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Luciens Sicht

Es war spät am Abend und wie jeden Abend - seit acht Jahren, neun Monaten, vier Tagen und etwa zweiundzwanzig Stunden - trank ich.
Los Angeles, wo ich inzwischen lebte, war zwar eine schöne Stadt, doch kein Ort der Welt konnte den Verlust ausgleichen, den ich erlitten hatte.
Von der Dachterrasse meiner Villa aus hatte ich eine nahezu perfekte Aussicht, doch diese erschien mir ohne Lucille einfach wertlos.
So häufig hatte ich daran gedacht, ihr einfach zu folgen, doch ich  war mir sicher, dass das nicht war, was sie sich gewünscht hätte.

Wie häufig ich daran gedacht hatte, die Mikaelsons auszulöschen, konnte ich beinahe nicht mehr zählen.
Allerdings hatte ich mich dann immer wieder daran erinnert, wieso ich Lucille verloren hatte; sie hatte Klaus' Tochter ein schönes Leben garantieren wollen und das würde sie definitiv nicht bekommen, wenn ich ihre Eltern tötete.

Nach ihrem Tod war ich nach Los Angeles gezogen und hatte mich voll und ganz auf die Firma fokussiert, die ich ursprünglich nur gegründet hatte, um übernatürliche Wesen zu erforschen und so an noch mehr Macht zu gelangen.
Schon seit Jahren war sie das nicht mehr, trotzdem verdiente ich damit mehr als genug Geld.
Ich hatte jede Möglichkeit ergriffen, mich von Lucille anzulenken, doch egal was ich tat, wenn ich am Abend wieder alleine war, half mir nur noch der Alkohol die Leere in mir zu füllen.

"Lucien?"
Als ich die Stimme in meinen Ohren hörte, gefror mir das Blut in den Adern.
Das konnte nicht wahr sein.
Entweder mein Geist spielte mir einen Streich oder eine Hexe schlich sich in meine Gedanken.
Allerdings wusste ich nicht, wieso eines von beidem der Fall sein sollte.

Dennoch stand ich auf und drehte mich um.
Das Glas Rotwein, das ich bis eben noch getrunken hatte, fiel mir aus den Händen und mein gesamter Körper spannte sich an.
Das konnte nicht wahr sein.
"Cece?"

Lucille Castle, mit der ich gerade einmal ein paar Stunden verheiratet gewesen war, bevor sie den Tod gefunden hatte, stand vor mir.
Ihr dunkles langes Haar schimmerte leicht silbern im Mondlicht. Sie trug einen schwarzen Rock und ein weißes, abgeschnittenes T-Shirt, was bei der Hitze des Sommers auch die einzig angebrachte Kleidung war.

Ich konnte es nicht fassen.
Das konnte nicht wahr sein. Irgendetwas musste hier gewaltig falsch sein.
Irgendwer versuchte mich zu manipulieren, eine andere Möglichkeit gab es nicht.

Ohne einen weiteren Augenblick zu zögern schoss ich in Vampirgeschwindigkeit auf die Person zu, packte sie am Hals und presste sie gegen die Hauswand.
Gott, sogar der Geruch stimmte.

"Schön, ich muss zugeben, du lieferst eine ziemlich glaubhafte Version von ihr, aber wer bist du und was willst du?"
Ihr Gesicht wirkte gequält, aber anstatt sich zu wehren legte sie sanft die Finger auf die Hand, mit der ich sie gepackt hatte und sah mir in die Augen.

"Ich bin es wirklich, Lucien", flüsterte sie.
Es fühlte sich an wie ein Stich mitten in mein Herz, diese Stimme wieder zu hören.
Dennoch blieb ich kalt und festigte meinen Griff.
Irgendwer versuchte mich zu manipulieren.
"Natürlich. Vergiss deine Show und sag mir wer du wirklich bist", erwiderte ich kühl.

"Lucien, bitte."
Sie legte eine Hand an meine Wange. Genau das hatte Lucille schon einmal getan, als ich von den Ahnen besessen gewesen war.
Anstatt gegen mich anzukämpfen hatte sie mir gesagt, dass sie mich liebte.
Diese eigentlich schöne Erinnerung war nun mit so viel Schmerz behaftet, dass ich sie augenblicklich zur Seite schob und verdrängte.
"Hope und Freya haben mich von der anderen Seite zurück ins Leben geholt."

Das würde vermutlich jeder sagen, der vortäuschen würde sie zu sein.
"Du darfst noch eine Sache sagen, bevor ich dich beiße und du langsam und qualvoll an den Folgen meines Bisses zu Grunde gehst."

Tränen schwammen in ihren Augen.
Ihre Mimik... Es schien einfach alles perfekt zu stimmen.

"Ich habe 1903 mein Kind verloren. Du und Kol sind die einzigen die davon wissen. Wir haben uns in den Fünfzigern kennen gelernt und Klaus wollte eigentlich nicht, dass ich dich traf. Du hast mich nicht für Aurora verlassen, sondern um mich vor ihr zu schützen und ich habe dir deswegen ewig misstraut. Ich starb an unserer Hochzeit und ich habe mir all die Jahre auf der anderen Seite nie dafür vergeben können, dich verlassen zu haben, also bitte Lucien, lass mich dir diese Zeit wieder zurück geben."

Ohne etwas zu erwidern ließ ich sie los und stolperte einen Schritt zurück.
Einige der Dinge, die sie mir eben erzählt hatte konnte nur sie wissen.

"Cece?"
Meine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern, als ich den Spitznamen aussprach, den ich vor Jahrzehnten für sie ausgewählt hatte.
Sie lächelte schwach und überbrückte die Distanz zwischen uns, um mich um den Hals zu fallen.
Zunächst stand ich wie versteinert da, doch dann schlang ich meine Arme um sie und drückte sie an mich.

In diesem Moment war es, als würde eine Leere, die mich von Innen zerfressen hatte, auf einmal wieder gefüllt werden.
Als würde ein Teil von mir, den ich verloren hatte, wieder da sein.

"Es tut mir so unendlich leid, Lucien", flüsterte sie mit erstickter Stimme.
"Ich wollte dich nie verlassen, ich kann verstehen, wenn du mich nicht mehr zurück-"
"Shh", unterbrach ich sie und schob sie etwas von mir, um ihr ins Gesicht blicken zu können.
"Ich habe so lange auf diesen Moment gewartet ohne damit zu rechnen, dass er tatsächlich kommen würde. Ich lasse dich nirgends mehr hingehen, Lucille Castle."

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Das vorletzte Kapitel hihi

Lucille St. John - Little VampireWo Geschichten leben. Entdecke jetzt