› 37 ‹

1.2K 55 6
                                    

Luciens Sicht

Am liebsten hätte ich geschrien.
Lucilles lebloser Körper lag in meinen Armen und ich drückte sie fest am mich.
Ich konnte... ich konnte das nicht.
Es fühlte sich an, als hätte jemand mein Herz in tausend kleine Teile zerschlagen, die ich nicht mehr zusammensetzen konnte.
Mein Gesicht war nass vor Tränen und ich wollte nicht wahrhaben, was eben geschehen war.
Dass Lucille tot war.

Der weiße Stoff ihres Kleides war an der Stelle mit Blut vollgesaugt, an der Hayley ihr den Holzpfahl ins Herz gestoßen hatte.
Ich wünschte, ich hätte sagen können, dass sie friedlich aussähe, als würde sie schlafen, doch das tat sie nicht - sie sah tot aus.

Tränen bahnten sich ihren Weg über meine Wangen.
Wie sollte ich weiter machen?
Konnte ich überhaupt irgendwie weiter machen?
Lucille war die einzige gewesen, für die es sich gelohnt hatte ein guter Mensch zu sein - ein Mensch, der nicht allein dadurch glücklich war, alle Macht an sich zu reißen, die er haben konnte.
Aurora, von der ich so lange geglaubt hatte, sie würde das Beste in mir zum Vorschein bringen hatte das nicht gekonnt - sie hatte mich überhaupt erst zu dem Monster gemacht, das ich war.
Lucille hatte hinter diese Fassade gesehen.
Jetzt gab es niemanden mehr, der das tat.

Von draußen hörte ich Schritte.
Ich hatte geglaubt, abgesehen von mir wäre niemand mehr hier, doch dem war scheinbar nicht so.
Ich stand auf und verließ den kleinen Raum, indem Freya den Zauber durchgeführt hatte und in dem meine Frau gestorben war.

Klaus kam auf mich zu.
"Lucien, sie-"
Bevor er seinen Satz vollenden konnte holte ich mit der Faust aus und schlug ihm ins Gesicht, sodass er einige Meter nach hinten geschleudert wurde.

"Wie dumm von dir, hier her zu kommen, Niklaus", sagte ich kalt.
"Nachdem die Liebe meines Lebens für deine Familie sterben musste!"
Zu meiner Überraschung stand er zwar auf, wehrte sich allerdings nicht.
Blut klebte an seinem Kinn, doch ich hielt es noch nicht für genug.
Ich ging auf ihn zu und schlug ihn erneut, doch erneut kam nichts zurück.

"Oh, was ist los? Denk bloß nicht, dass ich dich schnell töten werde!"
"Lucien, denkst du ich wollte das?", schrie er schon fast.
In seinen Augen schwammen Tränen.
"Es ist mir egal was du wolltest oder nicht, Lucille ist tot!", brüllte ich ihn an.
"Wegen dir und deiner Familie, also denk bitte nicht, dass auch nur einer von euch den heutigen Tag überleben wird!"
Ich entblößte meine Zähne und ging auf ihn zu - mein Biss würde ihn garantiert töten, denn abgesehen von meinem eigenen Blut gab es kein Heilmittel dafür.

Bevor ich das tun konnte, wurde ich von jemand anderem zurück gerissen.
Rebekah Mikaelson stellte sich vor ihren großen Bruder.
Sie wäre zwar nicht die nächste auf meiner Liste gewesen, allerdings hatte ich nichts dagegen sie ebenfalls umzubringen.

"Lucien, hör auf!", sagte sie eindringlich.
"Wieso sollte ich aufhören?", fragte ich. "Damit eure Familie in Frieden weiterleben kann während andere für sie sterben?!"

"Du sollst aufhören, weil Lucille sonst umsonst gestorben ist!", schrie sie.
Ihre Worte trafen mich wie ein Schlag ins Gesicht.
"Sie hat sich geopfert, damit Hope Eltern hat. Damit sie eine Familie hat. Wenn du die Menschen tötest, die sie gerettet hat, war ihr Opfer umsonst!"

Wieso?
Wieso musste sie recht haben?
Wieso gab es für mich keine Möglichkeit mich irgendwie für ihren Tod zu rächen?
Eine Träne rann mir über die Wange.

"Bitte Lucien", mischte sich Klaus nun wieder ein.
"Bitte, lass uns-"
"Uns", unterbrach ich ihn, "gibt es nicht mehr, Klaus. Das gab es noch, als sie noch lebte. Jetzt gibt es euch und mich."
"Wir können-", begann Rebekah, brach allerdings ab als ich sie anfunkelte und einen Schritt auf sie zumachte.
"Wir können gar nichts, meine Liebe. Ich werde diese Stadt verlassen. Und wenn mir einer von euch je wieder unter die Augen tritt dann gnade euch Gott."

Ich sah Klaus noch einmal an.
"Ich tue das nicht für dich oder deine Familie. Ich tue das, weil Lucille es gewollt hätte."

Lucilles Sicht

Ich öffnete die Augen und setzte mich schwer atmend auf.
Wo war ich hier?
Zwar befand ich mich immer noch in dem Raum, in dem Hayley mich eben erstochen hatte, doch er war komplett leer.
Ich blickte an mir herunter; mein Hochzeitskleid war voller Blut, doch ich fühlte keinen Schmerz mehr.
Langsam stand ich auf und sah mich um, als ich plötzlich die Tür öffnete.

Ich konnte nicht fassen, wer da vor mir stand.
"Enzo?", fragte ich, wobei meine Stimme kaum mehr als ein Flüstern war.
"Lucy, was tust du hier?", stieß er erschrocken hervor. Seine Augen waren geweitet und seine Stirn von Sorgenfalten belegt.
"Wo bin ich?", fragte ich verwirrt.
Er seufzte voller Sorge und kam auf mich zu, um mich in seine Arme zu schließen.
Selten hatte sich eine Umarmung so gut angefühlt wie diese hier.
Auch wenn ich mich im Moment extrem unsicher fühlte und nicht wirklich wusste, was überhaupt passierte, fühlte ich mich geborgen.

"Du bist auf der anderen Seite, Liebes", sagte mein Bruder und sah mich an.
Die andere Seite. Natürlich. Ich hätte auch früher darauf kommen können.
"Lucy, wieso bist du hier?", wiederholte er.
"Ich... Hope, sie wäre ansonsten gestorben oder hätte ohne ihre Familie aufwachsen müssen und das konnte ich nicht zulassen, ich konnte nicht noch ein Kind einfach sterben lassen, sie hat es verdient-"
"Hey, es ist schon okay", beruhigte er mich und legte eine Hand auf meine Schulter. "Lass uns raus gehen, okay?"

Ich nickte und wir schwiegen, bis wir das Gebäude verlassen hatten und ich endlich wieder frische Luft bekam.
Wir stand nur vor dem Festsaal, in dem Lucien und ich bis vor nicht einmal einer Stunde noch unsere Hochzeit gefeiert hatten.
Mein Herz fühlte sich wieder so schwer wie Beton an, als ich an ihn dachte.

"Lorenzo, es tut mir so leid, dass ich dich einfach habe sitzen lassen. Ich hätte-"
"Nein, hör auf", unterbrach er mich. "Du hattest Recht. Ich weiß nicht, weswegen ich nicht auf die Idee gekommen bin nach dir zu sehen. Ich war einfach zu sehr auf mich selbst fokussiert und du hattest alles Recht, wütend auf mich zu sein."
"Es ist okay, wirklich", erwiderte ich sanft und sah ihn an.
Ich konnte es immer noch nicht glauben, dass er tatsächlich hier war. Dass ich ihn wieder sehen konnte.
Einerseits freute ich mich, nach so langer Zeit endlich wieder richtig mit ihm reden zu können, doch es fühlte sich einfach so unfassbar falsch an.

"Wieso hast du dieses Kleid an?", fragte Enzo dann und blickte mich an.
Ich seufzte und ließ mich auf einer Bank nieder, in der Nähe stand.
"Heute war meine Hochzeit", sagte ich, während er sich neben mich setzte.
"Ich habe geheiratet, aber es sollte wohl einfach nicht sein."
Trotz der Tränen, die sich in meinen Augen gesammelt hatten, lächelte ich meinen Bruder schwach an.

"Du solltest nicht hier sein, Lucy", meinte er und sah mich mit ernster Miene an.
"Wieso?", fragte ich verwundert. "Ich dachte, übernatürliche Wesen verbringen ihre Zeit nach dem Tod hier."
Ihm entfuhr ein kaltes Lachen.
"Nur die, die mit dem Leben noch nicht abschließen konnten", erklärte er. "Ich werde nicht mehr lange hier sein. Ich wollte nur ein letztes Mal mit dir reden."
Aus diesem Grund hatte er fünf Jahre hier verbracht?
"Gott, Enzo, es tut mir leid, ich wollte nicht-"

"Das ist jetzt nicht mehr von Bedeutung", sagte er. "Ich bin jetzt frei, Liebes. Aber du hast noch irgendetwas, womit du abschließen musst, bevor du gehen kannst."
Ich musste keine einzige Sekunde überlegen, um zu wissen, worum oder viel mehr um wen es hierbei ging.

"Lucien", flüsterte ich. "Ich muss zu Lucien."

Lucille St. John - Little VampireWo Geschichten leben. Entdecke jetzt