Ist es so weit?

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"Ich geb's auf!", ruft meine Mutter frustriert und rammt die Schaufel in die braune Erde. Als sie sich zu mir umdreht ihre Kleidung total dreckig und in ihren Haaren hängen ein paar Blätter. "Kein Mensch könnte jemals diesen Garten bändigen!" Ich lache. Sie steht auf und setzt sich zu mich auf die Bank. "Und, wie sieht's aus?" Sie wirft einen Blick auf das Handy, auf dessen Tastatur meine Finger ihre Runden drehen.

"Was meinst du?", frage ich und klappe das Handy zu.

"Alles!" Ihr aufdringlicher Blick macht mir irgendwie Angst.

"Was alles?"

"Andre hat es mir erzählt." Ich fahre mit dem Kopf herum und starre Andre an, der seelenruhig auf dem Rasen liegt und die Wolken betrachtet. Am liebsten würde ich ihm den Kopf abreißen. "Seit wann?" Ich bin mir nicht sicher, ob das jetzt wütend klingen soll, denn sie grinst vielsagend.

"Was geht dich das an?", schnauze ich und stehe auf .

"Hey! Ich bin deine Mutter!", ruft sie mir hinterher.

"Das ist kein Grund!", schreie ich und laufe in Richtung Haus. Und ich hatte gedacht heute könnte mal ein entspannter Tag werden. Plötzlich steht sie neben mir.

"Em, ich find das nicht schlimm, wirklich nicht. Aber es wäre schön, wenn du mir etwas davon erzählt hättest."

"Und wenn ich nicht möchte, dass du es weißt?"

"Dann weiß ich es jetzt trotzdem." Ich schüttle den Kopf und gehe weiter.

"Lad ihn doch mal zum Essen ein!", ruft sie mir hinterher.

"Was machst du hier?" Mein Bruder steht über mir und sieht mich entgeistert an. Hätte er mich nicht sanfter wecken können?!

"Bin wohl eingeschlafen", murmle ich und setzte mich auf. Es dämmert schon leicht. Wie lange habe ich wohl geschlafen? Sechs, sieben Stunden?

"Das war eine scheiß Aktion Emilie, ich hoffe das weißt du." Er ist eindeutig sauer.

"Blou", murmle ich und reibe mir die Augen.

"Was?"

"Bitte nenn mich Blou", sage ich vielleicht etwas zu laut. Ich hab keine Lust mehr auf Emilie. Der Name tut so, als sei nichts passiert, als wäre alles wie früher.

"Namen sollten dir jetzt gerade egal sein!", schnauzt er. "Du hast verdammt nochmal eine Lehrer beschimpft und bist dann einfach abgehauen!" Ich sehe ihn kurz an und lache, als mir klar wird, dass er das ernst meint. "Findest du das etwa witzig?!"

Ich betrachte den Garten um mich herum und dann ihn. "Ich soll den Lehrer beschimpft haben? Er war doch derjenige, der meine Eltern anrufen wollte!"

"Glaubst du die ganze Schule muss wissen, was in unserem Privatleben passiert?", ruft er. "Willst du, dass dich die Lehrer in Schutz nehmen, weil es dir ja soo schlecht geht?!" Jetzt kommt er richtig in Fahrt. "Du willst sicherlich nicht das die ganze Schule dir plötzlich ihr Mitleid vor die Füße legt, nur damit du dich besser fühlst!"

"Das wollte ich gar nicht!", schreie ich wütend. Warum wirft er mir das jetzt vor?!

"Und was sollte das dann heute?!" Er funkelt mich an.

"Ich weiß es doch selber nicht!", rufe ich und renne ins Haus. Warum? Warum konnte er nicht verstehen, dass ich sie vermisse und jedes Wort über sie mich innerlich zerstört? Er hat doch das selbe durchlebt, warum fühle ich mich dann jetzt so allein?

Als ich in der Diele stehe betrachte ich die beiden Türen, die seit ich hier bin noch kein mal geöffnet wurden. Ich habe schon die Klinke in der Hand, als plötzlich das Telefon klingelt. Ich höre Andre, der mit irgendjemandem spricht und lasse die Hand sinken. Heute ist noch nicht der richtige Tag, stelle ich fest.

"Emma ist dran!", ruft Andre mir entgegen und ich nehme das Telefon in die Hand. Während Emma mir irgendetwas von ihrem Freund erzählt laufe ich hoch in mein Zimmer und schmeiße mich in den Sitzsack. Ich höre ihr gar nicht mehr zu, während Tränen über meine Wangen laufen. Was ist nur heute passiert? Warum musste das heute passieren?

"Blou?", wiederholt Emma und ich wische schnell die Tränen weg, als könnte sie die durch den Hörer sehen.

"Ja?"

"Ist alles ok bei dir?"

"Ja ja", lüge ich und suche mir eine Lüge zusammen, damit ich auflegen kann.

"Du hörst dich aber nicht so an", meint sie und ich höre die Besorgnis in ihrer Stimme.

"Nein nein, alles gut. Du, ich muss Hausaufgaben machen", sage ich schnell. Als sie aufgelegt hat schaue ich wieder in den Garten hinaus. Werde ich je hier sitzen können und nicht an sie denken müssen?, denke ich und spüre nasse Tropfen auf meinen nackten Beinen.

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