November 1901
Mit Tränen in den Augen klopfte ich an die Wohnungstür vor mir.
Das konnte nicht wahr sein. Wie konnte es nur so weit kommen?
Mir war eiskalt, da es draußen schneite und ich hatte das Gefühl zu erfrieren, wenn ich nicht demnächst einen Heizkörper oder zumindest ein wärmendes Kaminfeuer fand.Endlich öffnete mein Bruder die Tür.
"Lucy?", fragte er verwundert.
Wir hatten uns die letzten Wochen öfters gesehen, allerdings nur kurz nachdem ich von der Schule gekommen war; seit mein Vater und Lorenzo sich zerstritten hatten, erlaubte er es mir nicht mehr meinen Bruder zu sehen.
Zumindest war das so gewesen. Bis jetzt
"Es ist so spät, was tust du hier?", fragte er besorgt und legte eine Hand auf meinen Rücken, um mich zu sich in seine Wohnung zu führen."Es ist... es ist Dad, Lorenzo", sagte ich mit zitternder Stimme und konnte nicht verhindern, dass sich Tränen ihren Weg über meine Wangen bahnten.
"Was ist mit Dad, Liebes?", fragte er und sah mich schockiert an. Mir war klar, dass er die Antwort schon wusste.
"Er ist tot", flüsterte ich mit erstickter Stimme und konnte ein Schluchzen nicht unterdrücken.
Ohne einen weiteren Moment abzuwarten zog mein Bruder mich in seine Arme und drückte mich fest an sich, während ich nicht aufhören konnte zu weinen."Es wird alles gut, Lucy", versicherte er mir mit ruhiger Stimme.
"Nein, wird es nicht", widersprach ich ihm und sah ihn verängstigt an.
"Dad hatte einen Berg von Schulden und ich werde nirgends wohnen können und ich kann nicht mehr zur Schule gehen und-"
"Hey", unterbrach er mich und legte seine Hände auf meine Schultern. "Du wirst bei mir wohnen, Lucy, das ist gar keine Frage. Wir können Dads Schulden von seinem Haus abbezahlen. Du bist sicher, okay? Du kannst bei mir bleiben."
Es war, als würde eine Last von meinen Schultern fallen.
"Wirklich?", fragte ich und wischte mir die Tränen vom Gesicht.
"Wirklich", versprach er und zog mich erneut in eine Umarmung.
"Es wird alles gut."-
Gerade eben war definitiv nicht alles gut.
Ich hatte schreckliche Kopfschmerzen und ächzte, als ich vom Bett aufstand.
Eine Flasche Wodka am Abend hinterließ auch bei Vampiren Spuren am nächsten Morgen. Oder wohl viel mehr am nächsten Mittag, es war bereits ein Uhr als ich es endlich schaffte, mich aus dem Bett zu quälen.
Ich ging ins Bad und wusch mir das Gesicht mit eiskaltem Wasser in der Hoffnung, etwas wacher zu werden.
Danach nahm ich mir eine Blutkonserve aus dem Kühlschrank und begann davon zu trinken. Gegen einen Kater half das meistens.In meinem Kopf spielten sich die Ereignisse von gestern Abend erneut ab, doch ich versuchte sofort meine Gedanken in eine andere Richtung zu lenken. Ich konnte nicht darüber nachdenken, dass mein Bruder tot war.
Ich hätte die Chance gehabt, mich mit ihm zu versöhnen und weil ich bockig gewesen war, würde ich sie jetzt nie mehr haben.
Erneut formte sich etwas in meiner Brust, was sich wie ein Knoten aus Stahlseil anfühlte und ich hätte trotz meines Katers am liebsten direkt wieder zur Flasche gegriffen.Mein Blick fiel auf die Diele, unter der ich das Holz der Weißeiche versteckt hatte. Es fühlte sich wirklich ganz und gar nicht sicher an, sie hier aufzubewahren, denn wenn Aurora sie nicht bei Lucien sondern hier suchen würde, würde sie sie finden. Da war ich mir sicher.
Ich sollte sie einem der Mikaelson-Geschwister geben. Vor allem dank Freya würden sie besser in der Lage sein, diese Waffe zu schützen als ich.
Mir war klar, dass vor allem Klaus vermutlich nicht gerade begeistert sein würde, aber ich konnte ihnen nicht ewig die Wahrheit verschweigen.
Ich atmete tief durch und stand auf, um mich fertig zu machen. Das würde mit Sicherheit nicht gerade angenehm werden.•
"Du hast WAS?!", schrie Klaus schon beinahe.
Ich hatte mir gedacht, dass er mir nicht gerade für die Weißeiche danken würde, aber ich hatte mir nicht vorstellen können, wie wütend er auf mich sein würde.
In all den Jahren hatte er mich noch nie dermaßen angeschrien wie er es jetzt gerade tat."Es tut mir leid, Klaus, wirklich, ich dachte es wäre die richtige-"
"Oh ja, natürlich dachtest du es sei richtig Lucien mehr zu vertrauen als uns!", fuhr er mich an und schlug mit der Hand auf den Tisch.
Ich kannte Klaus' Temperament, allerdings hatte ich bisher mit Glück sagen dürfen, es nie wirklich zu spüren bekommen zu haben. Dem war jetzt offensichtlich nicht mehr so."Ich hätte nie etwas getan, was euch in irgendeiner Form in Gefahr bringt, ich wollte nur-"
"Geh", unterbrach er mich mit kalter Stimme.
Autsch. Das tat weh.
"Klaus, ich hätte euch niemals hintergangen oder etwas getan, was euch hätte schaden können", sagte ich und spürte, wie der Knoten in meine Brust sich immer fester zuzog.
"Das hast du aber, Lucille", erwiderte er kühl. "Und jetzt verlass dieses Anwesen, bevor ich dich hier selbst rauswerfe!"
"Es tut mir-"
"Und mir ist es egal!", unterbrach er mich mit lauter Stimme und stand urplötzlich vor mir. Seine Augen leuchteten gelb vor Wut. "Und jetzt geh."
"Na schön", erwiderte ich dann kühl.
Dann drehte ich mich um und verließ das Anwesen mit Tränen in den Augen.Die Mikaelsons waren die Familie gewesen, die immer für mich da gewesen war.
Die Familie, die ich mich aufgenommen hatte, als ich allein gewesen war.
Doch jetzt hatte ich scheinbar keine mehr.
Und das Schlimmste war, dass es meine eigene Schuld war.•
Hey:)
Ich weiß, das Kapitel ist ein bisschen sad, aber muss halt auch mal sein haha
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Lucille St. John - Little Vampire
FanfictionKeine Person weiß, wer sie wirklich ist. Keine Person weiß, was sie wirklich ist. Und vor allem weiß keine Person, wie alt sie wirklich ist... Es gibt viele Vampire, die für den Rest ihres ewigen Lebens im selben Körper leben müssen - doch Lucille S...