ich stolperte und hielt mich an der Mauer des Gebäudes neben mir aufrecht.
Ich würde innerhalb der nächsten vierundzwanzig Stunden sterben, wenn ich kein Gegengift bekommen würde, das wurde mir jetzt bewusst. Zu Klaus würde ich allerdings nicht gehen.
Auch wenn Kol mir gesagt hatte, dass er mir verzeihe, glaubte ich nicht, dass sein Bruder das ebenfalls tat.
Aber was sollte ich bitte stattdessen tun?
Mir kam eine Idee, die ich allerdings direkt wieder verwarf."Lucy!"
Als ich die Stimme meines toten Bruders hörte rann mir ein Schauer über den Rücken und ich bekam eine Gänsehaut.
Ich hob den Blick und sah ihn mit demselben wütenden Gesichtsausdruck wieder vor mir stehen. Es war, als würde mein Herz in zahllose Teile zerspringen. Die Schuld erdrückte mich und ich hatte das Gefühl unter ihr zu ersticken.
"Du hättest mich retten können. Wir hätten wieder-"
"Hör auf!", schrie ich und kniff die Augen zusammen.
Als die Stille einige Sekunden anhielt öffnete ich sie wieder.
Mein Bruder war verschwunden.
Ich seufzte und griff meine Idee von vorhin wieder auf, denn eines stand fest; ich wollte und konnte auf keinen Fall allein bleiben.-
Eine halbe Stunde später stand ich vom Regen nun gänzlich durchnässt in dem Fahrstuhl, der zu Luciens Penthouse führte. Ich hatte keine Ahnung wie viel Uhr es war und ob er überhaupt zu Hause war, aber einen Versuch war es wohl wert.
Ich fragte mich selbst, weswegen ich ausgerechnet zu ihm ging, aber es war einfach ein Gefühl gewesen, das mich hierher gebracht hatte.Das mir bereits bekannte Klingeln ertönte und die Türen schoben sich auf.
Ich stolperte schon beinahe aus dem Aufzug und klopfte an die Tür des Appartements.
Vielleicht war es auch eine dumme Idee gewesen, hier her zu kommen.
"Lucy, wieso redest du nicht mit mir?", schrie mein Bruder nun schon fast.
Er war der Grund, weswegen ich so lange gebraucht hatte, um hier her zu kommen. Immer wieder war ich ihm gefolgt, bis ich mich wieder daran erinnert hatte, dass er nicht real war.Die Tür wurde von innen geöffnet und Lucien stand vor mir; die oberen Knöpfe seines Hemds standen offen und die Ärmel unsorgfältig hochgekrempelt. Es sah aus, als wäre er selbst noch nicht lange zu Hause.
"Das nenne ich eine Überraschung, was...", begann er, hörte allerdings auf zu reden, als er die Wunde an meinem Hals sah. Der Ausdruck von Schock machte sich auf seiner Miene breit."Tut mir leid, ich wusste nicht, wohin ich sonst sollte", murmelte ich, kurz bevor meine Beine mich nicht mehr länger tragen konnten und meine Knie einknickten.
Bevor mein Körper auf dem Boden aufschlug, fing Lucien mich auf und hob mich hoch.
Erst jetzt fiel mir auf wie sehr ich zitterte; mir war eiskalt und das, obwohl ich seit einem guten Jahrhundert nicht mehr gefroren hatte.
"Ist das, was ich denke was es ist?", fragte er und ging nach drinnen.
"Danke", murmelte ich. "Und ja, ein Werwolf hat mich gebissen."
Nicht nur irgendein Werwolf, sondern einer, der sich scheinbar mit Aurora verbündet hatte.
Lucien ging mit mir in den Armen in sein Schlafzimmer und legte mich auf seinem Bett ab.
Ausnahmsweise widersprach ich ihm nicht - mir war klar, dass es gerade weder Sinn noch Zweck gehabt hätte.
Lucien setzte sich neben mir auf die Bettkante."Lucy, hör mir zu!"
Erschrocken blickte ich auf. Hinter Lucien stand mein Bruder. Immer noch steckte der Pfahl in seiner Brust und in seinen Augen schwammen Tränen.
"Wieso hast du mir keine Chance gegeben? Ich hätte nicht einmal eine zweite gebraucht, Liebes, du hast mir nicht mal eine einzige gegeben!"
Nun füllten sich auch meine Augen mit Tränen."Cece, schaut mich an."
Ich riss meinen Blick von meinem toten Bruder.
Lucien sah mich besorgt an und rutschte näher zu mir um mein Gesicht in seine Hände zu nehmen.
"Was auch immer du gerade siehst, es ist nicht real, okay?"
Ich atmete tief durch und schloss die Augen.
Er hatte Recht. Lorenzo war tot.
Ich öffnete meine Augen wieder und sah Lucien an, der sanft mit dem Daumen über meine Wange strich.Langsam zog er seine Hände wieder zurück und ich setzte mich auf.
"Ich dachte in dieser Stadt gibt es nicht viele Werwölfe", murmelte Lucien.
"Das dachte ich auch", erwiderte ich. "Aber der, der mich gebissen hat war mit Aurora verbündet. Es war irgendein Racheplan von ihr."
Ich merkte sofort, wie angespannt er plötzlich wurde, als mir ihr Name über die Lippen kam."Wieso bist du nicht zu Klaus? Fließt das Heilmittel nicht durch seine Adern?", fragte er mit etwas Ironie in der Stimme und wechselte so das Thema.
Mir entfuhr ein kaltes Lachen.
"Klaus hasst mich gerade", antwortete ich mit müder Stimme.
"Süße, Klaus kann dich nicht so sehr hassen, dass er dich einfach sterben lässt", erwiderte Lucien. Ich wäre mir in diesem Fall nicht einmal so sicher.
"Ich habe ihm die Weißeiche gegeben. Er hat mich rausgeworfen, weil er wütend darüber war, dass ich das nicht schon früher getan haben", erzählte ich."Fällt es dir wirklich so leicht, mich zu vergessen, Lucy?"
Am liebsten hätte ich mir die Ohren zugehalten und meine Augen geschlossen.
Ich zog meine Knie an die Brust, da ich vor Kälte zitterte.
"Was hörst du?", fragte Lucien.
Auf seiner Stirn hatten sich Sorgenfalten gebildet.
"Meinen Bruder", antwortete ich wahrheitsgemäß mit erstickter Stimme.
"Das tut mir leid", erwiderte er und stand dann auf.Mein Herz schlug schneller. Wieso ging er?
Ich konnte nicht allein sein, nicht jetzt. Wenn er mich jetzt allein ließ würde ich meinem Wahnsinn verfallen und... Weiß Gott was dann passieren würde.
Doch er verließ den Raum nicht. Er ging zu einem Schrank, öffnete die oberste Tür und und zog einen Koffer hervor."Was ist das?", fragte ich, als er den Koffer öffnete und wollte aufstehen, ließ es dann allerdings sein, als mich eine Welle des Schwindels überkam.
"Ein Heilmittel für Werwolfgift", antwortete er und nahm eine Spritze aus dem Koffer heraus.
Überrascht sah ich ihn an.
Ich wusste, dass er in den Fünfzigern daran gearbeitet hatte, eins zu entwickeln, allerdings hatte ich nicht gewusst, dass es ihn tatsächlich gelungen war.Er stand auf und kam wieder zu mir, um sich neben mir auf das Bett zu setzen.
"Ich habe nicht gerade wenig davon. Aber du bekommst es nur unter einer Bedingung", meinte er.
Im Ernst? Ich lag praktisch im Sterben und Lucien spielte nach wie vor seine Spielchen mit mir?
"Kommt darauf an welche", erwiderte ich zynisch.
"Du hörst mir zu ohne direkt wegzulaufen und lässt mich ausreden", forderte er mit einem schwachen Grinsen auf den Lippen.Ich seufzte.
Was auch immer er zu sagen hatte, es war vermutlich erträglicher als was mein Bruder mir ständig an den Kopf warf.
"Na schön."-
Hey:)
Was denkt ihr hat Lucien zu sagen?
Habt einen schönen Abend
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Lucille St. John - Little Vampire
FanfictionKeine Person weiß, wer sie wirklich ist. Keine Person weiß, was sie wirklich ist. Und vor allem weiß keine Person, wie alt sie wirklich ist... Es gibt viele Vampire, die für den Rest ihres ewigen Lebens im selben Körper leben müssen - doch Lucille S...