Mir wird klar, dass ich hier weg muss. Weg von diesen drei Gören, weg von Till, weg von dem kühlen Wasser, dass mir gerade einen viel zu klaren Kopf verschafft, weg von allem, was mich in diesem Moment umgibt. Ich will doch nichts fühlen, will nicht schwach werden, kann nicht. Till und ich sind nichts. Nichts als gute Freunde. Anscheinend. Bis vor einigen Sekunden war ich mir mehr als sicher, dass wir das Gleiche empfinden. Und er ist ja schließlich auch an meiner Seite geblieben, oder? Und trotzdem steht er nicht zu mir, stellt mich als gute Freundin vor. Und das, wo er gerade offensichtlich von drei, mir persönlich viel zu schönen, Frauen angemacht wird. Mein Herz zieht sich zusammen, es zieht mich in ein tiefes Loch aus Leiden und Zweifeln. Unsicher sehe ich mich um, suche einen Weg um zu flüchten und erblicke mein Handtuch auf dem warm glitzernden Sand Schnell und unkontrolliert widme ich mich Till, drücke seine Hand, bevor ich sie loslasse und verlasse ohne ein weiteres Wort das Meer. Die starken Wellen ziehen mich zurück, machen jeden Schritt zu einem harten Kampf. Ich schwächle, erschöpft ziehe ich die schweren Beine zum Ufer und lasse mich mit dem Kopf voraus auf mein Handtuch fallen. Kann das denn schon mein Selbstbewusstsein so zerstören? Einige Sätze und alles weg? So geht das doch nicht, kann nicht sein, muss ein schwacher Moment sein, von dem ich mich in spätestens einer Minute erholt haben sollte. Gerade hasse ich das, hasse diese Gefühle. Die Gefühle für Till. Hasse mich. Wenn er nach dieser Begegnung immer noch Interesse an mir haben würde, wäre er blind. Und das ist er ja nicht. Also tschüss, Martha, du bist nun wieder alleine und einsam. Einsam mit einem Gefühlschaos, dass sich unmöglich in Worte zu fassen scheint. Ich seufze, versuche mich wieder zu fassen, bevor noch jemand meine angespannte Haltung bemerken könnte. Tiefes Einatmen hilft mir dabei, mich zu entspannen und ich fange tatsächlich an die warmen Sonnenstrahlen auf meinem Rücken zu genießen. Ich fühle definitiv zu viel. Bin viel zu verliebt, um klar denken zu können. Und das ist nicht gut. Ich verliere die Kontrolle, verliere den Halt. Meine Welt dreht sich schon lange nicht mehr um mich. Sie dreht sich um ihn. Um sein Wohlbefinden, seine Nähe, seine Aufmerksamkeit, seine Liebe. Ich lebe für ihn. Mein ganzer Tagesablauf hängt davon ab, wo er ist, wie ich ihn bei mir haben kann, wie ich ihn von mir überzeugen kann. Was zieh ich an, was ihm gefällt? Wann gehe ich frühstücken, um ihn dort zu treffen? Was mache ich den Tag über, um bei ihm sein zu können? Wann geht er schlafen, dass ich ihn „zufällig" im Waschraum auffinde? Wann kann ich ihn nur für einige Momente für mich alleine haben? Meine Bedürfnisse spielen absolut keine Rolle mehr. Und warum? Weil mir die Sicherheit fehlt. Weil es zwar schön ist, dass wir das jetzt haben, was wir haben, aber ich anscheinend nicht mehr als ein harmloser Urlaubsflirt bin, bei dem er sich nach einigen Monaten nicht mehr melden könnte. Weil ich keine Ahnung von seinen Gefühlen habe und nicht zu meinen stehen kann. Ich hasse das, hasse es so sehr. Wütend und verzweifelt bohre ich meine Fingernägel in die viel zu weiße Haut meines Unterarms und wuschle mir anschließend durch die dünnen Haare. Attraktiv? Bin ich nicht. Selbstsicher? Bin ich nicht. Aufmerksam? Bin ich nicht. Nett? Bin ich nicht. Was genau soll Till also an mir finden? So ein Typ wie Till. Sportlich, Ausgeglichen, fest im Leben stehend, sympathisch, gutaussehend, perfekt. Meine Hände ballen sich automatisch zu Fäusten und so liege ich nun wie ein Brett auf dem Bauch, beide Arme verkrampft an meinen Seiten und den Kopf im Handtuch vergraben. Schöner Strandtag. „Hey! Was liegst du hier so blöd rum? Wir sind nicht für immer hier!" Nele schüttelt ihr sandiges Handtuch über mir aus und das bringt das Fass für mich zum Überlaufen. Ich schrecke auf, sehe sie wütend an. „Man! Lass mich doch einfach hier liegen. Ich will das jetzt, hör auf mich so rumzukommandieren! Martha mach dies, Martha mach das! Martha will jetzt hier bleiben, verdammt!", schnaube ich meine beste Freundin an, die Lippen bebend und die Augen zu Schlitzen verzogen. Neles Blick wird daraufhin weich, sie setzt sich vorsichtig neben mich und sieht mich mit ihrer in Falten gerunzelten Stirn an. „Was genau ist passiert?" Ich setze an den Mund zu öffnen, als sie mich unterbricht. „Und jetzt sag nicht, dass alles gut ist. Glaub ich dir nicht, ist nicht so." Ich seufze, vergrabe meine Fingernägel wieder in der fahlen Haut, richte mich auf und sehe keine andere Wahl als ihr die Wahrheit zu sagen. „Till...", murmle ich, sehe zu Boden und lasse den trockenen, feinen Sand durch meine Finger gleiten. Sie scheint mich nicht zu verstehen und als sie auf ihren verwirrten Blick keine Antwort bekommt, streicht sie mir über die Schulter, sodass ich mich wieder ihr zuwende. Ich allerdings wende mich von ihr ab, zeige mit einer kleinen Geste auf Till, der nun mit den drei viel zu schönen Frauen Volleyball am Strand spielt. Die Füße bis zu den Knöcheln im Wasser, die heiße Sonne reflektierend auf ihren gebräunten Körpern und glückliches Lachen auf ihren Lippen spielen sie mit einer unfassbaren Leichtigkeit und einem faszinierenden Können den Ball vom einen zum anderen. Immer wieder berühren Mia, Carina und vor allem diese Raika seinen Arm. Zwar nur spielerisch und extrem kurz, doch es entfacht ein unglaubliches Feuer in meinem Herzen. Kein angenehmes, nicht so wie wenn Till mich küsst oder mir nahe ist. Nein, eines aus Eifersucht, aus Neid und unfassbarer Angst ihn verlieren zu können, bevor ich ihn überhaupt erst hatte. „Nele sieht mich zweifelnd an. „Kritisch", meint sie, „Die eine macht sich ja schon an ihn ran? Ich würde mich ja schon unwohl fühlen, wäre ich Till..." „Ja, eben. Ich auch", antworte ich ihr, während meine Zweifel ins Unermessliche wachsen „Aber Till und du, ihr seid doch..." Ich unterbreche sie, will es gar nicht hören. „Wir sind nichts, Nele. Nichts Für ihn ist das ja anscheinend alles nichts." „Ach was." Nele richtet sich auf und kreist mit ihrem Zeigefinger um mein Knie, versucht mich zu beruhigen. „Ihr habt hier schon so viel erlebt, ihr seid so weit gekommen. Von wegen, da ist nichts. Sieht doch jeder von uns, weiß doch jeder von uns. Und zwar nicht nur von deiner Seite." „ich...", Ich stocke. Die Worte fallen mir extremst schwer. Ich kämpfe, hadere mit dem, das mir die Kehle zuzuschnüren scheint, ringe um meinen Atem. „Kann ja sein, aber...Aber ich bin so so weit. Und wenn von seiner Seite etwas ist, was ich ja eigentlich wirklich geglaubt habe, dann steht er erst ganz am Anfang. Und wird da entweder bleiben oder zurücktreten. Ich bin so viel weiter als er. Und das macht mir Angst. Extrem Angst." Gegen Ende wird meine Stimme so leise, dass ich vermute, dass Nele mich nicht verstanden haben könnte, doch sie nickt. „Versteh ich. Wirklich. Liebe ist scheiße. An diesem Punkt zumindest. Aber was willst du dagegen tun? Nichts machen? So weiter machen? Mit beidem wirst du zu 100% nicht glücklich werden. Und warum? Weil du es jetzt ja auch nicht bist. Und ohne ihn verfällst du in Liebeskummer. Du würdest ihn vermissen und wie ich dich kenne nicht so schnell darüber hinwegkommen." „Na toll", meine ich „Dann kanns ja nur schlimmer werden, oder wie? Tolle Aussichten, danke Nele." Ich lehne mich zurück, stütze mich mit den Handflächen auf dem heißen Sand ab und wende den Blick ab, starre in die Ferne, kämpfe gegen die Tränen. „Schwachsinn", aufmunternd klopft mir meine beste Freundin auf die Schulter und lacht. „Stell dich doch nicht dümmer als du bist. Du kannst es nicht so lassen wie es jetzt ist, du kannst auch nicht aufhören damit. Aber du kannst auf ihn zugehen, den nächsten Schritt machen, ehrlich sein. Sag ihm was du fühlst! Sag ihm was du denkst! Sag ihm warum du so handelst wie du es tust. Sag ihm was du willst! Er versteht es sonst nie. Und wenn er es nicht tut, dann machst es eben du. So kannst du natürlich auch mächtig verletzt werden, aber das wirst du bei den anderen Optionen sowieso. Und wenn du endlich redet, endlich was tust, hast du eine große Chance, das zu bekommen, was du wirklich willst! Also rede mit ihm, sei ehrlich, Martha. Zu dir, und vor allem jetzt auch zu ihm." Mein Herz schlägt völlig unkontrolliert in meiner viel zu eng scheinenden Brust. Sie hat Recht, das weiß ich. Aber ich habe so verdammt Angst. So verdammt Angst zurückgewiesen zu werden. Angst, dass alles vorbei sein könnte und ich dann daran schuld bin, mir selbst alles zerstört habe. Und doch lässt der Gedanke an eine Zukunft mit Till, eine Beziehung mit Till, mein Herz so unfassbar hoch schlagen, meinen ganzen Körper kribbeln und meinen Kopf unglaublich frei werden. Sie hat Recht. Ich habe unfassbare Angst davor und ich weiß nicht, ob ich diesen Schritt gehen kann, aber ich weiß jetzt wenigstens, dass ich es tun sollte. Vorsichtig nicke ich, sehe wieder zu Till, dem Menschen, der mich zum Leuchten bringt, der mir mein Lachen zeigt, mir den Schatten nimmt, wenn er da ist, mich aufleben lässt, mir gezeigt hat, was wahre Liebe ist. Und auch wenn er da steht, mit drei wunderschönen Mädchen, die eine, die ihn fürchterlich anschmachtet und ihn am liebsten nie wieder gehen lassen würde, habe ich etwas mit Till, was sie nicht hat: Eine Vergangenheit mit ihm, eine Geschichte mit ihm. Und darum lohnt es sich zu kämpfen. Mit der Vergangenheit für eine Zukunft Eine gemeinsame Zukunft. Ob ich es schaffe, weiß ich nicht, wann ich es schaffe, sowieso nicht. Doch als er sich einige Zeit später während dem Volleyballspiel mir zuwendet und mich anlächelt, habe ich wieder einen Funken Hoffnung. Meine Befürchtungen verschwinden langsam, die Selbstzweifel nehmen ab, so wie die Sonne am Horizont, die immer tiefer im Meer versinkt und einen frischen Wind zurücklässt und uns damit von unserem Strand verscheucht. Lachend und endlich wieder als ganze Gruppe vereint packen wir alle Sachen zusammen und treten in unsere Handtücher gehüllt den Heimweg an. Leni und Cäcilia an der Spitze, tief in eine Diskussion verwickelt, ob es denn heute Abend lieber Nudeln mit Tomatensoße oder Stockbrot am Grill geben sollte. Hinter ihnen Moritz, Rosa, Rike, Pit, Jona und Hermann zitternd und frierend aneinander gekuschelt. Dahinter ich mit Sibel und Nele, gefolgt von Till und Viktor, die ausgiebig den erlebten Tag zu reflektieren scheinen. Gerade am Wagen angekommen, ruft die bekannte und so unglaublich warme Stimme, die meinen ganzen Körper mit einer deutlich sichtbaren Gänsehaut überzieht, laut auf, bis sich die ganze Gruppe zu Till umdreht: „Ey Leute! Ich hab die drei Mädels von vorher für heute Abend eingeladen. Sie wohnen fast bei uns und ich hab mir gedacht, dass das ja ganz cool sein könnte. Ok für euch?" Klar, Till, mega ok... Und zurück sind all die Zweifel, alle Sorgen und Gedanken, weg ist die Hoffnung. Warum sollte er sie denn noch extra einladen, wenn er kein Interesse an ihnen hätte? Will er jetzt wirklich in meiner Anwesenheit mit dieser Schönheit flirten, ohne davor mit mir gesprochen zu haben? Mein Herz zerreißt in tausend Stücke, ich fühle mich elendig, zerbrochen, verlassen, einsam, zerstört. Es fühlt sich an, als würde mein Blut keinen Weg mehr durch die engen Adern finden, während mein Kopf pocht wie verrückt. Das Rauschen in meinen Ohren wird immer lauter und verdrängt jegliches andere Geräusch. Und dann eine Hand, die unauffällig die meine streift, Tills Hand. Ein kurzer Kontakt, mit dem er mich noch mehr aus der Bahn wirft, als doch sowieso schon. Herzrasen, Hitze im ganzen Körper, Gänsehaut, Kribbeln. Alles auf einmal. Nur deswegen. Warum macht er das überhaupt jetzt? Was soll das? Bin ich ein Spielzeug, das einfach immer da ist und nach seinen Vorstellungen funktioniert? Verdammt Till, ich bin ein Mensch. Ein Mensch, der dich liebt. Ein Mensch, der daran zugrunde geht. Die Liebe die ich fühle, nur bei dieser minimalen Berührung. Warum muss ich ihn nur so verdammt lieben? Emotionen überfluten mich, ersticken mich. Angst, Wut, Trauer, Hass, all das staut sich in mir auf, ohne einen Weg zu entkommen. Am liebsten würde ich mich verkriechen, wegrennen, so wie immer. Wegrennen vor meinen Gefühlen. So wie ich es jahrelang gemacht habe. So lange, bis ich Till wieder getroffen habe. Hier unter der Sonne von Frankreich, als ich mich zum ersten Mal gehen lassen habe, einfach nur gefühlt habe. Und für was? Nur um jetzt wieder verletzt zu werden, nur um von meiner eigenen viel zu starken Eifersucht aufgefressen zu werden. Ich hasse das, Eifersucht, Neid, Stolz. Es legt mir viel zu große Steine in den Weg, die ich nicht entfernen kann. Mit denen ich leben muss, die mir immer wieder alles zerstören. Die mir meine Hoffnung klauen. Meine Hoffnung auf eine Zukunft mit Till. Auf weitere Erfahrungen mit ihm. Hass auf mich, weil Till ja an sich noch gar nichts wirklich falsch gemacht hat, ich ziemlich unbegründet vor Eifersucht wahnsinnig werde. Mein Hass weitet sich aus, auf alle anderen von unserer Gruppe, die ihm zustimmen, sich auf den Abend freuen. Selbst Nele, der ich alles anvertraut habe, scheint mein Zusammenbruch nicht aufgefallen zu sein. Sie ist zwar an meiner Seite, sagt auch nichts, aber tut eben auch nichts. Alleine, ganz alleine bleibe ich in diesem fürchterlichen Strudel aus Emotionen die mich überfluten, die mich zerstören, die mich untergehen lassen. Ertränkt von meinen eigenen Gefühlen.
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5_Jahre_danach
FanfictionEin Wiedersehen nach über 5 Jahren. Zwei Menschen, deren Anziehungskraft immer noch so stark ist, wie die zweier Dipole. Eine leidenschaftliche Liebe, die die beiden immer wieder zueinander führt. Zwei Leben, die sich so lange Zeit nicht berührten...