Friends, boyfriends and ex

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"Heute Abend, Blou", sagt Emma plötzlich.
"Was heute Abend?", frage ich verwirrt. Wenn sie doch nur einmal Klartext reden würde!
"Sagst du es ihm!" Sie sieht mich an, als wäre ich schwerhörig. Ich schüttle den Kopf.
"Ich kann doch nicht einfach sagen: Ach übrigens, Tim, ich liebe dich." Sie zieht eine Augenbrauen hoch.
"Hast du eigentlich jemals einen Freund gehabt?", fragt sie interessiert. So gut kennt die mich nun doch noch nicht. Im letzten Sommer war da dieser Kerl gewesen- Ben. Er kam aus Österreich. Er war echt süß gewesen und nach einer Woche hatte er mich dann geküsst. Wir waren eine Woche zusammen gewesen, bis er dann wieder fuhr und Schluss machte, weil er eine Fernbeziehung nicht aushalten würde. Das hatte mich sehr gekränkt. Und davor Jason. Amerikaner. Austauschschüler der Familie, der der Campingplatz gehört. Nicht gerade der beste Umgang, wie ich später von allen Seiten zu hören bekam. Er war so ein typischer Matcho gewesen- plus Alkohol, Drogen und den ganzen Scheiß. Tim wundert sich immer noch, das ich es mehr als zwei Monate mir ihm ausgehalten hatte. Aber ich hatte ihn geliebt, so richtig! So wie er sich anderen zeigte- diese arrogante, besserwisserische Art, die war völlig verschwunden, wenn wir zusammen waren. Aber so wie immer, war auch er irgendwann weg. Ab und zu schrieb er mir aus Amerika eine E-Mail, ansonsten höre ich nichts mehr von ihm, getrennt sind wir auch schon seit einiger Zeit. Aber bei beiden Beziehungen hatte er den ersten Schritt gemacht. Und bei jeden Beziehungen hatte ich genau gewusst, was ich für ihm empfand. Bei Tim ist das anders. Ich kenne ihn seit drei Jahren. Ich kenne alles an ihm, jede Macke, jeden Kratzer und jede Angewohnheit. Ich weiß alles über ihn- glaube ich zumindest, über seine Familie, über seine Vergangenheit- da bin ich mir sicher, und über seine Gegenwart. Ich könnte eine Liste mir Dingen schreiben, die er vor hat: dass er eine Familie gründen will, dass er aber vorher unbedingt studieren will, dass er zwei Kinder will- einen Jungen und ein Mädchen, Namen sind egal... und er weiß den Großteil über mich. Von meiner Vergangenheit kennt er nur Bruchstücke, aber dafür weiß er jedes andere Detail, das mich zu dem macht, der ich heute bin. Vielleicht ist das deren Grund, warum wir uns lieben sollten, aber vielleicht ist es auch genauso der Grund, warum wir nur Freunde bleiben sollten.
"Hallo?! Jemand Zuhause??" Emma fuchtelt mit einer Hand vor meinem Gesicht herum. Ich blicke auf.
"Äh was?"
"Du hast meine Frage noch nicht beantwortet! Hattest du nun schon einen Freund oder nicht?", fragt sie noch einmal. Ich nickte.
"Mmh. Ben und Jason." Ich ratter die beiden Namen ohne jegliche Emotion runter, als wenn sie nur irgendwelche x-beliebigen Namen wären.
"Das muss dann aber schon ne ganze Weile her sein", meint Emma lachend.
"Ein Jahr vielleicht", sage ich.
"War Tim nicht Eifersucht oder so?" Ich sehe sie verwirrt an.
"Wieso sollte er denn eifersüchtig gewesen sein? Das war parallel zu Amelie." Emma scheint zu verstehen. Amelie ist Time Ex. Sie waren fast ein ein halb Jahre zusammen gewesen, bis sie ihn betrogen hatte. Das war vor zwei Monaten gewesen, also kurz bevor er hier her fuhr. Ich hatte Amelie nie kennengelernt, aber ich glaube sie muss echt nett gewesen sein, denn Tim lässt sich nun mal nicht mit jeder ein. Aber im letzten halben Jahr muss es auch nicht so gut gewesen sein, denn die Tatsache, dass Tim für zwei Wochen nach Frankreich flog, um dort alleine zu campen hatte Amelie wohl etwas stutzig gemacht. Deshalb hatte Tim die Trennung auch nicht so mitgenommen- wahrscheinlich zu meinem Glück. "Und du?", fragt Emma nun. "Warst du eifersüchtig auf Amelie?"
Ich überlege. Aus Tims Erzählungen muss er sie wohl sehr geliebt haben. Die beiden gehen auf die selbe Schule, kennen sich aber erst seit zwei Jahren so richtig. Amelie muss wohl schon etwas länger ein Auge auf Tim geworfen haben, doch dieser hatte sie völlig übersehen. Als sie dann endlich zusammen kamen, wusste die halbe Schule von Amelies heimlicher Liebe und Tims Unwissenheit.
"Die beiden waren so glücklich gewesen", sage ich. "Ich habe mich glaub ich mehr für sie gefreut, als das ich eifersüchtig war."
"Bist du dir da sicher?", fragt Emma. "Ich weiß zwar nicht, wie du reagiert hast, als Tim erzählt hat, dass sie Schluss gemacht haben, aber ich stell mir vor, dass du innerlich einen ziemlichen Freudentanz aufgeführt hast!" Sie grinst.
"Ey!" Ich schlage ihr leicht auf den Arm. In dem Moment kommt unser Essen.
"Bon appétit", sagt der Kellner und lässt uns wieder allein.
"Du weißt hoffentlich, dass du mich so schnell nicht mehr los wirst", erklärt sie zwischen zwei Löffeln Vanilleeis.
"Ich weiß", sage ich lächelnd. Ich würde mit Emma und ihrer Familie zusammen- und Rose zurück nach Köln fahren. Emma wohnt zwar in einem völlig anderen Stadtteil, aber wenigstens nicht so weit weg wie Tim. Oh Gott, was würde ich dafür tun mit Tim nach England zu fliegen. Ich würde- nur wenn's sein muss, sogar zur Schule gehen, nur damit ich nicht zurück nach Köln muss. Ok, vielleicht auch, weil ich mich dann nicht von ihm verabschieden muss und ihn jeden Tag sehen würde- nicht nur in den Sommerferien. Es würde mich echt mal interessieren, was es für Freunde hat, wie er seinen Alltag regelt oder was er in seiner Freizeit macht. Ich schlage mir diesen Gedanken aus dem Kopf. Vielleicht bin ich ja in ihn verknallt, aber vielleicht ist das auch einfach nur eine blöde Reaktion auf den bevorstehenden Abschied. Emma redet jetzt über ihre Schule, dass sie sich riesig freut ihre Freundinnen wiederzusehen und mir unbedingt ihren Freund vorstellen muss, sobald wir gelandet sind. Ich höre nur mit halben Ohr hin. In Gedanken gehe ich meinen Alltag durch- den vor drei Jahren. Ich war morgens um halb sieben aufgestanden, hatte wie jeder andere kaum gefrühstückt, hatte mich fertig gemacht und war dann mit dem Bus zur Schule gefahren. Schule war natürlich schrecklich gewesen, die Lehrer einfach nur grausam und der Unterrichtsstoff tot langweilig. Das einzige, das solche Tage verschönert hatte, waren Freunde, Klassenkameraden und Pausen. Mittags gab es Essen in der Kantine, dann weiter Unterricht oder AGs. Nachmittags war ich müde nach Hause gekommen, hatte Hausaufgaben gemacht und war dann zum Volleyball, Saxophon oder zu Freunden gefahren. Abends ging es dann pünktlich ins Bett- und das fünf Tage die Woche. Ich weiß nicht, wie ich das damals hinbekommen hatte, ohne irgendwann einfach keine Lust mehr zu haben oder zu müde zu sein. Jetzt sieht mein Alltag ganz anders aus. Ich stehe zwischen sechs und sieben auf, schnappe mir mein Surfbrett und geht surfen. Essen und Kommunikation kommen oft etwas zu kurz, aber das macht eine Tüte Chips am Feuer mit Jerry und Tim abends dann wieder gut. Ich werde diese Abende wohl vermissen. Manchmal einfach schweigend in die Flammen zu starren und den Tag verarbeiten oder mit Jerry über ein hirnrissiges Thema diskutieren, werde ich wohl erst im nächsten Sommer können- wenn Rose mich überhaupt zurück lässt ohne Angst zu haben, dass ich nicht wieder komme- was eindeutig berechtigt wäre, aber nicht fair.

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