Nichts

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„Nichts und. Ich hab mich entschuldigt und sie hat's abgenommen." Langsam nervt mich dieses emotionslose Schulterzucken seinerseits. Unbewusst haben wir begonnen loszuwerden laufen.

„Und was erhoffst du dir jetzt hiermit?", frage ich und sehe ihn von der Seite an.

„Was sollte ich mir erhoffen? Ich mache blau, du machst blau und ich hab nichts zu tun. Es gibt keinen Hoffnung, in nichts." Ich versuche ihn mit meinem Blick zu durchbohren, was mir aber nicht gelingt. Letztendlich bin ich immer noch so ratlos wie vorher.

„Irgendwie will ich dir das nicht glauben", stelle ich fest, ohne meinen Blick von ihm zu nehmen.

„Wieso?"

„Weil ich dich hab sitzen lassen, drei Jahre lang", sage ich, ohne jeglichen Grund.

„Sprichst du jetzt von Schuldgefühlen?" Ein Lachen entrinnt meiner Kehle. Allerdings kein schönes lachen.

„Schuldgefühle? Die hab ich mir abgeschrieben." Witzig wie schnell man die Wahrheit herausfindet.

„Wegen deinen Eltern?" Natürlich wegen meinen Eltern, Trottel! Ich schiebe das Gartentörchen auf und beginne in meiner Jackentasche nach dem Haustürschlüssel zu kramen, bis mir einfällt, dass der noch auf meinem Schreibtisch liegt. Verärgert schlage ich mir mit der flachen Hand gegen die Stirn.

„Haustürschlüssel vergessen?", vermutet Leon hinter mit. Ich ignoriere ihn und hoffe einfach nur, dass André zu Hause ist. Viel zu lange warten wir stumm vor der Tür und warten drauf, das mein geliebter Bruder Zuhause ist und auf mein Klingeln hört. Als sich dann die Tür öffnet fällt mir ein Stein vom Herzen. Was dann aber aus seinem Mund kommt lässt mich wünschen niemals geklingelt zu haben.

„Was machst du hier?! Du hast noch Schule." Hab ich vorhin erwähnt das ich ihn liebe? Vergesst das.

„Kann dir egal sein", schnauze ich und schiebe mich an ihm vorbei. Erinnert ihr euch nicht, als ich mich so riesig gefreut habe, dass er noch lebt? Das ist jetzt vorbei. Als Leon mir folgen will hält Andre ihn auf.

„Warte, dich kenn ich doch", während seine Hand auf Leons Brust ruht, denkt mein Bruder sichtbar nach- was er sich auch wirklich hätte sparen können.

„Leon, mein Ex", brumme ich nur und zerre ihn dann hinter mir her ins Haus.

„Du schuldest mir noch eine Erklärung, Em", ruft er mir hinterher. Der Mittelfinger, den er dafür erntet, ist mir eher so rausgerutscht.

„Ihr geht aber lieb mit einander um, dafür, dass er fast tot war", stellt Leon fest.

„Du solltest die Klappe halten", fauche ich und nehme die zwei Tüten Chips mit nach oben in mein Zimmer. Er folgt mir ‚unauffällig'.

Ich habe keine Ahnung warum er hier ist, was ich mit ihm anstellen soll und was er sich den. Nun erhofft, aber Mitten in der Nacht steht er plötzlich von dem Sitzsack auf, den er seit einigen Stunden für sich beansprucht hatte, verabschiedet sich stumm von mir und verlässt mein Zimmer. Ich muss sage, ich habe noch nie einen so seltsamen und zugleich entspannenden Tag erlebt wie heute. Wenn ihr euch fragt, was wir gemacht haben, kann ich nur sagen: nichts. Wort wörtlich. Die wenigen Gespräche, die wir hatten waren vollkommen belanglos und ich hab jetzt schon keine Ahnung, was überhaupt das Thema gewesen war. Als ich mich jetzt in die Kissen zurück lehne, fallen meine Augenlieder von alleine zu und erst das schrille Klingeln des Weckers lässt mich hochfahren.

An diesem Morgen mache ich mir mal wieder noch viel aus Mode und Stile und verlasse in Jeans und einfachen Strickpulli, ohne Frühstück das Haus. Nicht mal bis zur Bushaltestelle schaffe ich es ohne Musik und als ich die Stöpsel kurz raus nehme, als der Bus kommt, bin ich auch echt glücklich über den Schallschutz, den das ‚Denglisch', dass von all den Leuten meiner Stufe ausgeht, die irgendwie versuche sich mit ihren Austauschschülern zu unterhalten, ist eindeutlich unter meiner Würde. Liz ist nirgends zu sehen und auch sonst finde ich kein bekanntes Gesicht um mich herum, weshalb ich einfach im Gang stehen bleibe und meine volle Aufmerksamkeit meinem Handy widme. An der Schule steige aus und laufe mit tief ins Gesicht gezogener Kapuze meines Parkers in Richtung Schulgebäude. Die Kopfhörer nehme ich erst ab, als ich schon fast am Kursraum angekommen bin. Und wenn ihr jetzt glaub, dass was ich jetzt sah würde mich nicht schocken, dann habt ihr vollkommen falsch gelegen. Normalerweise würde ich jetzt sage, dass ich dich schon total darauf eingestellt war, aber in Wirklichkeit hab ich schon seit etwa zwei oder drei Monaten Angst vor diesem Augenblick.

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