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Als Andre das Licht an macht erkenne ich die alte Diele. Der Boden besteht aus dunklen Holzbalken, die Wände sind weiß und überall hängen Bilder- von Personen, aber auch Kunstwerke, die meine Mutter auf irgendwelchen Märkten erstanden hatte. Neben der Tür hängen Jacken sorgfältig in einer Nische an modernen Haken. Schuhe stehen ordentlich aufgereiht darunter und in einem Korb liegen Schals, Mützen und Handschuhe, die zu dieser Jahreszeit völlig fehlbar Platz sind. Auf einer Kommode auf der anderen Seite stehen frische Sommerblumen in einer von Mums alten Vasen und ein rotes, kleines Deckchen bietet dem weiß der modernen Kommode einen wunderschönen Kontrast. Gegenüber der Tür führt eine dunkle, hölzerne Treppe in den ersten Stock. Trotz des alten Stils des Hauses wirkt alles sehr neu und gemütlich- genauso, wie ich es damals verlassen hatte.
"Du hast nichts verändert", flüstere ich. Mein Bruder neben mir nickt.
"Es gehört nicht nur mir." Er sieht mich an. "Sie haben dir damals wahrscheinlich nichts erzählt, aber das Haus gehört uns, Em." Er grinst über beide Ohren. "Sie haben schon ganz früh ein Testament unterschrieben, dass bei einem Todesfall alles uns gehören wird." Seine Freude ist so ansteckend, dass ich mit lachen muss. Vom einen auf den anderen Moment bin ich so glücklich wie noch nie zuvor. Plötzlich habe ich das Gefühl alles schaffen zu können. Ich weiß, dass ich jedes Hindernis überwinden kann, dass mir das Leben in den Weg stellt. Ich will im hier und jetzt leben und alles vergessen, was vor drei Jahren war.
Achtlos werfe ich die Tasche in die Ecke und renne zur ersten Tür, die auf der rechten Seite liegt. Sie führt in die Küche, die abgesehen von dem weitergehenden Parkettboden vollkommen modern ist. Der Stil passt perfekt zum Rest der Möbel hier: einem weißen Tisch für vier Personen, den runden Hocker, die darunter stehen und dem Regal an der Wand neben der Tür, in dem Omas altes, gutes Geschirr steht. Auch hier ist nichts verändert und alles blitzblank. Durch die Tür auf der linken Seite gehe ich ins nächste Zimmer- das Esszimmer mit türlosen Durchgang zum Wohnzimmer. Der alte, dunkle Eichentisch steht noch an der selben Stelle, so wie Mum und ich ihn umgestellt hatten, kurz bevor sie starb. Im Wohnzimmer sind sogar die Falten aus dem grauen Stoff der Coach gestrichen und die Kissen liegen sorgsam an ihrem Platz. Das gewaltige Regal dahinter ist überfüllt mit Büchern, die sich auch noch neben dem Fernseher auf der gegenüberliegenden Seite stapeln. Durch die breite Fensterfront hat man einen perfekten Ausblick auf den wild durcheinander blühenden Garten. Ich bleibe vor den Fenstern stehen und betrachte das, was man jetzt noch in der Dämmerung vom Garten sieht.
"Warum bist du nicht dort geblieben?" Ich sehe das Spiegelbild meines Bruders in der Scheibe.
"Weil ich ihnen etwas schulde. Weil ich dir etwas schulde." Er nickt und kommt näher.
"Ich hätte dich vorhin am Flughafen fast nicht erkannt", sagt er und steht nun direkt hinter mir und schaut mich ebenfalls durch mein Spiegelbild an. "Vielleicht willst du es nicht hören, aber du bist nicht das Mädchen, dass mich vor drei Jahren angeschrien hat. Du siehst nicht danach aus, als wärst du meine Schwester. Du wirkst wie jemand ganz anderes." Seine Augen erzählen die Geschichte weiter. Sie erzählen von Angst und der Hoffnung es hätte sich doch nicht so viel geändert; von der Hoffnung es gäbe doch noch etwas, dass wäre wie damals. Ich schüttele den Kopf als Antwort auf die stumme Frage. Er dreht sich um und geht zu Tür. "Ich habe dich vermisst", sagt er so leise, dass ich es fast nicht verstanden hätte.
"Ich dich auch", sage ich genauso leise. Dann ist er aus dem Raum und ich höre schnelle Schritte die Treppe hochrennen.
Ich bleibe noch ein wenig im Wohnzimmer, fahre voller Erinnerungen über die Buchrücken der Bücher im Regal. Schließlich setzte ich meine Erkundungstour fort. Hinter der zweiten Tür links in der Diele ist die Gästetoilette und eine Tür weiter das Gästezimmer. Hier hat sich nichts verändert. Auf der gegenüberliegenden Seite führen zwei Türen in den anderen Teil des Hauses, einen Teil, den ich nicht zu betreten wage. Was dahinter liegt würde zu viele Erinnerungen wecken. Also gehe ich langsam die knarrende Treppe hoch. Auf dem Boden im lange Flur liegt eine weißer, flauschiger Teppich, der durch die Jahre anfängt grau zu werden. Hier Reihen sich auf der linken Seite einige Türen, während man auf der rechten Seite hinunter auf den Eingangsbereich sieht. Hinter der ersten Tür liegt das Bad, dass wir vor meiner Flucht renoviert hatten und mir noch nicht sehr vertraut vorkommt. In den Bechern über dem Waschbecken stehen neue Zahnbürsten und in dem kleinen Schränkchen, dass an der Wand hängt, reihen sich Andres angesammelte Deo- und Parfümsammlungen, etwas alte Schminke von mir und Nagellack von Mum, den ich mir öfter von ihr ausgeliehen hatte, als sie ihn benutzt hatte. Hinter der zweiten Tür liegt Andres Zimmer, den ich jetzt aber nicht stören möchte, also gehe ich zur nächsten Tür. Es hängen einige Schilder daran, die darauf hinweisen niemals dieses Zimmer zu betreten, welche Regel hier herrschen und was zu befolgen ist. Ich muss schmunzeln und drücke die Klinke hinunter. Die Tür klemmt leicht, halst hätte sie längere Zeit keiner mehr geöffnet. Das Zimmer ist geräumig. Die Wände sind hauptsächlich weiß, nur die Wand zu meiner Linken ist in einem dunklen Rot gestrichen. Die Fensterfront mir gegenüber zeigt auf den Garten und davor liegt ein roter Sitzsack und ein weißes, kleines Tischchen, auf dem sich Bücher und Zeitschriften stapeln. An der Rechten Seite steht ein weiß lackierter Schreibtisch. Bücher und Hefte stehen oder liegen ordentlich in dem kleinen Regal daneben. In einer Stiftebox sammeln sich Stifte aller Art und ich weiß, dass in der Schublade unter dem Tisch Boxen mit Buntstiften und Etuis liegen. Neben dem Schreibtisch steht ein gewaltiger, weißer Schrank, der sich übers Eck zieht. Zwei der vier Schiebetüren sind Spiegel und ich blicke auf ein Mädchen, dass dieses Zimmer noch niemals gesehen hat. An der roten Wand steht ein großes Bett mit Metallstreben an der zur Wand zeigenden Seite und zu den zwei kürzeren Seite . Um die Streben schlänget sich eine bunte Lichterkette und in den Ecken liegen geblümte Kissen, die perfekt zum Muster der Bettwäsche passen. Neben dem Bett steht eine Sammlung Nagellacke, eine Stereoanlage, ein Laptop und ein Schmuck- und Schminkkästchen in einem weißen Regal. Die Wand über dem Bett ist mit Fotos übersät, die lachende Menschen in den verschiedensten Positionen an den unterschiedlichsten Orten zeigen, aber auch Postkarten von Städten. Über dem Schreibtisch hängen selbstgemalte Bilder von unterschiedlicher Qualität. Ich schließe die Tür und lasse meine Tasche auf den roten Teppich zu meinen Füßen fallen. Dann sinke ich zu Boden und vergrabe das Gesicht in den Händen.

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