Kapitel 16

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Tills Sicht:

Ich wache früh am morgen auf, die Sonne ist gerade dabei auf zu gehen, um die Dunkelheit der Nacht zu vertreiben. Die Finsternis in meinem Kopf, aber vor allem die in meinem Herzen verziehen sich nicht, während es immer heller um mich herum wird. Meine Gedanken drehen sich die ganze Zeit im Kreis und der Mittelpunkt ist natürlich Martha. Normalerweise wird mein Körper von positiven Empfindungen überflutet, wenn ich an diese wundervolle Frau denke. Mein Herz fängt an wie verrückt zu schlagen, ein Kribbeln durchzieht mich, bis in die letzte Pore meines Körpers, ein unglaublich warmes Gefühl breitet sich in mir aus und wie von selbst formen sich meine Lippen zu einem dümmlich verliebten Grinsen. Und dann legt sich die bittere Erkenntnis auf mich wie ein tiefschwarzes Tuch. Martha und ich sind gerade Kilometer weit von einander entfernt. Und das alles nur wegen dieser dummen Rebecca. Wie ich diese scheiß Bitch hasse. Warum lässt mich dieser wahrgewordene Teufel nicht einfach in Ruhe? Sie hat es geschafft mit einem Anruf alles kaputt zu machen und dabei war doch alles so perfekt zwischen Martha und mir. Ich weiß nicht wie ich es die letzten 5 Jahre ausgehalten habe, ich vermisse meinen Kampfhund nämlich jetzt schon. Der Gedanke an Marthas Blick, als sie mir mit zittriger Stimme gesagt hat, dass meine „Freundin" angerufen hat, schnürt meinen Hals zu und lässt mich nur noch stockend atmen. Ich brauche unbedingt frische Luft. So leise wie nur irgendwie möglich verlasse ich das Zelt, um Viktor nicht aufzuwecken. Ihn habe ich ja schon gestern mit meinen Problemen vollgeheult und er war gar nicht begeistert von mir. Er hat mir zugegeben ganz schön den Kopf gewaschen und ich brauche jetzt sicher keinen, der mir schon wieder Vorwürfe macht, was für ein schlechter Mensch ich doch bin. Wenige Meter von dem Campingplatz entfernt ist ein dicker Baumstumpf auf dem ich mich jetzt niederlasse. Mit meinen Gedanken bin ich schon wieder bei Martha. Sie hat so schöne strahlend blaue Augen, die jedoch auch einen ziemlich verletzen Ausdruck annehmen können. Die Erinnerung an die Kälte und Lehre in ihren eisblauen Augen, lässt das Blut in meinen Adern gefrieren. Und es fühlt sich so an, als würde sie mit ihrem Blick mein Herz in ihre Hände nehmen und einmal fest zudrücken. Ich habe es aber auch nicht anders verdient. Ich bin so ein Idiot! Warum habe ich nicht von Anfang an mit offenen Karten gespielt? Langsam kommt wieder Leben in den Campingplatz. Die ersten scheinen schon wach zu sein. Ich kann aber noch nicht zurück. Ich brauche noch ein bisschen Zeit für mich, Zeit zum Nachdenken, Zeit um meine Gefühle und Emotionen herunterzuschlucken. Die anderen sollen ja nichts davon mitbekommen, wie fertig mich die ganze Sache macht. Eine halbe Stunde später, in der ich nur den großen Baum mit den vielen dunkelgrünen Nadeln angestarrt habe, finde ich die Kraft mich den fragenden Blicken meiner ehemaligen Mitschüler zu stellen. Es sitzen schon alle um den großen Holztisch, als ich nach einem kleinen Abstecher im Waschraum am Essplatz ankomme. Jemand fehlt, und das ist Martha. Wo ist sie? Warum ist sie nicht beim Essen? Ist alles okay bei ihr? Ich mache mir richtige Sorgen, während ich mich auf einen der freien Stühle setze, ein „morgen" in die Runde nuschele und dann einfach gedankenverloren Löcher in die Luft starre. Was ist mit Martha, gestern war sie doch beim Essen und auch bei der Bergtour dabei? Die Frage quält mich so sehr, dass ich sie Nele und Sibel stellen will. Als mein Blick aber zu den beiden Mädchen wandert, rutscht mir das Herz in die Hose. Die beiden schauen mich mit einem stechenden Blick an. Die sind wütend, richtig wütend und so wie es aussieht sind sie sauer auf mich. Ich kann sie ja irgendwie verstehen. Martha ist mit ihnen befreundet. Und, dass die Sache mit Rebecca scheiße ist, weiß ich auch. Jedoch waren die beiden gestern ganz normal zu mir. Martha kommt nicht Mal zum Essen, ihre beiden besten Freunde wollen mir am liebsten an die Gurgel gehen. Was um Himmels Willen ist gestern passiert? Mein Magen krampft sich schmerzhaft zusammen, und ein betäubendes Gefühl setzt sich in meiner Brust fest. Ich habe zwar gar keinen Hunger, jedoch versuche ich trotzdem eine Scheibe Toast mit Butter herunterzubekommen. Ich schaffe es aber nicht mich an den Unterhaltungen zu beteiligen, dafür halten mich meine trüben Gedanken viel zu stark gefangen. Die anderen haben anscheinend ausgemacht, dass wir zusammen an einen schönen Badesee in der Nähe von unserem Campingplatz fahren. Das erzählt mir zumindest Viktor, als wir gemeinsam zu unserem Zelt gehen, um uns für den Ausflug fertig zu machen. Eigentlich würde ich mich sehr über diesen Plan freuen. Ich liebe das Schwimmen, diese Schwerelosigkeit, mit der man im Wasser schwebt ist wirklich ein Gefühl von Freiheit. Gerade fühle ich mich jedoch alles andere als frei, wie auch mit einer tonnenschweren Ladung schlechtem Gewissen auf meinen Schultern. Auch wenn ich mich viel lieber in meinem Bett oder irgendwo alleine im Wald verkriechen würde, sitze ich jetzt hier auf meinem grauen Handtuch vor einer malerischen Kulisse. Der See ist ziemlich groß und liegt mitten im Wald, die Baumkronen spiegeln sich in dem türkisblauen Wasser. Überraschenderweise sind wir die einzigen Gäste an diesem Tag, das führt dazu, dass die Stimmung total friedlich ist. Meine ehemaligen Mitschüler haben sehr viel Spaß, sei es bei irgendwelchen Spielen im Wasser oder bei lustigen Erzählungen am Land. Ich beteilige mich an nichts. Ich sitze einfach nur da und denke an Martha. Sie ist nicht hier, Nele ist mit ihr auf dem Campingplatz geblieben mit der Begründung, dass es Martha nicht gut geht. Sie hat anscheinend irgendetwas Schlechtes gegessen. Jedoch weiß ich ganz genau, dass das nur eine billige Ausrede ist. Und ich der wahre Grund, wieso sie nicht mit ihren ehemaligen Klassenkameraden im kühlen Nass rumtollt, bin ich. Mit jeder Minute die verstreicht wird das Gewicht auf meinen Schultern schwerer, der Druck auf meiner Brust wird langsam, aber sicher unerträglich. Ich bin jetzt lang genug einfach so dagesessen. Ich muss jetzt unbedingt wissen, was genau mit meiner Martha los ist. Ich nutze die Chance, als alle bis auf Sibel mal wieder im Wasser sind und eine wilde Wasserschlacht veranstalten. Ich stehe auf, atme tief durch, damit versuche ich das bedrückende Gefühl in meiner Brust loszuwerden, das funktioniert natürlich nicht. Mit schleichenden Schritten gehe ich auf Sibel zu. Hoffentlich spricht sie mit mir. „Hey, Sibel. Kannst du mir vielleicht sagen, was mit Martha los ist? Wie geht es ihr? Ich mach mir echt Sorgen um sie. Ist gestern irgendwas passiert?", frage ich sie mit stockender Stimme, während ich mich neben sie setze. „Du bist passiert. Du hast ihr das Herz gebrochen und dafür sollte ich dich eigentlich verprügeln", zischt sie mir wütend entgegen. Ich bin geschockt, ich wusste, dass es alleine meine Schuld ist, dass es ihr schlecht geht, aber es so ins Gesicht gesagt zu bekommen, ist noch einmal eine ganz andere Hausnummer. Ich habe ihr das Herz gebrochen. Ich habe sie verletzt, dabei liebe ich dieses bezaubernde Wesen doch. Bevor ich ganz in meinen Gedanken versinke, führt Sibel ihre Wutrede weiter: „Du hast ihr Hoffnungen gemacht, nur um danach alles wieder zu zerstören! Du hast sie fast geküsst, nur um sie danach wieder loszuwerden, weil dich ihre Anwesenheit nervt!" Was sagt sie da, das stimmt doch alles nicht. Wie kommt Sibel auf so einen Mist? Genau diese Frage stelle ich dann der Braunhaarigen auch. „Sie hat dein Gespräch mit Viktor mitbekommen", ist ihre plumpe Antwort. Jetzt fällt es mir wie Schuppen von den Augen. Das ist alles ein riesen großes Missverständnis. Ich habe mich bei Viktor über Rebecca ausgekotzt, die lässt mich einfach nicht mehr in Ruhe und nervt mich tierisch. Aber doch nicht Martha. Allein von der Vorstellung, wie Martha durch meine lockigen Haare wuschelt, bekomme ich eine Gänsehaut, die mich erschaudern lässt. Ich muss das unbedingt klarstellen. „Sibel, hör mir zu. Ich habe mit Viktor nicht über Martha gesprochen, sondern über Rebecca. Diese Bitch nervt mich total!", weiter komme ich nicht, da unterbricht sie mich schon: „Ich glaube dir kein Wort". Und schon ist sie auf dem Weg in Richtung Wasser. Sie würdigt mich keines Blickes, sie lässt mich einfach links liegen. Das hat gesessen. Die Last auf meinen Schultern hat sich in kürzester Zeit verdreifacht. Wenn mir nicht Mal Sibel, die Gutmütigkeit in Person glaubt, wie soll es dann erst bei Martha sein. Das letzte Fünkchen Hoffnung in mir erlischt, ich werde das doch nie wieder geradebiegen können. Und an allem ist nur diese Schlampe von Rebecca schuld. Allein, wenn ich ihren Namen höre, könnte ich kotzen. Ich fühle mich wie betäubt, ich kann mich nicht bewegen, jede Faser meines Körpers schmerzt bei dem Gedanken Martha für immer verloren zu haben.

5_Jahre_danachWo Geschichten leben. Entdecke jetzt