Plötzlich begreife ich wo ich bin, was ich gerade mache und was ich getan hatte. Tränen Rinnen mir die Wangen hinunter und ich beginne zu schluchzen. Was mach ich hier?, Schreie ich in mir selbst. Ich sollte bei Jerry und Tim sein; ich sollte mit ihnen lachen und Spaß haben. Stattdessen sitze ich hier und trete wieder auf der Stelle. Ich weiß nicht was ich tun soll, will dem alles ein Ende setzten und schreien. Die Einsamkeit durchdringt meinen Körper und bringt noch einen Schluchzer zu Stande. Wie grausam die Welt von hier unten aussieht, so kalt und leer. Wie allein sie ist, verlassen und verloren. Meine Eltern sind tot, denke ich. Sie sind tot, für immer. Es gibt niemanden mehr, der mir auf meine Wunden pustet, wenn ich hingefallen war, da ist niemand, der abends an mein Bett kommt und mich nach meinem Tag fragt, es wird keiner kommen, der meine Probleme hört und sie mit mir löst. Es wird keiner höre , wenn ich um Hilfe rufe und keiner meine Tränen wegwischen, wenn das Heimweh mich erreicht. Es fehlt jemand in diesem großen leeren Haus. Jemand, der es mit Leben erweckt und es wieder aufatmen lässt. Die Tränen Tropfen auf den Boden und ich lege mich zu Ihnen. Ihre Gesellschaft lässt mich verstehen, was passiert. Sie lässt zurückkommen was passiert ist. Sie lässt erinnern, was passieren wird. Tage ziehen durch meinen Kopf; Tage an denen ich mit Ihnen gemacht hatte, sie angeschrieben hat und mit ihnen weinte; Augenblicke, in denen ich die hasste und liebte; Momente in denen ich für die weite und für die lachte. Ich spüre die leere, die mein Herz erreicht und schließe sie ein, in die Trauer der Jahre. Die Lider fallen mir zu und ich denke an die letzten Worte, die ich Ihnen zu rief: "Ihr werdet mich niemals verstehen können!" Voller Wut hatte ich ihnen diese Worte entgegengeschleudert und sie nie wieder gesehen. Ich wünschte ich könnte sie ersetzen, in ein 'Ich liebe euch' ändern, denn sie haben mich verstanden, in jeder Sekunde meines Lebens. Und sie hatte. Für mich gekämpft, wie ich nie hatte für sie kämpfen können.
Das Sonnenlicht weckt mich. Ich blicke durch das Fenster auf einen klaren, blauen Himmel und brauche einige Sekunden um mich zu erinnern, wo ich bin. Als ich den Kopf hebe schmerzt mein ganzer Körper und ich verfluche mich dafür auf dem harten Boden eingeschlafen zu sein. Stöhnend setze ich mich auf und betrachte den Garten. Man sieht deutlich, dass sich lange keiner um ihn gekümmert hat, doch er sieht trotzdem noch so aus wie damals und das bringt mir ein kleines Lächeln auf die Lippen. Dann wende ich mich ab und schaue in einen der Spiegeltüren. Meine Haare sind zerzaust und meine Augen immer noch rot und dunkle Ränder liegen darunter. Das Top sitzt irgendwie schief und die kurze Hose hat Abdrücke auf meinem Oberschenkel hinterlassen. Seufzend krame ich in der Tasche nach frischen Sachen und will damit ins Bad gehen, als ich kurz vor der Tür innehalte. Auf Augenhöhe steht ein Schild mit meinem Namen drauf: Emilie Harvey. Die Buchstaben sind groß und mit verschiedene Mustern verziert. Ich fahre über die bunten Farben, dann reiße ich mich los und verlasse das Zimmer.
Während warmes Wasser keinen Rücken herunterläuft überlege ich, was ich heute tun könnte. Als erstes muss ich Emma anrufen und dann zu Rose und Frank und erklären, dass ich hier bleibe. Und dann?
Ich grübel solange darüber nach, dass ich gar nicht merke, wie lange ich schon unter der Dusch stehe. Erst als mein Blick auf die Uhr am Waschbeckenrand fällt, drehe ich erschrocken das Wasser aus, trockne mich an und schlüpfe in die dunkelblaue Jogginghose und das rote Top. Mit etwas Schminke versuche ich die dunklen Ränder wenigstens etwas verschwinden zu lassen, was mir glücklicherweise gelingt. Dann laufe ich barfuß die Treppe hinunter und in die Küche. Die Küchenuhr zeigt kurz nach elf und als ich mir ein Glas aus dem Schrank holen, fällt mir der Zettel auf, der auf dem Tisch liegt, es ist eine Nachricht von Andre. R+F HABEN ANGERUFEN. MELD DICH DA. BIN HEUTE MITTAG WIEDER DA. GRUß A. Ich gieße Wasser in das Glas und lese mir die Nachricht nochmal durch. Die Worte wirkten so, als wäre alles wie immer und es wäre mir ein normaler Sommermorgen am Ende der Ferien. Das ist es aber nicht.
Ich griff nach dem Telefon und wähle die Nummer, die ich so lange wiederholen musste, bis ich sie auswendig konnte. Nach drei Mal klingeln wurde der Hörer abgenommen.
"Brigitte Weiß", sagt Emmas Mutter am anderen Ende.
"Hi, hier ist Blou", sage ich.
"Blou!", sagt Brigitte freudig. "Und, wie geht es dir?"
"Gut."
"Schön. Aber du willst sicherlich Emma sprechen. Ich gebe sie die sofort."
"Danke." Ich warte einige Augenblicke, dann höre ich die Stimme Leo er Freundin.
"Hallo?"
"Hast du mich schon wieder vergessen?", frage mich ich auffordert und höre ein Lachen am anderen Ende.
"Ehem... Warte... Wer bist du nochmal?", sagt sie mit gespielter Unwissenheit. "Ich habe nur noch verschwommene Erinnerungen..." Ich lache. "Na, wie geht's meinem Lieblingsmädchen denn heute?", fragt sie dann.
"Nicht so gut, wie noch vor ein paar Wochen, aber besser als gestern Abend." Ich setzt mich auf einen er Hocker.
"Du schaffst das, Blou. Es sind nur ein paar Stunden, dann ist alles für wieder ganz normal." Ihr Stimme klingt so zuversichtlich, dass ich ihr fast glauben will. "Weißt du, und diese Stunden überbrücken wir einfach! Was hast du heute vor?"
"Nichts", sage ich.
"Gut. Ich ich bin in zwei Stunden bei dir und dann gehen wir shoppen und lenken dich ein bisschen ab!" Ich Lächeln.
"Nein, nein, Em. Dein Freund wartet doch sicher auf dich und ich kann mich auch allein unterhalten", winke ich ab.
"Nein! Der kommt einfach mit und ich weiß, dass du dich einfach nur langweilen wirst! Also keine Widerrede! Ich hab ja deine Adresse. Also bis in zwei Stunden."
"Em, dass..." Doch bevor ich fortfahren kann hat sie schon aufgelegt. Ich schüttele grinsen den Kopf und trinke das Glas leer. Dann schnappe ich mir ein paar alte Gartenschlappen von Andre und verlasse durch den Hintereingang unter der Treppe das Haus. Die Tür führt in die alte Schoppe im Garten. Hier stehen Gartengeräte und Spielzeug. Auf der rechten Seite geht eine Tür nach draußen. Und dann trifft mich die Schwüle Luft. Es ist um einige Grade kälter als in Frankreich, aber irgendwie fühlt es sich wärmer an. Kurz betrachte ich die Vögel, die in den Bäume fröhlich zwitschern, dann laufe ich uns Haus herum zur Garage. Die Tür quietscht und es ist dunkel drinnen. Ich schalte das Licht an und schiebe mich an Rollen und Fahrrädern vorbei zu meinem Holländerrat, dass ganz hinten steht. Es ist hellblau angestrichen und am Lenker sind ein paar Plastikblumen befestigt. Der Reifen ist platt und es dauert etwas, bis ich die Luftpumpe gefunden habe.
Einige Minuten später fahre ich an den vielen Vorgärten vorbei, die alle irgendwie gleich aussehen. Die Sonne scheint auf mich hinab und blendet mich. Endlich habe ich das Haus erreicht und steige ab. Es dauert etwas, bis mir Rose die Tür öffnet.
"Hallo", begrüßt sie mich und macht einen Schritt zur Seite, damit ich eintreten kann. Im Haus riecht es nach frisch gebackenem Kuchen und ich bekomme augenblicklich Hunger.
"Gut siehst du aus", sagt sie lächelnd. Ich schmeiße die Schuhe in eine Ecke und setzte mich in der Küche auf einen Stuhl. "Wir hatte. Heute Morgen angerufen, aber Andre meinte du würdest noch schlafen." Ich nicke.
"Er hat mir einen Zettel geschrieben", sage ich und betrachte das Titel und der Zeitung, die vor mir auf dem Tisch liegt.
"Also hast du dich entschieden dort zu bleiben?", fragt sie.
"Mmh...", mache ich nur und vertiefe nicht in einen Artikel, in dem es um einen Bombenanschlag irgendwo im Irak geht.
"Am Montag fängt die Schule wieder an und du hast noch einiges aufzuholen, Emilie", sagt Rose und öffnet den Backofen. Der Geruch von Apfelkuchen strömt mir entgegen und mein Magen beginnt zu knurren.
"Ich weiß", sage ich gleichgültig mit dem Blick immer noch auf dem Artikel gerichtet.
"Ich habe einige Unterlagen von der Schule bekommen, die du vielleicht durchgehen solltest. Bei Problemen kannst du ja deinen Bruder Fragen."
"Mmh", mache ich wieder und blicke auf. "Warum ist Jerry nie hier?" Mir liegt diese Frage schon lange auf den Lippen. Ich habe mal Jerry gefragt und er hatte nur gesagt, dass es zum Schluss einige Komplikationen gegeben hatte. Aber er war doch Rose Bruder und die beiden hatten sich super gut verstanden.
Rose überlegt einige Minuten, oder auch nicht- zumindest antwortet sie mir nicht.
"Hallo?" Ich wedle mit den Händen vor ihrem Gesicht herum, um ihre Aufmerksamkeit zu erregen. Irgendwie verstehe ich plötzlich, warum meine Eltern mich früher immer als schwieriges Kind beschrieben haben, wenn sie einen Scherz machen wollten. Ich höre auf.
"Er hatte Ärger", sagt Rose plötzlich. Sie schaut ins Leere, als ob sie an etwas dachte. "Er hatte sich mir meiner Mutter gestritten und ist dann abgehauen. Damals war er erst zwanzig und hatte gerade angefangen zu studieren." Sie sieht mich einen Moment etwas verträumt an, dann wendet sie den Blick ab und sagt abwendend: "Aber das ist Jahre her. Jetzt mag er es dort einfach." Ich bin mir nicht ganz sicher, ob das die komplette Wahrheit ist, aber ich belasse es dabei und stehe auf.
"Ich bin heute Mittag mit Emma verabredet und wollte vorher noch mit Andre reden. Weißt du wo er hinwollte?"
"Entweder im Fitnessstudio oder bei Freunden...", sagt sie schulterzuckend. "Aber du kannst ihn sicherlich auf dem Handy erreichen." Handy. Ich hatte mal eingehabt- so ein altes Klapphandy, dass aber irgendwann kaputt ging. Bei Jerry hatte ich nie eins gebraucht und wüsste jetzt auf gar nicht was ich damit anfangen sollte.
"Ok", sage ich und gehe zurück in den Flur, ziehe die Schuhe wieder an und nehme den Packen Zettel und Bücher entgegen, den mir Rose in die Hand drückt.
"Melde dich wenn was ist", sagt sie noch, bevor ich aus der Tür bin.
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Make a wish
Teen FictionNach ihrer Flucht aus Deutschland baut sich Blou in Frankreich ein neues Leben auf, völlig frei von Sorgen. Leider muss sie aber feststellen, dass sich die Vergangenheit nicht so leicht abhängen lässt wie erhofft. Viel zu früh schickt man sie in di...