Kapitel 14

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Ich falle immer weiter, es gibt nichts was mich aufhalten könnte. Ich kann mir doch die starke Spannung zwischen uns beiden nicht nur eingebildet haben. Ohne diesen idiotischen Jeep Fahrer hätten wir uns bestimmt geküsst, glaube ich zumindest. Wollte er mich überhaupt küssen? Oder haben mir das meine durchdrehenden Hormone einfach nur vorgegaukelt? Das kann doch alles nicht wahr sein, zwischen mir und Till ist es gerade so gut gelaufen, er erweckt in mir ein Feuer, lässt mich Dinge fühlen, die ich bisher nur aus irgendwelchen übertrieben kitschigen Romanzen kenne und geglaubt habe ich daran sowieso noch nie. Doch mit Till war es von Anfang an irgendwas anderes. Und jetzt kommt so eine dumme, eingebildete, hochnäsige Zicke daher, die mit einem Satz alles kaputt macht. Till ist vergeben, er hat eine Freundin. Plötzlich ist da wieder dieses schreckliche Gefühl, das sich wie Säure durch meinen ganzen Körper frisst und auch vor meinem Herzen nicht stoppt. Wie bei der Situation während des Wahrheit oder Pflicht Spiels, kann ich mich nicht gegen das zerreißende Gefühl in meiner Brust wehren, es raubt mir den Atem. Und auf einmal werde ich sauer, richtig sauer. Warum hat diese Bitch das Glück an Tills Seite sein zu dürfen und ich nicht? Sie darf ihn küssen, berühren, lieben,....und ich nicht! Ich muss aufhören so zu denken, sonst explodiere ich gleich.Ich stehe wutentbrannt auf, sodass ich den Sand im Umkreis von einem Meter aufwirbele. Mein Blick fällt auf Till, der gerade mit einem fetten Grinsen im Gesicht auf mich zu gepaddelt kommt, er hat natürlich von allem nichts mitkommen und fragt mich mit fröhlicher Stimme: „Kommst du wieder ins Wasser, ohne dich ist es nur halb so lustig. Ich brauche doch jemanden, den ich auslachen kann. Du musst schon zugeben, deine missglückten Versuche sahen schon alle zum schießen aus." „Ich komm ja gleich, ich muss noch schnell die Sachen wieder einpacken", antworte ich ihm aufgebrachter als ich eigentlich wollte. „Aää..okay, ich surf in der Zeit schon mal weiter.", erwidert er stockend und schaut mich dabei ziemlich verwirrt an. Ich knie mich ohne ein weiteres Wort in den weichen Sand, um die Box und meine Wasserflasche in den Rucksack zurück zu stecken. Ich muss mir einen Schlachtplan ausdenken, Till darf einfach nichts von meiner Eifersucht mitbekommen. Ich bin doch nicht eifersüchtig, dann kann das doch gar nicht so schwierig werden, versuche ich mir selbst einzureden, obwohl ich tief in meinen Herzen weiß, dass ich dieser ominösen Rebecca die Augen auskratzen würde, wenn sie vor mir steht. Alter, was läuft bei mir gerade falsch. Till ruft eine Gefühlsexplosion in mir hervor, mit der ich einfach nicht umgehen kann. Wie gerne würde ich jetzt einfach zurück zum Zeltplatz fahren. Ich will doch einfach nur meine Ruhe haben. Aber genau das geht, da draußen. In den Wellen des atlantischen Ozeans wartet jemand auf mich und dieser Jemand ist auch noch an dem ganzen Gefühlsdesaster schuld. Ich atme drei Mal tief durch, straffe meine Schultern, nehme mein weißes Surfboard in die Hand und bewege mich in Schneckentempo in Richtung Till. „Martha denk daran, lass dir nichts anmerken, er darf bloß nichts von deinem Gefühlschaos mitbekommen, das Telefonat hat nie stattgefunden, du hast keinen blassen Schimmer das er ne Freundin hat. Du bist einfach ganz normal!", rede ich mir selbst ein, als ich bäuchlings auf dem Brett liegend auf Till zutreibe. „Da bin ich wieder, jetzt kannst du dir endlich wieder echte Surfkünste ansehen", lache ich Till unglaublich künstlich an. Dabei kann ich ihm nicht in seine wunderschönen Augen schauen, deswegen paddele ich einfach weiter in das türkisblaue Meer hinaus. Ich spüre, dass Till mir hinterherschaut, fast bilde ich mir ein, dass ich sogar die Fragezeichen, die jetzt in seinem Kopf herumschwirren auf meiner Haut spüre. Das habe ich ja schonmal super hinbekommen. Ich werde von Sekunde zu Sekunde genervter. Nichts scheint mehr zu funktionieren. In den 1000 Versuchen, die ich bestimmt seitdem ich wieder zurück bin unternommen habe, konnte ich vielleicht fünf Mal auf dem rutschigen Ding stehen. Aber auch nur für ein paar Sekunden, danach bin ich nämlich wieder wie ein Sack Kartoffeln in das salzige Wasser geplumpst. Bis jetzt hat Till noch kein Wort zu mir gesagt, aber seine fragenden Seitenblicke entgehen mir nicht. Nachdem mich das Brett zum 1500 Mal abgeworfen hat platzt mir der Kragen: „Was will dieses scheiß Ding eigentlich von mir? Warum kann es nicht einmal machen, was ich will!" Jetzt habe ich natürlich Tills ungeteilte Aufmerksamkeit. „Welche Laus ist dir denn über die Leber gelaufen?" „Niemand ist irgendwo drüber gelaufen, das Brett wird einfach immer rutschiger!" Ich bin in dem Moment so wütend auf mich, auf diese scheiß Rebecca und auch auf Till, dass ich mich einfach nicht unter Kontrolle habe: „Ach übrigens dein Bunny hat angerufen.", werfe ich ihm an den Kopf. Oh nein, das habe ich jetzt nicht ernsthaft gesagt, warum kann ich nicht einmal nachdenken, bevor ich meinen Mund aufmache. Ich muss weg und zwar schnell. Gefolgt von Tills fragendem Schrei, wer da gerade angerufen hat, versuche ich so schnell wie möglich einen großen Abstand zwischen uns beiden herzustellen. Die Rechnung habe ich aber ohne Till gemacht. Als Profisportler hat er natürlich kein Problem mir hinterherzukommen. „Martha, warte doch mal. Was ist denn eigentlich mit dir los? Und wer hat versucht mich zu erreichen?", während Till mich mit den Fragen bombardiert, hält er mich an meinem linken Bein fest. Die Stelle fängt sofort an zu kribbeln und ein wohlig, warmes Gefühl macht sich in mir breit. Für einen kurzen Augenblick habe ich Rebecca vergessen, jedoch trifft mich die bittere Erkenntnis danach umso härter. Es tut so unglaublich weh diese Worte aussprechen zu müssen: „Deine Freundin wollte dich sprechen." Die klitzekleine Hoffnung, dass er diesen möchtegern Hasenzähmer gar nicht kennt, verpufft bei seiner Reaktion. Er streitet nichts ab, er dementiert nichts, es ist ein einfaches „Oh fuck, Rebecca", das mein Herz in abertausende Teile zerspringen lässt. Jetzt lässt mich Till endlich wegpaddeln. Er hält mich nicht fest, er sagt nichts zu mir, er schaut einfach nur dabei zu, wie ich von ihm weggleite. Ich sehe es nicht ein mir von dieser dummen Kuh auch noch das Surfen vermiesen zu lassen, deswegen konzentriere ich mich nun wieder auf die Wellen des Atlantiks. Es funktioniert zwar nicht wirklich gut, aber es lenkt mich wenigstens ein bisschen von dieser schrecklichen Situation ab. Als uns Pierre nach einer halben Stunde aus dem Wasser pfeift, bin ich mehr als glücklich, dass es endlich vorbei ist und wir zurückfahren können. Im Wasser konnte ich ohne großes Problem den Sicherheitsabstand zu Till halten, das funktioniert in der kleinen Hütte der Surfschule natürlich nicht mehr. Und das letzte was ich will, ist Tills Nähe zu spüren. Seine Nähe fühlt sich wie ein Schwert an, das mit voller Wucht in mein Herz gerammt wird. Ich muss so schnell wie möglich weg von ihm, sonst fange ich noch an zu weinen und die Blöße muss ich mir wirklich nicht vor ihm geben. In Rekordzeit ziehe ich diesen unbequemen Anzug aus, bedanke mich kurz bei Pierre und dann bin ich auch schon aus der Tür. Ich gehe mit langsamen Schritten zu unserem Auto. Dabei beobachte ich die Möwen, die schon wieder über meinem Kopf kreisen. Wie gerne wäre ich jetzt ein Vogel, einfach von meinen ganzen Problemen und Sorgen wegfliegen, Abstand zu allem gewinnen, das wäre ein Traum. Till holt mich sogar noch ein, bevor ich das Auto erreiche. Wir steigen beide ein und er startet den Wagen. Die Autofahrt verbringen wir wieder schweigend. Das Schwert in meinem Herzen wird langsam hin und her gedreht. Der Schmerz wird langsam unerträglich. Um mich vor mir selbst zu schützen, schaue ich die ganze Zeit aus dem Fenster und beobachte die wahrscheinlich schöne Landschaft. Aber eigentlich will ich damit nur verhindern Till anschauen zu müssen, das wäre nämlich mein Todesstoß. Als wir endlich am Campingplatz angekommen sind, ist es dieses Mal Till, der das Auto fluchtartig verlässt. Ich lasse mir Zeit, beim Austeigen, beim Duschen, irgendwie fühle ich mich wie in Trance. Ich bin zum Glück keinem begegnet, nicht mal Nele, die scheinen alle schon beim Essen zu sein. Obwohl ich keinen großen Hunger habe, gehe ich trotzdem zu den andern. Die sitzen alle fröhlich lachend um den großen Holztisch Als sie mich sehen verstummen sie und schauen mich besorgt an. Sehe ich so schlimm aus? Bin ich froh, dass mich meine Mitschüler so gut kennen, dass sie wissen, dass es einfach das Beste ist mich jetzt in Ruhe zu lassen. Ich setze mich auf einen freien Stuhl und nehme mir ein bisschen Reis, mehr bekomme ich beim besten Willen nicht runter. Ich starre die ganze Zeit auf meinen Teller, bis ich Viktor in meinem Augenwinkel sehe. Bevor sich der Braunhaarige etwas zum Essen auf seinen Teller schaufelt, erklärt er der Runde, dass Till gleich nachkommt, der muss noch ein wichtiges Telefonat führen. Das Schwert wird unter höllischen Schmerzen aus meinem Herzen gezogen, nur um es danach mit doppelter Kraft wieder rein zu rammen. Ich weiß genau mit wem er redet, mit dieser dummen Rebecca. Warum darf sie jetzt seine samtig tiefe Stimme hören? Warum hat sie jetzt seine Aufmerksamkeit? Diese Gedanken machen mich fertig, ich muss jetzt einfach alleine sein. Ohne ein Wort stehe ich auf und gehe in unser Zelt. Ich ziehe mir in Windeseile meine Schlafsachen an, als mir schon die ersten Tränen über die Wangen kullern.

5_Jahre_danachWo Geschichten leben. Entdecke jetzt