Ich schrecke hoch. Die Uhr an der Wand zeigt sieben Uhr. Erleichtert falle ich zurück in den Sitzsack. Für einen kurzen Augenblick schließe ich die Augen wieder, einfach nur im mir in Erinnerung zu rufen, was heute auf mich zu kommt. Schwerfellig erhebe ich mich und verfluche mich für einen kurzen Augenblick, dass ich noch keine Nacht normal in meinem Bett geschlafen hatte. Aus einer der Tüten vom Shoppen am Freitag, die immer noch unberührt neben der Zimmertür steht, krame ich eine olivfarbene Jeans und ein weißes, weites Top. Dazu suche ich aus meinem Koffer eine Statement-Kette mit milchig-grünen Steinen. Die blonden Haare werden zu einem hohen, unordentlichen Zopf hochgesteckt. Ich laufe am Badezimmer vorbei, einfach keine Lust mich irgendwie großartig 'aufzuhübschen'. In der Küche reicht zu dieser frühen Stunde ein schwarzer Kaffe und eine Banane. Während ich den heißen Kaffe meine Kehle herunterlaufen lasse, starre ich durch das Küchenfester raus auf die Straße. Fast ist es so, wie vor drei Jahren. Nur fehlt die Neugier, was alles passieren könnte. Früher war mir immer total kalt, wenn ich aufgeregt war. Ich hatte am ganzen Körper gezittert und doch irgendwie immer lächeln müssen. Jetzt sitze ich hier und durch den Kaffe ist mir plötzlich total warm. Trotzdem trinke ich die Tasse leer und räume sie in die Spülmaschine. Als ich gerade nach oben gehen will kommt mir Andre die Treppe runter. Er murmelt ein verschlafenes Guten Morgen und verschwindet in der Küche. Ich bleibe in meinem Zimmer einen kurzen Augenblick vor dem Fenster stehen und betrachte die Sonne, die sich gerade so über die Baumwipfeln räkelt; versuche die Tränen zurückzuhalten. Dann packe ich ein Mäppchen mit Stiften und einen Collegeblock in meine Lieblingstasche, starre einen Augenblick auf das Foto von Tim, dass noch von Samstagabend auf meinem Schreibtisch und packe es kurzerhand zusammen mit dem Heft ein. Dann verlasse ich das Zimmer, mache noch einen kurzen Abstecher im Badezimmer und laufe dann die Treppe runter. Andre steht mit mürrischem Blick an der Haustür und beobachtet mich, wie ich mir meine Riemchensandalen anziehe und eine schwarze Lederjacke vom Garderobenhaken nehme.
"Du scheinst nicht so aufgebracht, wie ich erwartet hatte", stellt er schließlich fest, als ich die Tür öffne und ihm in die Garage folge.
"Habe ich eine Wahl?", frage ich und zögere einen Moment, bevor ich mich auf den Beifahrersitz des alten Autos meiner Eltern setzte.
"Das nicht, aber so wie ich dich kenne hättest du es wenigstens versucht", erklärt er und startet den Wagen.
"Versucht habe ich es", sage ich und kurbel das Fenster runter. "Hat nichts gebracht, also versuche ich es mit Desinteresse." Ein Grinsen breitet sich auf seinem Gesicht aus.
"Dafür bist du aber ziemlich gut drauf", meint er und tritt auf die Bremse.
"Mmh.... total", sage ich ironisch und blicke aus dem Fenster, während die Ampel grün wird.
"Mach mir aber keinen Ärger, hörst du", erklärt er und sieht mich mit hochgezogener Augenbraue an.
"Ich werd's versuchen", sage ich und grinse. Ich bin für einen Moment glücklich einfach nur hier zu sitzen und an den ganzen Häusern vorbeizufahren. Doch dann erschlägt mich die Wahrheit wieder und das Grinsen verschwindet.
"Du hast es wenigstens noch einfach", meint Andre plötzlich. "Der ganze Scheiß muss dich nicht mal interessieren. Alles was ich jetzt mache geht aufs Abi." Er macht einen gequälten Gesichtsausdruck.
"Dafür musst du nur noch dieses Jahr. Ich hab noch drei vor mir", maule ich. Er lacht.
"Stimmt. Punkt für dich." Ich lächle triumphierend. Er fährt um die Ecke und mir wird schlagartig klar, was gleich auf mich zu kommt. Plötzlich nervös umklammere ich den Saum meiner Tasche. Die Häuser am Straßenrand sind mir viel zu bekannt und das riesige Gebäude, auf das wir zufahren, ist mir leider in den letzten Jahren nicht aus dem Gedächtnis verschwunden.
DU LIEST GERADE
Make a wish
Teen FictionNach ihrer Flucht aus Deutschland baut sich Blou in Frankreich ein neues Leben auf, völlig frei von Sorgen. Leider muss sie aber feststellen, dass sich die Vergangenheit nicht so leicht abhängen lässt wie erhofft. Viel zu früh schickt man sie in di...