Kapitel 40

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Till und ich sind wieder auf dem Weg zum Campingplatz. Hand in Hand, Schulter an Schulter, ganz nah aneinander gehen wir durch die Dünen, die ein wenig Schutz vor dem fest brausenden Wind bieten. Ehrlich gesagt will ich noch nicht zurück, zurück zu den anderen, mich den fragenden, bohrenden Blicken meiner ehemaligen Mitschüler stellen. Am liebsten würde ich den ganzen Tag am Strand verbringen, zusammen mit meiner großen Liebe, alleine mit Till, in unserem ganz eigenen Universum, in dem nur wir beide existieren. Die letzten Stunden waren so unglaublich schön, so unvergesslich. Ich fühle mich immer noch schwerelos, das atemberaubende Gefühl von grenzenlosem Glück, das sich vollständig in meinem Körper ausgebreitet hat, lässt mich fliegen, auf Wolke 7 schweben. Ich kann noch nicht auf der harten, kompromisslosen Erde laden, wieder in der erbarmungslosen Realität ankommen, ich muss diesen besonderen, diesen einzigartigen Moment, diese unermesslich wertvolle Zweisamkeit, die sich so viel besser anfühlt als alles andere auf der Welt, noch weiter auskosten. Ich brauche einfach noch eine ausgeprägte Dosis Till, ehe ich mich dazu imstande fühle, meinen Freunden unter die Augen zu treten. Abrupt bleibe ich stehen, lasse seine große, weiche Hand jedoch nicht los, umfasse sie sogar ein bisschen stärker. Till geht noch einen kleinen Schritt, bis er bemerkt, dass ich nicht mehr neben ihm herlaufe. Er dreht sich mit einem verwirrten Ausdruck in seinem makellosen Gesicht zu mir um, seine blaugrünen Augen funkeln mich nach einer Antwort suchend an. Bevor die unausgesprochene Frage, die ich ihm schon längst von seinen für mich immer mehr ergründbaren Augen ablesen konnte, seine durch den Wind leicht trockenen Lippen verlässt, habe ich die minimale Lücke zwischen uns beiden geschlossen, umklammere ihn fest mit meinen schmalen Armen, drücke mich nah an seine muskulöse Brust, vergrabe mein kaltes Gesicht in seiner warmen Halsbeuge. Im ersten Moment merkt man Till seine Überforderung deutlich an, jeder einzelne Muskel seines athletischen Körpers spannt sich an, seine sonst so tiefen Atemzüge werden flacher, abgehackter, schneller. Nach wenigen Sekunden scheint er sich jedoch an die plötzliche Nähe, an den engen, intensiven Köperkontakt zu gewöhnen. Er entspannt sich merklich, seine Muskelstränge werden wieder weicher, seine Atmung beruhigt sich, normalisiert sich, verfällt in einen regelmäßigen Rhythmus, in seinen Rhythmus. Im Widerspruch dazu steht aber sein nervös klopfendes Herz, es schlägt in einem undefinierbaren Beat, rast, stolpert, hüpft. Da er seine kräftigen Arme ebenfalls um meinen zierlichen Körper geschlungen hat, mich noch näher an sich gezogen hat, spüre ich jede klitzekleine Regung seines pochenden Muskels in seiner breiten Brust Mir ist bewusst, dass sein außer Takt schlagendes Herz eine Reaktion auf mich, auf meine pure, meine bloße Anwesenheit, auf unsere gegenseitige Liebe ist. Und das macht mich total verrückt, lässt mich innerlich durchdrehen, lässt mich die Kontrolle über meinen eigenen Körper, über meine Handlungen, meine Gefühlsregungen verlieren. Ich bin seiner Wirkung auf mich, seinen Einfluss auf meine Sinne, meine Empfindungen, hilflos ausgeliefert wie eine Marionette, die von einer fremdgesteuerten Kraft gelenkt wird und in dem Fall sind es meine berauschenden Gefühle für ihn, die mich agieren lassen, mich antreiben, mich noch stärker in seine wärmespendenden, wohligen Arme kuscheln lassen, die genau wissen, was sich gut für mich anfühlt, was ich brauche, was richtig für mich, für uns ist. Sein betörender Duft, seine angenehme Wärme, diese vollkommene Nähe, die innigen Berührungen unserer zärtlichkeitssuchenden Körper, die eine so gewaltige Anziehungskraft aufeinander ausüben, hypnotisieren mich, beamen mich wieder in ein ganz anderes Universum, auf unseren eigenen Planeten, auf dem nur wir beide existieren, auf dem wir geschützt von kritischen, verurteilenden, vernichtenden Blicken unsere tiefe, fesselnde, feurige Liebe, unsere leidenschaftliche, aber doch so zärtliche Zuneigung ausleben können, einfach nur wir sein können. Ich kralle meine kurzen Nägel in den dicken Stoff seines Pullis, umklammere ihn mit aller Kraft, will ihn nie wieder loslassen, will nie wieder ohne ihn sein. Ich kann mir ein Leben ohne Till, meiner großen Liebe, meinem Gegenpol, meinem Seelenverwandten einfach nicht mehr vorstellen, ich brauche ihn mehr als alles andere. Wir stehen hier in Frankreich, am weiten Sandstrand, mitten in den hohen Dünen, die heftigen Windböen wirbeln den Sand um unsere Füße, die dunklen, tiefliegenden Wolken, das laute Rauschen des wilden Ozeans, die vom vielen Regen ganz feuchte, abgekühlte Meeresluft verleihen diesem mitreisenden Moment, diesem eindringlichen Augenblick, der nur für Till und mich, nur für uns bestimmt ist, etwas geheimnisvolles, etwas unvergleichbares, etwas, was uns für alle Ewigkeit verbinden wird, uns vereint gegen den Rest der Welt. Eine einprägsame Erinnerung, die wir nie wieder vergessen werden, die uns noch einen Schritt auf uns zu, in Richtung gemeinsamer Zukunft, gehen lässt. Unsere Umarmung wird immer kraftvoller, immer hingebungsvoller, immer intimer. Wir umschlingen uns so eindringlich, so hitzig, werden zu einem, unsere Körper, unsere sonst füreinander schlagenden Herzen verschmelzen, klopfen nun im Einklang, drücken unsere tiefe Zusammengehörigkeit, unsere einzigartige Liebe aus. Aus unserer verzweifelten Umklammerung spricht die Angst. Angst, dass dieses eindrucksvolle Momentum auf einmal vorbei sein kann, dass wir uns das alles, unsere gegenseitige Zuneigung, unsere unendliche Verbundenheit nur einbilden, dass der andere im nächsten Moment nicht mehr da ist, für immer weg sein kann, dass die zarte Seifenblase, unsere eigene, so guttuende Oase, die sich um uns gebildet hat, zerschellt, wenn wir wieder in der rücksichtslosen Wirklichkeit, auf dem kantigen Boden der Tatsachen landen, dass wir aus diesem fantastischen Wunschtraum gerissen werden, wenn wir mit der schonungslosen Realität, mit unseren skeptischen Mitmenschen konfrontiert werden, die unser bedingungsloses Glück, unsere tiefe Zuneigung, das dicke, unsichtbare Tau, das sich streng um uns gewickelt hat, uns dicht zusammen zieht, uns eng aneinander fesselt, nicht sehen können, für die wir immer noch der bestimmende, arrogante Chef und der angriffslustige, leicht reizbare Kampfhund sind, die beim besten Willen nicht zusammen passen, die sich gegenseitig nicht gut tun, die einfach nicht füreinander bestimmt sind, die nie ein liebevolle Beziehung führen können. Jedoch beweist mir unsere intensive, haltsuchende Umarmung, unsere gleich, in einem einheitlichen Rhythmus schlagenden Herzen, die deutliche Gänsehaut in meinem Nacken, auf meinen Armen, eigentlich auf meinem ganzen Körper, die extreme Wirkung, die ich auf ihn habe, seine unbewussten, aber so ausgeprägten Reaktionen auf mich, auf meine reine Anwesenheit, auf unsere zärtlichen Berührungen, etwas anderes: Wir gehören zusammen. Auch, wenn wir nie ein Vorzeigepaar, das perfekte Paar sein werden, unsere Zuneigung ist grenzenlos, unsere Liebe bedingungslos, unsere Verbundenheit endlos. Wir sind in dem Puzzle des Lebens des anderen, das letzte fehlende Teil, das man zur vollkommenen Vollendung benötigt, wir brauchen uns, unsere unermessliche Liebe, die so viel wohltuende Geborgenheit spendet, können uns ein Leben ohne den anderen nicht mehr vorstellen, sind aufeinander angewiesen, sind schon längst Stück für Stück zusammengewachsen, werden immer mehr zu eins, zu einem liebenden Paar. Diese einmalige Situation, seine starken Arme, seine absolute Nähe, seine wohlige Wärme, sein verführerischer Duft, unsere beharrliche Umarmung, die so viel Sicherheit, so viel Behütetheit, so viel Schutz ausstrahlt, lässt mich hoffen, schenkt mir den unermüdlichen Mut, füllt mich mit maßloser Kraft, hemmungsloser Zuversicht und ausgesprochener Energie, dass unsere neu gewonnene Zweisamkeit, die undefinierbar schönen Gefühle, die zwischen uns, um uns schweben, so wertvoll, so leicht zerbrechlich wie ein rohes Ei sind, die unangenehme Auseinandersetzung mit der stahlharten Tatsächlichkeit, mit uns gegenüber nicht immer gut gesinnten Menschen, gut überstehen, vielleicht sogar gestärkt aus dieser unausweichlichen Konfrontation herausgehen, dass wir zueinander finden, dass wir den versteckten, kleinen, steinigen Weg in Richtung gemeinsamer Zukunft einschlagen können, ihn Hand in Hand bestreiten können. Ich atme noch einmal tief durch, sauge seinen verzaubernden Geruch bis in die letzte Ecke meiner Lunge auf, will ihn nie wieder missen müssen, will ihn für immer in meiner Nase, in mir haben. Dann löse ich mich langsam, ganz vorsichtig aus unserer engen Umklammerung, als ob ich irgendetwas kaputt machen könnte, werde sofort von seinen strahlenden Augen gefangen genommen, bin nicht mehr in der Lage mich zu bewegen, geschweige denn, mich weiter von ihm zu entfernen. Er fesselt mich mit seinem ausdrucksstarken, liebevollen Blick an sich, lässt mir keine Möglichkeit mich dagegen zu wehren. Aber das will ich doch gar nicht, ich will nur ihn. „Martha, danke. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie viel mir dieser Augenblick, das zwischen uns, bedeutet, wie viel du mir bedeutest", er stockt, redet einfach nicht weiter, fängt an zu stottern: „Komm lass uns zu den anderen gehen, die warten bestimmt schon auf uns." Und schon hat er sich in Bewegung gesetzt, umfasst meine kleinere Hand, zieht mich mit, lässt mir keine Chance irgendetwas auf seine gefühlvollen Worte zu erwidern.

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