Meine Nase läuft und immer wieder rinnen mir Tränen die Wangen hinunter, ohne das ich es kontrollieren kann. Meine nassen Sachen hängen über der Heizung und die feuchte. Haare habe ich zu einem Dutt hochgesteckt. Vor mir liegt ein aufgeschlagenes Heft. Ich schreibe Buchstaben, die Worte bilden, die ich so gern verstehen möchte. Aus dem Füller in meiner Hand fließen immer mehr Worte, die Sätze formen und sich in meinem Kopf nicht vernünftig zusammensetzten wollen. Und trotzdem weiß ich nicht völligen Schwachsinn schreibe. Zumindest für mich nicht. Ich habe so etwas noch nie gemacht, eigentlich ist es nicht gerade meine Stärke aufzuschreiben, was ich denke, aber ich denke nicht einmal darüber nach, was ich aufs Blatt setzten.
Die letzten Sonnenstrahlen schleichen sich auf die linierten Seiten und ich lasse denStift sinken. Darf ich das hier eigentlich? Darf ich aufschreiben, dass ich sie vermisse, dass sie mir so unendlich fehlen? Vorsichtig ziehe ich ein Bild aus meiner Tasche. Ich hatte gestern in der Stadt noch extra die Fotos von meiner Kamera ausdrucken lassen. Nun halte ich das letzte Bild von Tim in der Hand. Sein Gesicht ist nur halb drauf und er blickt nachdenklich in eine unbestimmte Richtung. Im Hintergrund erkennt man verschwommen den Campingplatz. Ich lege das Foto auf das Heft und betrachte gedankenverloren wie sich das Sonnenlicht in seinen Augen spiegelt. Was er jetzt wohl gerade macht?
Ich weiß nicht wie die Zeit so schnell vergehen konnte. Mein Blick wandert durch mein Zimmer. Draußen ist es dunkel. Die Schatten, die das wenige Mondlicht bringt, erinnern mich an die Gedanken, die ich nicht vollenden möchte. Im Haus ist es still, was mich nicht wundert. Ich stehe mitten im Zimmer und warte darauf, dass es etwas passiert. Ich werde den Gedanken nicht los, dass der nächste Schritt ein Fehler wäre, doch hinter mit ist eine Wand, die mir den Rückzug verhindert. Natürlich könnte ich hier stehenbleiben und alles von diesem einen Punkt beobachten, aber was soll ich hier? Hier ist nichts. Nichts das ich sehen möchte. Nichts das ich fühlen möchte. Nichts das ich hören möchte. Enttäuschte Gesichter jagen an meinem inneren Auge vorbei, Spott und Hass liegen in ihren Stimmen, die in meinem Kopf widerhallen und ich spüre ihren Abschaum, der sich in mir festfrisst. Ich bin mir sicher hier falsch zu sein. Meine letzten Schritte waren falsch, ich habe den falschen Weg gewählt, aber es geht nur voran, nicht mehr zurück. Ich hatte meine Chance, habe sie verbockt und soll nun das nehmen, was ich mir zusteht. Aber mein Körper wehrt sich dagegen. Er will nicht akzeptieren, dass das das Ende ist, dass das die letzt Chance gewesen war, dass es hier nicht mehr zurück geht.Das Lachen in meinen Ohren bringt mich um den Verstand. Die Belustigung in ihren Augen lässt mich wanken. Die Erinnerungen bestätigen diese Angst. Sie drücke den Stempel auf das Papier der Zustimmung. Ich habe keine Angst, möchte ich schreien, aber warum soll ich mich selbst anlügen? Ich habe noch nie Angst gehabt! Wenn das nur so einfach wäre. Wenn ich die Lippen nur öffnen könnte, wenn diese Worte nur auf Ohren treffen könnten.
"Du wist das schaffen", erklärt Mum mir und schiebt mich sanft aus der Tür.
"Aber wie?", frage ich mit Tränen in den Augen. "Wie soll ich das schaffen?"
"Weißt du, jeder braucht seinen Neustart." Ihre Augen erzählen die Geschichte weiter, doch ihre Lippen bleiben still.
"Ich will keinen Neustart, Mum", sage ich und Trotz schleicht sich in meine Stimme.
"Es kann nicht immer einfach alles weiter gehen", sagt sie. Sie wirkt so ruhig und gelassen, ohne desinteressiert zu wirken. "Irgendwann geht dir auch das alte auf die Nerven." Sie lächelt freundlich.
"Aber das Alte ist mir nicht auf die Nerven gegangen!", erkläre ich lautstark. "Ich nichts neues!"
"Heute Mittag wirst du mir sagen, dass es doch toll war", versichert sie mir.
"Nein!", fauche ich.
"Wetten?", sagt sie und zwinkert mir zu. Ein schlauer Schachzug.
"Um eine Tafel Schokolade", rufe ich und halte ihr die Hand hin.
"Abgemacht" Sie nimmt die Hand entgegen und macht einen ersten Gesichtsausdruck.
"Dann geh schon mal eine Kaufen. Ich geh jetzt eine wichtige Wette gewinn", erkläre ich und raffe die Schultern um erwachsener zu wirken. Sie lacht.
"Dann viel Glück", ruft sie mir hinterher, während ich die Stufen hinunter hopse.
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Make a wish
Teen FictionNach ihrer Flucht aus Deutschland baut sich Blou in Frankreich ein neues Leben auf, völlig frei von Sorgen. Leider muss sie aber feststellen, dass sich die Vergangenheit nicht so leicht abhängen lässt wie erhofft. Viel zu früh schickt man sie in di...