memories

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Ich schaue auf die Uhr. Es ist halb sechs und ich irre immer noch mit Emma durch die Stadt. Das, was ich in den Einkaufstüten mit mir rumschleppe habe ich hauptsächlich nicht einmal selbst ausgesucht. Nachdem Emma erklärt hatte, dass ich unbedingt Sachen haben muss, die diesem Jahrhundert entsprechen, habe ich sie gehen lassen. Ich kann nicht sagen, dass ich das alles eigentlich nicht hätte kaufen wollen, aber ohne sie wäre es trotzdem nicht in die Tüten gewandert. Und es sind einige Tüten. Ich weiß selbst nicht wann ich das alles anziehen soll, aber Emma ist schon dabei einen neuen Termin fürs nächste Shoppen auszusuchen. Während ich hinter ihr her laufe, beobachte ich die Menschen, die an mir vorbeilaufen. Einige gucken mich total bescheuert an und andere lächeln mir zu, als müsste ich sie kennen. Und andere ignorieren mich einfach. Ich sehe einen Jungen, der Tim total ähnlich sieht und das versetzt einen Stich in meinem Herzen. Eine Träne bildetet dich in meinem Augenwinkel und bevor sie ausbrechen kann, wische ich sie weg. Ich werde ihn wiedersehen, verspreche ich mir selbst. Ich werde ihn nicht vergessen.
Die Tüten in meiner Hand werden schwerer und ich wünsche mir mich irgendwo hinsetzten zu können.

"Da ist ja meine Lieblingsverschollene!" Mit diesen Worten öffnet Jens mit die Tür.

"Halt die Klappe", gebe ich zurück und schiebe mich an ihm vorbei ins Haus.

"Na du bist aber gut gelaunt", stellt er fest. Ich werfe ihm einen genervten Blick zu und schmeiße die Sandalen in eine Ecke.

"Was machst du eigentlich noch hier?", frage ich ihn ohne ihn anzusehen.

"Geh mit Andre gleich noch auf ne Party", sagt er so beiläufig wir möglich. Ich nehme die Tüten wieder in die Hand und schleppe sie die Treppe hoch. Ich will jetzt einfach nur noch ins Bett, egal wie spät es ist.

Als ich die Tür öffne fällt mein erster Blick auf den Sonnenuntergang über dem Garten. Ohne Rücksicht darauf zu nehmen, dass das der Anfang eines gewaltigen Chaos werden würde, lasse ich die Tüten einfach fallen und sinke in den Sitzsack am Fenster nieder. Meine Mutter hatte Sonnenuntergänge geliebt, schießt es mir durch den Kopf. Sie hatte uns abends immer nach draußen gescheucht und wir durften erst gehen, wenn es vorbei war. Wenn wir einen Urlaub planten, dann waren für sie die Sonnenuntergänge an dem gewünschten Ort ein großer Kritikpunkt. Meinen Vater hatte das immer regelrecht auf die Spitze getrieben, aber ich weiß, dass er sie wegen diesem Tick besonders geliebt hatte.

Tränen rinnen meine Wangen hinunter.

Mein Vater hatte sie geliebt, über alles. Er war mal von einem Kollegen in einen Club geschliffen worden, als es mal nicht so gut zwischen ihm und meiner Mutter gelaufen war. Mehrere Frauen hatten versucht sich an ihn rann zu machen, doch er hatte jedes Mal gesagt, er würde seine Frau über alles lieben und sie niemals hintergehen. Am Ende wurde er aus dem Club geschmissen, weil den Barkeeper eine reinegehauen hatte, als er sich beschwerte, warum er überhaupt da wäre, wenn er doch eh alle Frauen abweisen würde. Bei meiner Mutter bliebt das als Heldentat hängen.

Ich wische mir eine weitere Träne aus dem Augenwinkel.

Ich hatte einige Streits meiner Eltern miterlebt. Einmal standen sie fast vor der Scheidung. Was sie letztendlich daran gehindert hat, sich scheiden zu lassen weiß ich nicht, doch es war die beste Entscheidung ihres Lebens gewesen.

Um nicht noch mehr weinen zu müssen stehe ich auf und greife nach einem Teddybären, der in der Ecke meines Bettes liegt. Leider bring das auch nichts. Es macht alles nur noch schlimmer.

Meine Mutter hatte mir diesen Teddy geschenkt, zu meinem fünften Geburtstag. An dem Tag war wirklich alles schiefgelaufen. Ich war morgens wortwörtlich aus dem Bett gefallen, war auf den Kopf gefallen und war später im Krankenhaus wieder aufgewacht. Den Teddy hatte mir meine Mutter zum Trost geschenkt. Danach hatte ich ihn jedes Mal in die Hand gedrückt bekommen, wenn ich mal wieder hingefallen war. Aber es musste meine Mutter sein, die ihn mir gab, ansonsten half es nicht.

Und heute sitze ich hier und mir tut der Gedanke weh, dass sie ihn mir nie wieder geben wird.

Ein Schluchzer entrinnt meinem Mund und ich blicke auf. Das Zimmer strahlt in einem Orange, mich an Mums Lieblingskleid erinnert. Die Schatten der Möbel wirken wie Dads schwarzer Anzug, den er immer zu besonderen Anlässen getragen hatte. Die letzten Sonnenstrahlen lachen mir entgegen, als wollen sie sich von mir verabschieden und die Schatten der Bäume strecken ihre kalten, aber irgendwie vertrauten Arme zu mir aus, in denen ich versinke und verschwinde.

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