Regen

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Als ich aufwache steht dir Sonne hochkam Himmel. Ich blicke aus dem Fenster und weiß kurz nicht, was ich von dem Regen, der gegen die Scheibe peitscht, halten soll. Ich liege noch immer auf dem Sofa, doch jemand hat mir eine Decke übergelegt und ein Kissen unter meinen Kopf gestopft. Langsam gebe ich mich aus dem weichen Polster und setzte beide Füße auf den Boden. Ich fühle mich immer noch hundemüde, aber will auch nicht den ganzen Tag hier liegen bleiben.
In der Küche steht Andre mit einer Tasse Kaffe in der Hand.
„Scheiß Wetter", begrüßt er mich. Ich zucke mit den Schultern. Mir war das Wetter schon immer ziemlich egal gewesen. „Was hast du heute noch vor?" Mich verwundert die Frage. Was interessiert es ihn, was ich an einen x- beliebigen Samstag mache?
„Keine Ahnung", sage ich und schaue auf die Uhr. Halb drei. Wie konnte ich nur so verdammt lange schlafen?! „Lernen." Wie ich dieses Wort hasse. Ich hatte es drei Jahre nicht aussprechen müssen und gefehlt hat es mir sicherlich nicht! „Koffer auspacken", führe ich meine Liste weiter fort, weil André nichts sagt. „Vielleicht mal Tim anrufen." Ich sehe Andre an. Dieser ist ganz stumm. Kopfschüttelnd nehme ich mir eine Tasse aus dem Schrank und gieße mir Kaffe ein. Gerade als ich die Tasse zum Mund führen will beendet er seine Starre.
„Es sind heute genau drei Jahre her", sagt er und vor Schreck lasse ich die Tasse fallen. Die zerschellt auf dem harten Boden. Ich betrachte den Kalender an der Wand. Heute ist der 12. August. Wie konnte ich das vergessen? Tränen schießen mir in die Augen und ich bekomme plötzlich h grausame Schuldgefühle. Kraftlos sinke ich an der Anrichte hinab und bleibe auf dem dunklen Parkett sitzen, den Kopf in den Händen vergraben. Neben mir verteilt sich der Kaffe weiter auf dem Fußboden und der Klang des zerbrechenden Porzellans klirrt in meinen Ohren. Schluchzend verbanne ich den Gedanken an leere Krankenhausflure, auch wenn ich weiß, dass sie früher oder später zurück kommen werden. Mein Bruder ist stumm, lässt mich auf den Boden langsam versinken.
Irgendwann verliere ich das Zeitgefühl und meine Lieder geerdet schwer. Meine Augen brennen von den viele. Tränen, mein Mund ist ausgetrocknet und meine Nase rot und angeschwollen. Andre hatte sich auf einen Stuhl am Tisch gesetzt, den Kopf in den Händen vergraben. Wenn ich es nicht besser wüsste, könnte man meinen er schliefe, doch ab und zu wischte er sich eine Träne von der Wange und blickte mich kurz an. Am liebsten möchte ich aufstehen und ihn umarmen, einfach bei ihm sein, aber ich fühle mich genauso elend wie er, eine große Hilfe wäre ich sicherlich nicht.
Plötzlich klingelt das Telefon. Erschrocken sehe ich auf. Auch Andre sieht in die Richtung, aus der das Geräusch kommt, doch keine rührt sich und macht Anstalten ranzugehen. Nach mehreren Klingeln ertönt ein Piepen und Emmas Stimme ertönt. „Hi Blou, hier ist Emma. Ich glaub nicht das du das Ding hier abhörst, aber man kann's ja mal versuchen. Hast du heute Zeit? Meine Mum sagt ich soll lernen und hab keinen Bock. Ruf mich doch bitte zurück. Danke! Tschau." Dann ertönt ein langes Tuten und das Haus ist wieder still.
„Komm", unterbricht Andre die Stille, steht auf und verlässt die Küche. Ich habe keinen blassen Schimmer was er vor hat und ich brauche lange, bis ich mich hochgehievt und an der Anrichte entlanggeführt in Richtung Tür bewege. Andre steht im Wohnzimmer vor der geöffneten Terrassentür und sieht hinaus in den Regen. Schon die ersten Tropf, die auf ihn treffen als er hinaustritt, durchnässen sein Shirt und tropfen aus seinen Haaren auf dem Boden. Doch es scheint ihm nichts auszumachen. Er steht mitten im Garten, klitschnass, mit rote. Augen und einem selige. Lächeln auf den Lippen. Einen Moment zögere ich, dann trete auch ich raus. Der Regen ist kalt und hart, schlägt gegen meinen Körper wie kleine Steine. Und doch ist mir ganz warm. Ich habe das Gefühl der Regen spülte meine Trauer weg. Der Grasen unter meinen nackten Füßen bleibt an meinen Fußsohlen kleben. Als ich bei Andre ankomme greift dieser nach meiner Hand und sieht mich an.
„Eines Tages werden wir hier stehen und sagen können, das wir nicht trauern, sondern uns darüber freuen uns noch zu haben."

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