Kapitel 29

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Das warme Wasser fließt erst über meine kurzen blonden Haare, dann über meinen zierlichen Körper, um schlussendlich in den Abfluss zu strömen. Der bekannte Duft nach Eukalyptus und Rose umgibt mich. Die heiße Dusche tut gerade so gut, hilft mir meine Gedanken zu ordnen. Ich kann wirklich nicht sagen was zurzeit mit mir los ist. Vor 10 Minuten bin ich noch mit Tränen in den Augen in Neles Armen gelegen und jetzt erfüllt mich wieder eine Glücklichkeit, eine unbeschreibliche Fröhlichkeit. Die positive Energie ist wieder in meinen Körper zurück gekrochen, hat wieder die Überhand genommen, lässt mich lächeln. Meine Gefühle und Empfindungen sind das reinste Chaos, werden von starken Stimmungsschwankungen dominiert. Jedoch sind die emotionalen Tiefs sehr kurz und meine Gefühlsregungen schießen nach kurzer Zeit sofort wieder in die Höhe. Ich kann einfach nicht mehr lange traurig sein, das lassen meine verliebten Hormone nicht zu. Nur ein kurzer Gedanke an Till, und zugegeben meine Gedanken kreisen eigentlich nur noch um ihn, und ein fettes verliebtes Grinsen bildet sich auf meinem Gesicht. Ich freue mich sehr auf diesen Tag, auf ganz viel gemeinsame Zeit mit Till. Die letzten Tage, das unbeschwerte Umgehen, die interessanten, lockeren Gespräche waren so schön, haben so viel Lust auf mehr gemacht. Ich kann gar nicht mehr abwarten endlich wieder seine Nähe zu spüren, ihn wiederzusehen, nicht nur in meinen Träumen. Wann bin ich denn zu so einer verliebten Idiotin mutiert, er hat mir total meine Gedanken vernebelt. Wir haben uns das letzte Mal vor 10 Stunden gesehen und ich vermisse ihn jetzt schon so stark. Das kann doch nicht normal sein. Trotzdem kuschele ich mich im nächsten Moment in den sanften Stoff meines weichen Bademantels und verlasse den Waschraum in Richtung unseres Zelts. Nele und Sibel sind nicht da, die beiden scheinen schon längst beim Frühstück. Wie lange stand ich denn bitte unter der Dusche? Ich ziehe mir schnell eine kurze schwarze Hose und meine rotbraune Lieblingsbluse an, kämme kurz durch meine nassen strohblonden Haare, nur um sie danach wieder zu verwuscheln, schlüpfe in meine ausgelatschten Flip-Flops und bin dann auch schon auf dem Weg zum Frühstück. Als ich an dem großen Tisch ankomme, nehme ich sofort seine tiefe Stimme war, er unterhält sich mit Viktor gerade über irgendeine neue Trainingsmethode, die anscheinend super effektiv sein soll. Ich regiere sofort auf ihn, mein Herz fängt an zu rasen, mir wird total heiß. Wie von selbst fällt mein Blick auf ihn, auf sein makelloses Gesicht, die rosa Lippen zu einem leichten Lächeln verzogen, vereinzelte Strähnen seiner gelockten Haare fallen ihm in die Stirn. Er schaut so gut aus. Ich kann meinen Blick nicht mehr von ihm abwenden, er zieht ihn einfach magisch an. Plötzlich dreht er seinen Kopf in meine Richtung, als ob er meine starrenden Blicke auf ihn gespürt hat. Seine strahlenden Augen rauben mir den Atem, fesseln mich, lassen mich nicht mehr los. Meine Umgebung verschwimmt Stück für Stück, verschwindet in einem grauen Schleier. Das einzige was zählt, was ich sehe, sind seine funkelnden blaugrünen Augen. Ich bin gefangen, gefangen in seinem Bann. „Guten Morgen, Martha!", ich schrecke auf, lande wieder in der Wirklichkeit. Anscheinend schaue ich ziemlich bedröppelt aus der Wäsche, meine Mitschüler fangen nämlich an schallend zu lachen. Schön, dass ich schon so früh am Tag zur allgemeinen Belustigung beitrage. Ich bin durch den Wind, extrem verwirrt, er und unser tiefer Augenkontakt haben mich total durcheinandergebracht. Ich merke, wie sich meine Wangen immer heißer anfühlen. Oh Gott, ich muss ausschauen wie eine reife, knallrote Tomate. Die Situation ist mir so unglaublich peinlich, ich stehe schon seit bestimmt 5 Minuten einfach nur da und starre den zugegeben schönsten Mann der ganzen Welt an. Trotzdem würde ich jetzt gerne einfach im Erdboden versinken, mich vergraben, so schnell wie möglich einen Ausweg aus der vorherrschenden beschämenden Gegebenheit finden. Das mit dem auftuenden Loch funktioniert ja bekanntlich im echten Leben nicht wirklich, deswegen ist der einzige Ausweg Angriff, sich die Peinlichkeit, die Unsicherheit nicht anmerken zu lassen. „Guten Morgen", auch wenn meine Begrüßung stotternder als ich es beabsichtigt habe über meine Lippen kommt, bin ich aus meiner eingefrorenen Starre erwacht, schaffe es endlich mich auf den nächstbesten freien Stuhl zu setzen. Und wie es der Zufall will, befindet sich die Person, die mich gerade vor allen in Verlegenheit gebracht hat, jetzt direkt gegenüber. Ich will ihn nicht ansehen, ich weiß ganz genau, dass das eine sehr schlechte Idee ist, dass die Gefahr, mich wieder in seinen einnehmenden Augen zu verlieren, viel zu hoch ist. Aber ich schaffe es einfach nicht gegen diese unsichtbare Kraft, die unglaublich starke Anziehungskraft, die zwischen uns beiden herrscht, anzukämpfen. Mein Blick wird von Tills bildhübschem Gesicht magisch angezogen. Ich hebe meinen Kopf und blicke direkt in seine eindrucksvollen Augen, die mich warm anfunkeln. Er hat mich die ganze Zeit angeschaut. Sofort brechen in mir wieder alle Dämme, alle Gefühle, alle Empfindungen, die Till in mir hervorruft, überkommen mich und ich bin ihnen schutzlos ausgeliefert. Mein vollständiger Körper steht unter Strom, fängt an zu kribbeln, mir wird heiß, unerträglich heiß, ein feiner Schweißfilm bildet sich auf der Haut meiner Hände. Auf einmal ändert sich Tills Gesichtsausdruck, seine Gesichtszüge verziehen sich zu einem wissenden, schelmischen Grinsen. Hat er mir gerade zugezwinkert? Scheiße, hat er gemerkt welche Wirkung er auf mich hat, dass er mich nur mit einem kurzen Lächeln außer Gefecht setzten kann? Genau das passiert nämlich gerade, ich kann mich nicht mehr rühren, sitze einfach nur da, starre in seine Richtung und wenn ich jetzt in den Spiegel schauen würde, würde mich zu hundert Prozent ein leuchtend rotes Gesicht anstrahlen. Erst Sibels sachtes Schütteln an meiner rechten Schulter weckt mich aus meinen Träumereien auf, „Martha ist alles okay bei dir?". Ich bin ihr so dankbar, dass sie mich aus diesem unglaublich peinlichen Angestarre erlöst hat, auch wenn ich keine Ahnung habe, wie ich ihr eine halbwegs sinnvolle und vor allem glaubwürdige Antwort in meinem jetzigen Zustand geben soll. Während ich mir die frische, kalte Milch auf mein Früchtemüsli schütte, stottere ich irgendwelche zusammenhangslosen Worte zusammen, „Ich...mir...mir geht es sehr gut...ich habe...ja, ich habe...nur sehr, sehr schlecht geschlafen...bin viel zu früh aufgewacht...genau, deswegen...deswegen, bin ich einfach noch total müde." Ich merke, dass sie mir kein einziges Wort glaubt, würde ich mir bei diesem Rumgestammele auch nicht. Sie sagt jedoch nichts, sie lässt es ohne ein weiteres Wort auf sich beruhen, grinst mich nur aufrichtig an. Sibel ist einfach eine unglaublich gute Freundin. Die neckischen Blicke, die mir Till die ganze Zeit zuwirft, entgehen mir natürlich nicht. Dieser Idiot weiß ganz genau, dass er für mein Gestotter, für meinen peinlichen Auftritt verantwortlich ist. Ihm ist sowas von bewusst, welch heftige Wirkung er auf mich hat. Und das macht mir irgendwie Angst. In seiner wohltuenden Nähe verliere ich die Kontrolle über mich, bin nicht mehr ich selbst. Die sonst so freche, schlagfertige Martha mutiert in seiner Anwesenheit zu einem zutraulichen, kuschelbedürftigen Schoßhündchen. „Also noch einmal für alle, ja auch für dich Martha. Wir fahren heute wieder an den See im Wald. Das war doch das letzte Mal so schön. In einer halben Stunde am Auto? Sind alle damit einverstanden?", teilt uns Rike die Tagesplanung mit. Ein synchrones, zustimmendes Brummen setzt ein, auch ich bin von der Idee begeistert. Einen ganzen Tag am See heißt einen ganzen Tag die Chance zu haben Till nur in Badeshorts angaffen zu können. Und die Vorstellung gefällt mir doch mehr als gut. Ich schüttele meinen Kopf, ich darf jetzt nicht an seinen perfekt definierten, nackten Oberkörper denken, vor allem nicht, wenn er nicht mal zwei Meter von mir entfernt auf seinem Campingstuhl thront. Ich muss mich bis dahin wieder unter Kontrolle haben, darf mich ihm nicht so vor die Füße schmeißen. Ich habe also dreißig Minuten Zeit, um die alte Martha wieder zu finden, wieder normal zu werden. Okay, ich bin über beide Ohren in diesen unglaublich tollen Typen verliebt, aber das heißt doch noch lange nicht, dass ich mich wie ein sabbernder, unzurechnungsfähiger, hirnloser Vollpfosten verhalten muss. Nachdem ich mir den Letzten Löffel meines Müslis in den Mund gestopft habe, die Schüssel in den Behälter für das Dreckgeschirr gestellt habe, gehe ich mit meiner Kulturtasche in Richtung Waschraum. Ich muss Zähneputzen und brauche unbedingt ganz viel eiskaltes Wasser in meinem Gesicht. Jetzt stehe ich hier, habe das nötigste erledigt, und betrachte einfach nur mein Spiegelbild. Meine hellen, stechenden Augen schauen mich vorwurfsvoll an, meine Wangen sind immer noch leicht rötlich verfärbt und mein Mund ziert dieses dümmlich verliebte Dauerlächeln. Ich erkenne mich selbst nicht mehr wieder. Ich habe noch nie solche intensiven Gefühle gespürt, bin ihnen, bin Till komplett verfallen. Jedoch schaue ich glücklich, so zufrieden aus. Was Liebe nicht alles mit einem machen kann. Trotzdem geht das nicht so weiter, ich kann mich diesem Idioten, auch wenn er mein Herz gestohlen hat, nicht einfach so hingeben. Dazu habe ich einfach zu viel stolz. Ich muss wieder zu dem angriffslustigen Kampfhund werden, muss voll auf Angriff gehen. Genau, das ist ein super Plan. Ich gehe jetzt in die Offensive. Wer sagt denn, dass ich Till nicht genauso verunsichern, aus dem Konzept bringen kann, wie er mich.

5_Jahre_danachWo Geschichten leben. Entdecke jetzt