"Ich werde dich doch hier nicht ganz alleine verrotten lassen!", schimpfe ich. Er lächelt, sagt aber nichts. Wir erreichen den Dünenkamm und blicken aufs Meer. "Was glaubst du, wie lange werde ich diesen Ausblick nicht mehr haben?", frage ich traurig.
"Viel zu lange", meine er betrübt. "Aber dafür wird es beim nächsten mal um so schöner sein!" Er rennt die Dünen hinunter und ich beobachte ihn von oben. Als ich hier ankam war er erst total erschrocken gewesen, wusste nicht was er mit mir anfangen sollte. Er hat mehrfach versucht mich wieder zurück nach Deutschland zu bringen, doch in den ersten Wochen war ich viel zu stur. Erst, als er wohl merkte, dass es ganz witzig sein könnte, begannen meine Zweifel und dann unterstütze er mich. Er muntere mich auf, doch als ich ihm von Tim erzählte- an dem Tag, als ich ihn zum ersten Mal traf- wirkte er doch sehr erleichtert, endlich ein Stück Last von den Schultern bekommen zu haben. Danach ging es mir immer besser. Ich fand mich zurecht, begann Spaß an dem zu finden was ich tat. Und nun sollte ich ihn wieder verlassen, ihn wieder alleine lassen? Ich schüttle den Kopf. Der Abschied ist schon schwer genug, da muss ich ihn mir nicht noch schwerer machen. Ich folge Jerry in die Wellen und urplötzlich vergesse ich all meine Sorgen. Nie zuvor hatte sich das Surfen so gut angefühlt. Doch auch viel zu früh war die Zeit vorbei. Zu meinem Überraschen hatte Jerry extra eins Uhr mitgebracht und wies um Punkt neun darauf, als Zeichen, dass ich weg musste. Betrübt klemme ich mir das Brett untern den Arm und verlasse das Wasser . Ein letztes Mal blicke ich zurück. Wie lange werde ich das hier nicht sehen? Wie lange werde ich dieses Gefühl nicht mehr verspüren, frei zu sein, an nichts gebunden? Am liebsten möchte ich mich in den Sand setzen und beobachten, wie sich langsam der Strand füllt, wie Touristen sich in der Sonne bräunen und danach gestresst wieder zurück gehen, Sonnenschirme, Handtücher und Sonnencreme im Gepäck- so wie ich es schon so oft getan hatte. Doch heute würde sich wohl alles schlagartig ändern. In einige Stunden werde ich den Boden betreten, den ich mir geschworen hatte, nie wieder betreten zu müssen. Mir schießen Tränen in die Augen. Schnell drehe ich mich weg und stapfen die Dünen wieder hoch. Eine einzelne Träne läuft meine Wange hinab und fällt zu meinen Füßen in den Sand. Ich habe das Gefühl eine Last zu tragen, die mir nicht von den Schultern weichen will, die mich runterdrückt und das Laufen schwerer macht. In mir rebelliert etwas, das sich dagegen wert hier weg zu müssen, dafür kämpft stehen zu bleiben und in den Sand zu sinken. Ich muss mich dagegen währen, gegen den Drang aufzuhören, loszulassen. Langsam falle ich in eine Art Trance, die mich bis zum Bulli begleitet. Ich ignoriere Rose die wie ein Honigkuchenpferd strahlend am Tisch sitzt und mir einen guten Morgen wünschen will, aber mein Morgen ist schon gelaufen und gut war nur das Surfen. Ohne irgendeine Ordnung reiße ich meine Sachen aus dem kleinen Fach unter dem Bett im Bulli, das mir als improvisierter Kleiderschrank gedient hatte, und schmeiße alles in die Tasche, die mir Rose EXTRA mitgebracht hatte. Danach durchsuche ich den gesamten Bulli, finde Armbänder, Bücher, einige Hose und T-Shirts, einzelne Socken und viel zu viele Sachen, die ich über die Jahre hier verloren und schon verfressen hatte. Zum Beispiel eine Kette mit einem Herzanhänger von Ben, die ich nach seiner Trennung zerissen hatte. Sie liegt vorn in der Fahrerkabine und war unter den Sitz gerutscht. Ich hebe sie auf. Das rotgoldene Kettchen ist in zwei Hälften geteilt, doch der Anhänger ist unversehrt. Ich lasse alles in meine Tasche wandern und suche weiter. Ich werde hier nichts liegen lassen, dass mich an irgendeinen wundervollen Augenblick hier erinnert. Nach einer gefühlten Ewigkeit habe ich mich von vorne bis hingen durchgearbeitet, jede noch so kleine Ritze durchsucht und sogar die Matratze auseinander genommen. Währenddessen essen Jerry und Rose gemütlich ihr Buagett, plaudern und scheinen mich vollkommen vergessen zu haben. Von der Wäschleine nehme ich die trockensten Bikinis und gestern noch gewaschenen Sachen und werfe sie in die Tasche zu den anderen Sachen. All meine Surfsachen lasse ich hier. Was soll ich denn in Deutschland mit einem Surfbrett? Erschöpft setze ich mich auf den einzig freien Klappstuhl am Tisch und betrachte meine Tante. Sie scheint sich zu freuen, endlich nach Hause zurückzufahren. Genüsslich isst sie ihr Brot und erzählt Jerry zwischen zwei Bissen von ihrem Winterurlaub in den Alpen. Ich schüttle nur angewidert den Kopf und sehe weg, genau in seine Richtung. Er trägt schwarze Shorts, ein weißes T- Shirt und dunkelblaue Nikes. Seine Haare sind leicht durcheinander, was irgendwie süß ist. Bei seinem Anblick beginnt mein Herz zu rasen. Unsere Blicke kreuzen sich und er grinst. Das haben ich jetzt gebraucht. Ohne auf Jerry und Rose zu achten stehe auch auf und laufe ihm entgegen. Meine Schritte werden immer schneller, bis ich direkt vor ihm stehe.
"Du hast mich, ohne etwas zu sagen allein gelassen", schimpft Tim, mehr belustigt, als verärgert.
"Ich hab tschüss gesagt", protestiere ich. "Du hast es nur nicht mitbekommen weil du noch geschlafen hast!" Er lacht und küsst mich. Ich merke wie sehr ich das vermisst habe. Wie sehr ich ihn in den letzten Stundne vermisst habe. Und dann fällt mir ein, dass Jerry und Rose nur ein paar Meter entfernt sitzen und uns höchstwahrscheinlich beobachten. Ich löse mich von Tim und fahre herum. Schneller als ich es für möglich gehalten hätte schnellen die Köpfe zurück und beide scheinen plötzlich sehr interessiert an ihrem Essen. Kopfschütteln greife ich nach Tims Hand und zieh ihn hinter mich her in ihre Richtung. "Bist du dir sicher?", höre ich Tim hinter mir flüsterend. Ich lache und drehe mich zu ihm um.
"Jerry glaubt seit dem ersten Tag das du in mich verknallt bist", sage ich und drücke ihm einen Kuss auf die.Wange. "Und außerdem haben sie's eh schon gesehen. Er lächelt und nickt. Aber irgendwie habe ich das Gefühl er hätte vor irgendetwas Angst. Ich blicke ihm in die Augen. "Was ist los?", frage ich schließlich. Er schüttelt den Kopf und sieht mich an.
"Nichts", sagt er und will an mir vorbeigehen, doch ich ziehe ihn zurück.
"Nein, das stimmt nicht." Ich zwinge ihn mich anzusehen. "Was ist los?", wiederhole ich.
Er seufzt und nickt widerstrebend. "Amelie" Bei dem Namen jagen mir Schauer über den Rücken. Seit wir zusammen sind haben ich nicht mehr an sie gedacht. "Als ich ihre Eltern kennen gelernt haben." Ich merke wie sehr es ihn bedrückt und sofort will ich mich für diese Reaktion bestrafen. "Sie haben mich von Anfang an gehasst." Das hatte er niemals erzählt. Ich hatte mir auch niemals Gedanken darum gemacht. Warum sollte ich auch?
"Das tut mir leid", flüstere ich und sehe ihn an. "Aber Jerry kennt dich doch eh fast so gut wie ich dich kenne. Und um Rose musst du dir keine Gedanken machen. Sie ist schließlich nicht meine Mutter." Bei den Worten muss ich schlucken um nicht in tränen auszubrechen. Zögernd nickt er. Ich nehme seine Hand.
Rose und Jerry haben ihr Frühstück jetzt endgültig aufgegeben und betrachten uns mit neugierigen Blicken. "Das hat aber lange gedauert", stellte Jerry mit vollkommen unbeeindruckter Stimme fest. Ich werfe ihm einen genervten Blick zu. Dann wende ich mich an Rose.
"Rose, mein Freund Tim; Tim, meine Tante Rose." Trotz der Tage, die Rose nun schone hier ist, haben sich die beiden bislang noch nie gesehen. Oder zumindest nicht bewusst. Das Lächeln auf den Lippen meiner Tante wird breiter und sie nickt.
"Nett dich mal kennenzulernen", meint sie und reicht Tim die Hand. Dann wendet sie sich wieder an mich- nur an mich. "Wie lange seit ihr denn schon zusammen? Du hast mir nie von einem Freund erzählt, Emilie." Wiedermal dreht sich in meinem Bauch der Magen im. Mir fällt auf, dass Tim diesen Namen noch nie gehört hat und zwinge mich ihn nicht anzusehen.
"Seit gestern Abend", sage ich. Ich hätte auch lügen können, aber warum? Soll sie sich doch aufregen. Doch ich erhalten nur einen überraschten Seitenblick.Nachdem sie Tim einige Minuten ausgequetscht hatte, unterbreche ich dieses nervige Gespräch und gebe vor noch einiges zu besorgen. Tim schlägt vor mitzukommen und ich nicke. Ich will ihm nicht antun noch länger hier zu bleiben. Also machen wir uns auf den Weg zu dem kleinen Supermarkt unten an der Rezeption. Ich liebe diesen Supermarkt. Er ist nicht gerade groß, aber dafür übersichtlich. Jerry und ich ernähren uns ausschließlich von dem, was man hier findet. Ich kaufe Cola, Kekse und eine dieser kitschigen Postkarten, einfach nur um das hier alles wie einen Urlaub wirken zu lassen. Tim beobachtet mich dabei, bis wir wieder an die schwüle, warme Luft treten. "Was ist?", frage ich.
Er zuckt mit den Schutern. "Ich wünsche mir seit über einem Jahr mit dir zusammen zu kommen. Und nun hatten wir nicht mal einen vollen Tag." Ich sehe ihn an. Ein Jahr. Er liebt mich seit einem Jahr und ich Trottel merke nichts!
"Wir hatten drei wundervolle Jahre. Oder drei wundervolle Sommer, wie auch immer. Ich werde diese Zeit niemals vergessen. Und ich werde dich niemals vergessen. Ich liebe dich." Das letzte sage ich auf Englisch. Er sieht mich an und ich glaube eine Träne im Augenwinkel zu erkennen. Dann küsst er mich.
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Make a wish
Teen FictionNach ihrer Flucht aus Deutschland baut sich Blou in Frankreich ein neues Leben auf, völlig frei von Sorgen. Leider muss sie aber feststellen, dass sich die Vergangenheit nicht so leicht abhängen lässt wie erhofft. Viel zu früh schickt man sie in di...