Kapitel 31

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Mein Blick schweift gedankenverloren über diesen bilderbuchhaften See, bis Till in mein Blickfeld kommt. Er trägt ein gewaltiges rotweißes SUP-Board unter seinem rechten Arm und in der linken Hand hält er ein langes Paddel. Ich beobachte ihn, wie er bis zum Ufer vorgeht, das Board vorsichtig auf der Wasseroberfläche ablegt und den ersten Versuch startet auf diesem wackligen Etwas zu stehen. Und was für eine Überraschung, er schafft es auf Anhieb. Ein echter Profisportler kann halt einfach alles. Er paddelt schon seit mindestens 10 Min mit kräftigen Schüben über das spektakuläre Binnengewässer. Ich habe ihn für keine Sekunde aus den Augen gelassen, ich kann meinen starrenden Blick nicht von ihm losreisen, dafür schaut es zu gut aus, wie er nur in kurzer schwarzer Badeshorts über den funkelnden See schwebt. Sein nackter Oberkörper fasziniert mich. Wie ich wieder einmal feststellen muss, der ganze Sport, den er schon seit Jahren treibt, hat sich ausgezahlt. Seine breite Brust, der definierte Bauch, auf dem sich sogar ein leichtes Sixpack abzeichnet, die starken Arme, die ausgeprägte Schultermuskulatur. Er schaut einfach verboten heiß aus. Mein Blick klebt an ihm, sein umwerfendes Aussehen hält mich gefangen. Mit jeder Minute die verstreicht, merke ich, wie die Pulsader an meinem Hals heftiger ausschlägt, wie meine Atmung immer ungleichmäßiger wird und passend zu seinen Bewegungen hin und wieder mal kurz aussetzt, wie mein Herzschlag immer schneller und unrhythmisch wird. Mir wird heiß, unerträglich heiß. Ich kann es nicht leugnen, dieser ausgesprochen attraktive Typ macht mich so unglaublich an. „Hey Martha, du frisst ihn ja fast mit deinen Blicken auf, fehlt nur noch, dass du anfängst zu sabbern!", provoziert mich Nele mit leiser Stimme, während sie sich neben mich auf das blaue Handtuch setzt. „Boooaahh Nele, halt bitte deine Klappe! Das muss doch nicht gleich jeder mitbekommen!", zische ich leise, jedoch ziemlich genervt in ihre Richtung. „Dann solltest du ihn vielleicht nicht so offensichtlich angaffen. Gerade hätte ein blinder Frosch gemerkt, dass du auf Till stehst und dir nichts Sehnlicheres vorstellen kannst, als ihn zu küssen.", entgegnet mir Nele mit einem frechen Grinsen auf den Lippen. Ich blicke sie geschockt an. „Bin ich wirklich so schlimm?", frage ich Nele verzweifelt. „Mehr als das. Man sieht die Herzen regelrecht in deinen Augen, wenn du ihn anschaust oder besser gesagt anstarrst.", antwortet die Blondhaarige neckisch auf meine rhetorische Frage. Ich vergrabe mein Gesicht in den Händen und stöhne laut auf. Nele lacht, sage ich doch, sie ist eine schlechte Freundin, streichelt mir dann aber beruhigend über meine Schulter. Okay, vielleicht ist sie doch nicht so schlimm. „Martha, hast du Bock es auch mal auszuprobieren. Das macht echt Spaß.", höre ich auf einmal Tills tiefe Stimme genau vor mir. Scheiße, was will der denn jetzt von mir. Ich löse mein improvisiertes Versteck auf, senke meine Hände, erhebe meinen Blick. Boom! Ich sehe direkt in seine strahlenden Augen, die mich jedes Mal auf neue verzaubern, mich in ihren Bann ziehen. Ich verliere mich in ihnen, sie fesseln mich, lassen mich nicht mehr los. Schlagartig breitet sich das wohlbekannte Kribbeln bis in die letzte Faser meines Körpers aus. Er macht mich so nervös. „Bekomme ich heute noch ne Antwort oder bist du zu sehr damit beschäftigt mich anzustarren. Ich würde das natürlich verstehen.", macht sich Till nach einer kurzen Zeit bemerkbar. Oh Hilfe! Ist das schon wieder peinlich! Wie war das nochmal mit Till durcheinanderbringen, klappt ja echt super. Nele hat recht, es fehlt nur noch, dass ich anfange zu sabbern. Mit seinem angeberischen Spruch hat er jedoch geschafft, wieder die alte Martha in mir herausgekitzelt. Ich stehe kraftvoll auf und gehe in Richtung kühlem See. Das neu gewonnene ich, die eigentliche normale Martha hat natürlich noch einen frechen Konter auf den Lippen: „Selbstverliebt bist du ja gar nicht. Träum weiter. Auch wenn du anscheinend gewöhnt bist, dass dir die ganze Frauenwelt zu Füßen liegt, muss ich dich leider enttäuschen. So ein bisschen nackte Haut macht bringt mich noch lange nicht aus der Fassung. Selbst wenn, der Typ heißer als die Hölle ist." Oh mein Gott, habe ich das gerade wirklich gesagt. Warum kann ich nie denken, bevor ich rede? Plötzlich spüre ich einen warmen Atem in meinem Nacken, postwenden bildet sich eine starke Gänsehaut auf meinem Hals, die sich in Rekordzeit auf meinem ganzen Körper ausbreitet. Sein einzigartiger Duft umgibt mich, lässt meine Knie weich werden, verunsichert mich. „Du findest mich also heißer als die Hölle! Gut zu wissen!", wispert er dicht an meinem Ohr. Und dann ist er auch schon wieder weg und damit auch die Wärme, die sich durch seine absolute Nähe in mir ausgebreit hat. Abermals stehe ich einfach nur da, starre ins nichts, bin nicht fähig mich zu bewegen. „Erde an Martha. Hast du einen Geist gesehen oder hat es doch einen anderen Grund, warum du so neben der Spur bist?", frägt er mich mit einem kecken Lächeln auf den Lippen. Irgendetwas läuft gerade gewaltig schief, eigentlich wollte ich Till doch irre machen, nicht er mich. Wieso hat dieser Idiot nur so eine gigantische Wirkung auf mich? Das ist mehr als unfair. Obwohl, war seine Reaktion vorhin im Auto auf meine Berührungen nicht minder stark? Ich darf mich von diesem Idioten nicht so leicht durcheinanderbringen lassen. Keine Ahnung, wo auf einmal diese Entschlossenheit herkommt, jedoch gehe ich mit festen Schritten auf Till zu, der das Board gerade in die beste Position für einen angenehmen Aufstieg bringt. Ohne ein Wort zu verlieren, streichele ich sanft seinen gesamten Rücken entlang, von seinen athletischen Schultern bis zu seiner schmalen Hüfte. Seine weiche, von der Sonne gebräunten Haut fühlt sich so gut unter meinen Fingern an. Ich will mehr davon. Ruckartig schreckt Till hoch, dreht sich stürmisch zu mir um. Er atmet stoßweise, viel zu schnell, ohne Rhythmus. Seine wunderschönen Augen sind weit aufgerissen. Und auch die feinen abstehendem Härchen auf seinen Unterarmen, die nur von einer Gänsehaut ausgelöst werden können, entgehen mir nicht. Hach, und wie extrem er auf mich reagiert. Ich finde Gefallen, an meiner neugewonnenen Machtposition, will sie noch weiter ausreizen. Ich stelle mich auf meine Zehenspitzen, lege meine zierlichen Hände auf seine durchtrainierte Brust, komme mit meinem Mund seinem Ohr immer näher. Ich spüre unter meinen schlanken Fingern, wie sein Herz, mit jedem Millimeter weniger zwischen unseren Gesichtern, anfängt schneller, stärker zu pochen, ohne jeglichen Beat. Ich flüstere mit belegter Stimme in sein linkes Ohr: „Und du, hast du eins von Pits Aliens gesehen oder hat es einen anderen Grund, warum du so nervös bist?" Ich bemerke, wie er die Luft stoßweise aus seinen Lungen presst, wie sich jeder einzelne Muskel in seinem Traumkörper anspannt. Ich habe ihn in der Hand, habe gerade die Kontrolle über ihn. Wir sind uns so nah, Wange an Wange, können den Atem des jeweils anderen spüren. Ich sauge diesen Augenblick, seinen berauschenden Duft in mich auf. Diese spannungsvolle, ja fast erregende Situation, lässt mich natürlich auch nicht kalt. In meinem Körper bricht eine Flut an Gefühlen und Empfindungen aus, sie überschlagen sich, lassen mich fliegen, lassen uns gemeinsam in weit entfernte, in unsere eigene Sphäre schweben. Wir genießen beide diesen unglaublich intimen Moment, da bin ich mir sicher, dass fühle ich. Trotzdem muss ich mich von ihm lösen, aus dieser Intimität ausbrechen. Ich habe zwar die Kontrolle über ihn gewonnen, verliere sie jedoch stetig über mich selbst. Das würde nur in einer Peinlichkeit auf meine Kosten enden und diese Blöße muss ich mir nicht geben. Schweren Herzens gehe ich ein paar kleine Schritte zurück, schau ihm dabei direkt in seine funkelnden Augen, sie sind trüber als sonst. In das anziehende blaugrün, hat sich ein dunkler Farbton, hat sich Lust gemischt. Der Blick in seine lustverhagelnden Augen, raubt mir den Atem, lässt mein Herz höherschlagen, macht mich komplett verrückt. Wenn ich jetzt nicht sofort handele, mache ich irgendetwas unüberlegtes, etwas was ich mir so inständig wünsche. Ich will ihn endlich küssen, seine weichen Lippen auf meinen spüren, ihn schmecken, aber das geht nicht, noch nicht. „Was ist jetzt mit diesem komischen Paddle-Dings? Wird das heute noch was?", frage ich ihn stockender, als eigentlich gewollt. Hilfe, dieser attraktive Typ, die massive Anziehungskraft zwischen uns beiden, wirft mich echt vollends aus der Bahn. Allerdings beruht das wohl auf Gegenseitigkeit, auch Tills Antwort kommt nur stotternd über seine perfekten Lippen: „Okay, steige vorsichtig auf das Brett, erst auf die Knie, wenn du dich sicher fühlst, kannst du versuch, dich aufrecht hinzustellen. Aber kein Stress, ich bin die ganze Zeit bei dir. Ähhh....und halte das Board." Ich muss leicht lächeln, es ist einfach zu süß, wie er sich verlegen am Hinterkopf kratzt. Seit wann, ist denn Till bitte so fürsorglich? Ich habe das Gefühl, dass ich mich mit jeder neu entdeckten Seite an ihm, noch mehr in diesen sportbesessenen Trottel verliebe. Zum Thema Sport, langsam klettere ich auf dieses wacklige Teil, wie es Till vorgeschlagen hat, erst mit den Knien und dann probiere ich behutsam aus, aufzustehen. Dank seiner muskulösen Schulter, an die ich mich klammere, die tausend Stromschläge durch mich hindurch schießen lässt, stehe ich wenige Minuten später sicher auf dem Board. „Hey, das hast du echt gut gemacht, hätte ich dir gar nicht zugetraut. So und jetzt nimm das Paddel und versuche vorwärtszukommen, wie das geht müsstest du ja wissen, du hast mir ja vorhin ziemlich interessiert zugesehen." Ich erkenne an dem Klang seiner Stimme, dass er grinst, wahrscheinlich dieses typische freche Till Lächeln, das mich egal in welcher Situation, schwach werden lässt. Die Hitze steigt in meine Wangen auf, verfärbt sie rot. Er hat gemerkt, dass ich ihn bei seiner Runde über den See angestarrt habe. Das ist mir so unglaublich peinlich. Mir fällt kein guter Konter ein, Till hat mein Gehirn wieder einmal vollständig vernebelt. Deswegen nehme ich ihm einfach das Paddel aus seiner Hand und rudere auf den See hinaus. Am Anfang noch ziemlich holprig jedoch wird es mit der Zeit immer besser. Es fängt an richtig Spaß zu machen auch wenn ich Tills brennende Blicke in meinem Rücken spüre, sie mich auch in 30 Meter Entfernung nervös machen, mich innerlich durchdrehen lassen. Trotzdem nehme ich mir vor so etwas öfter zu machen. Ich paddele über das klare Wasser, erkunde den wunderschönen See, bis mich meine Mitschüler rufen, da sie wieder zurück zum Campingplatz wollen. Ich habe gar nicht gemerkt, dass es schon so spät ist. Die traumhafte Umgebung, die unberührte Natur haben mich in ihren Bann gezogen, mich alles andere vergessen lassen. Auf dem Weg zurück schwärme ich gedanklich immer noch von diesem unvergesslichen Erlebnis, der fabelhaften SUP-Tour, langsam drängt sich jedoch wieder eine bestimmte Person in meinen Kopf, verscheucht die anderen Gedanken, dominiert sie. Till. Am Auto angekommen schmeiße ich meinen Rucksack so schnell wie möglich in den Kofferraum, um als erste in das Fahrzeug steigen zu können, um mich auf meinen Stammplatz setzten zu können. Ich habe die Hoffnung, dass sich Till wieder neben mich setzt, dass ich wieder seine Nähe spüren kann. Obgleich sie mich aus dem Konzept bringt, mich kirre macht, genieße ich sie mit vollen Zügen. Leider wird es daraus nichts, Nele lässt sich nämlich in diesem Moment auf den Platz neben mir fallen. Ich bin enttäuscht, maßlos enttäuscht. Nele scheint zu merken, dass ich von ihrer Anwesenheit nicht wirklich begeistert bin. Sie beugt sich zu mir und flüstert leise aber mit einem frechen Unterton in der Stimme: „So wie es eben zwischen euch am See gefunkt hat, könntet ihr es nicht lassen, euch während der Fahrt gegenseitig zu berühren. Und ich bin mir sicher keiner von uns hat Bock, euch bei euren Liebesspielen zu beobachten. Es ist also nur zu unserem Besten, auch zu deinem Besten." Ich werfe ihr nur einen bitterbösen Blick zu und schau dann aus dem Fenster.

5_Jahre_danachWo Geschichten leben. Entdecke jetzt