Die gesamte Französischstunde war ich ruhig, so wie jede Stunde, und hatte einfach nur Löcher in die Luft gestarrt. Ich spürte wie Nick neben mir, mich die ganze Zeit anstarrte, versuchte es aber so gut wie möglich ignorieren. Doch dann spricht er mich mitten in einer der Reden der Lehrerin an.
"Hab gehört du hattest mal was mit Leon", meint er und mustert mich amüsiert. Ich zucke mit den Schultern. "Und Liz war mal deine beste Freundin?", löcherte er mich weiter. Ich ignorierte ihn einfach. "Schon witzig, dass die beiden seit zwei Jahren zusammen sind." Unbewusst fahre ich mit dem Kopf herum.
"Bitte was?" Er nickt nur und grinst.
"Emilie und Nick, egal wie interessant euer Gespräch auch sein mag, ich denke das hier ist wichtiger", fährt uns die Lehrerin an und Nick zieht den Kopf automatisch ein. Ich muss lachen und ernte damit nur noch einen weiteren verärgerten Blick von der Lehrerin. "Vielleicht gibst du mir die Antwort auf meine Frage", sagt sie und sieht mich auffordert an. Als ich nicht antworte schüttelt sie einfach nur den Kopf und fährt mit dem Unterricht fort.
"Ich mag es nicht ausgelacht zu werden", knurrt Nick neben mir.
"Pech gehabt", sage ich und tue so, als interessiere mich der Unterricht.
"Du bist wohl nicht mehr das Mädchen, mit dem sie früher Mitleid hatte", meint er.
"Mitleid?" Ich sauge hörbar die Luft ein. "Brauche ich nicht. Das bringt meine Eltern auch nicht wieder."
"Also stimmt es?"
Bevor ich antworten kann fährt mich die Lehrerin ein weiteres Mal an: "Emilie, du hast einiges aufzuholen, also pass bitte auf, oder meinst du diese Frage mit dem Wortschatz von vor drei Jahren verstehen zu können?" Ich werfe einen kurzen Blick in das Buch, dass vor mir liegt. Sie hatte gerade gefragt, was mit dem Jungen im Text passiert.
"Er lernt ein Mädchen kennen, dass an einer Akademie für Ballett tanzt. Die beiden verlieben sich, doch als ihre Eltern von der Beziehung erfahren verbieten sie den Kontakt. Sie treffen sich trotzdem immer wieder, bis der Junge dem Mädchen einen Heiratsantrag macht und sie abhauen." Das letzte Wort bleibt halb im Hals stecken. Die Lehrerin sieht mich überrascht an.
"Du hast wohl heimlich gelernt", meint sie.
"Ich hatte keine andere Wahl", murmle ich. Ich hatte eigentlich nicht vor mit meinen Sprachkenntnissen einen auf Streber zu machen.
"Ich möchte dich bitten nach dem Unterricht noch einen Augenblick zu warten", sagt sie und schaut dann wieder die Klasse an.
"Und ich hatte gedacht du wärst nicht so ein Streber", zischt Nick und sieht mich skeptisch an.
"Sagt der, der gerade ein Gedicht in sein Heft kritzelt?", sage ich amüsiert und er klappt ertappt sein Heft zu.
"Woher willst du wissen, dass es ein Gedicht ist?", schnauzt er.
"Hab's mir durchgelesen."
"Das war auf Spanisch!"
"Ich weiß."
"Woher sprichst du Spanisch?"
"Das könnte ich dich auch fragen."
Bevor er eine Antwort geben kann klingelt es. Während die anderen ihre Sachen zusammen räumen bliebe ich an meinem Platz sitzen und warte darauf, dass ich allein mit der Lehrerin bin.
"Du hast doch wohl nicht im erst gelernt", sagt diese, als endlich alle draußen sind. Wo sie jetzt nicht mehr versucht mir irgendetwas beizubringen wirkt sie viel entspannter und jünger. Ich schüttle den Kopf. "Und doch habe ich gehört du seiest die letzten drei Jahre nicht in der Schule gewesen."
"Ich war in Frankreich", sage ich, um ihre Ratereri zu unterbrechen.
"Wieso das denn?", fragt sie erstaunt.
"Mein Onkel wohnt dort", erkläre ich.
"Aha", macht sie und sieht mich nachdenklich an. "Und da hast du dann Französisch gesprochen?"
Ich zucke mit den Schultern. "Mit Deutsch kommt man da ja nicht sehr weit." Sie lacht- ein hohes, scharfes Lachen.
"Gut. Ich möchte aber trotzdem, dass du mehr in meinem Unterricht mit machst." Sie sieht mich eindringlich an, bis ich mürrisch nicke. Sie lächelt zufrieden und lässt mich raus.
Draußen wartet Nick auf mich.
"Was machst du noch hier?", frage ich genervt. Ich bin es nicht gewohnt, dass jemand auf mich wartet. Die meisten in der Klasse halten Abstand von mir und scheinen nicht genau zu wissen, wie sie mit mir reden sollen. Wir haben uns alle verändert, aber das scheinen sie nicht ganz verstanden zu haben.
"Du schuldest mir noch eine Antwort", erklärt er und läuft neben mir her.
"Auf welche Frage?", frage ich und hoffe ihn so schnell wie möglich abschütteln zu können.
"Woher du Spanisch kannst."
"Dann fang du mal an", kontere ich. Ich hatte eigentlich nicht vor ihm zu erzählen, was ich in den letzten Jahren gemacht habe.
"Meine Mutter ist Spanierin", sagt er schulterzuckend.
"Danach siehst du nicht aus", meine ich und mustere ihn skeptisch.
"Ich habe auch noch einen Vater...?", sagt er, als sei ich dumm. Ich schüttle nur genervt den Kopf und beschleunige meinen Schritt um ihn endlich abzuhängen.
"Du schuldest mir immer noch eine Antwort", sagt er und muss fast hinter mir herrennen. Während ich die Türen zum Schulhof aufdrücke überlege ich mir eine Antwort.
"Freunde", sage ich, was nicht mal eine Lüge ist. Er hofft wohl auf weitere Feinheiten, doch die kann er sich abschminken. Trotzdem lässt er nicht locker.
"Und woher so viel Französisch?"
"Was interessiert dich das eigentlich?"
"Du bist momentan Gesprächstema Nummer eins, das will ich wenigstens etwas von dir wissen." Ich schüttle wieder nur den Kopf und laufe auf die Jungs zu, die in der letzten Woche zu den einzigen Leuten geworden sind, die freiwillig mit mir sprechen- abgesehen von Nick, der immer noch wie eine Klette an mir hängt.
"Warum hängst du eigentlich immer mit denen ab?", fragt er weiter.
"Warum nicht?"
"Das sind die angesagtesten Kerle der Schule und du scheinst mit keinem von denen was zu haben."
"Muss ich echt mit einem von denen zusammen sein, um die Pause bei ihnen verbringen zu dürfen?" Sehe ihn skeptisch an. Er zuckt nur mit den Schultern, also gebe ich nach.
"Andre ist mein Bruder und mit Jens habe ich schon vor fünf Jahren abgehangen." Das scheint ihm einleuchtend und zum ersten Mal hält er die Klappe.
"Hast du etwa vor mich zu betrügen, Blou?", begrüßt mich Sam und ich nehme einen Zug von der Zigarette, die er mir anbietet- ja ich weiß, sich sollte das nicht tun, aber ab und zu ist das doch kein Verbrechen, oder?
"Mit dem hier?" Ich weise auf Nick, der etwas hinter mir steht und die Jungs etwas verstört mustert. "Da wäre ich doch lieber mit dir zusammen." Die anderen lachen.
DU LIEST GERADE
Make a wish
Teen FictionNach ihrer Flucht aus Deutschland baut sich Blou in Frankreich ein neues Leben auf, völlig frei von Sorgen. Leider muss sie aber feststellen, dass sich die Vergangenheit nicht so leicht abhängen lässt wie erhofft. Viel zu früh schickt man sie in di...