Kapitel 19

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Als ich nach der kurzen aber erholsamen Nacht meine Augen aufschlage, huscht mir ein Lächeln über das Gesicht. Endlich konnte ich mal wieder durchschlafen ohne Albträume, ohne Heulkrämpfe, auch Till hat mich in meinen Träumen in Ruhe gelassen. Es fühlt sich so gut an, mal wieder mit Motivation und nicht mit trübseligen Gedanken in den Tag starten zu können. Mir ist durchaus bewusst, dass mit Till noch nicht alles geklärt ist. Mein Vertrauen ihm gegenüber ist immer noch ziemlich angebrochen. Aber irgendwie glaube ich ihm, ich will ihm glauben, ich muss ihm einfach glauben. Gleichzeitig sollte ich aber auch mein Innerstes, mein Herz, vor weiteren schmerzhaften Verletzungen, vor ihm schützen. Die kleinen Fünkchen Hoffnung schimmern ganz schwach und können durch die leichteste Erschütterung wieder erlöschen, jedoch hellen sie meine Stimmung extrem auf. Und das führt dazu, dass ich mich an diese Hoffnungsschimmer wie ein Rettungsboot klammere, dass tut mir in diesem Moment einfach nur gut. Aber zu mehr bin ich gerade nicht imstande, ich kann nicht auf ihn zu gehen, dafür hat er mich viel zu stark verletzt, ich brauche noch Abstand und vor allem brauche ich noch Zeit. Zeit heilt ja bekanntlich alle Wunden, heißt es zumindest. Meine überraschend gute Laune entgeht natürlich Sibel und Nele nicht. Sie fragen jedoch nicht, warum ich auf einmal freiwillig mit zum Frühstück komme oder warum ich plötzlich wieder ein schwaches Lächeln auf den Lippen habe. Sie freuen sich einfach, dass die alte Martha wieder ein Stückchen da ist. Nachdem wir unser alltägliches Morgenritual hinter uns gebracht haben, sind wir gerade gemeinsam auf dem Weg zum Frühstück. Und wie es der Zufall will, laufen wir genau Viktor und Till in die Arme, die den gleichen Plan wie wir haben. Ich spüre Sibels und Neles mitfühlende Blicke auf mir, als wir zu den beiden Jungs aufschließen. Bei Tills Anblick bricht in mir wieder das totale Gefühlschaos aus, selbst mein Herz ist sich nicht einig , ob es vor Freunde so schnell schlägt oder ob es von den immer noch blutenden Einstichstellen des Schwertes schmerzt. Auch mein restlicher Körper rebelliert, mir wird schlecht, meine Atmung funktioniert nur noch stockend, mir wird heiß und trotzdem überzieht mich ein Kälteschauer und tief in meinem Bauch stellt sich, zwar noch ganz schwach, wieder das bekannte verliebte Kribbeln ein. Nicht nur meine Empfindungen, auch meine Gedanken spielen verrückt. Einerseits kann ich mir nichts besseres vorstellen als in Tills Arme zu laufen und seinen festen, warmen und so unglaublich gutriechenden Körper an mich zu ziehen. Andererseits kann ich nicht schnell genug wieder Abstand zwischen uns beide bringen, die gerade vorherrschenden drei Meter sind eindeutig zu wenig. Angriff ist die beste Verteidigung. Man, wie ich diesen blöden Spruch hasse, vielleicht ist er jedoch jetzt die beste Taktik für mich. Einfach so tun als ob alles normal wäre, das ist meiner Meinung nach der allerbeste Schlachtplan. Deswegen ignoriere ich Sibels und Neles Blicke, werfe Viktor und Till ein „Guten Morgen" zu und bin dann auch schon an den beiden Jungs vorbei gelaufen. Ich muss ehrlich sagen, ich bin schon ein bisschen stolz auf mich, das habe ich super hinbekommen. Die brennenden Blicke auf meinem Rücken bestätigen meine Annahme. Rike, die auf einmal vor mir steht, holt mich aus meinen Gedanken: „Guten Morgen, Martha. Toll, dass du auch da bist. Ich und bestimmt auch Moritz freuen uns mega. Hier, ich hab was für euch. Setzt den bitte auf, das wäre so schön." Und schon hält sie mir und den anderen, die in der Zeit auch am Frühstückstisch angekommen sind, jeweils einen total bunten und zugegebenermaßen extrem hässlichen Partyhut vor die Nase. Aber was macht man nicht alles um seinen ehemaligen Mitschüler, auch wenn ich glaube, dass die Idee eher auf Rikes Mist gewachsen ist, glücklich zu machen. Trotzdem ziehe ich mir dieses komische rot-gelbe Ding über den Kopf und sofort fühle ich mich lächerlich. Ein Blick nach links zeigt mir, dass es den anderen nicht wirklich anders geht. Till sieht nicht gerade begeistert aus, das lässt mich schmunzeln, irgendwie schaut er mit dem Monstrum auf dem Kopf ziemlich süß aus. Was denke ich hier eigentlich schon wieder? Als ich es endlich schaffe meinen Blick von Till loszureißen, bemerke ich erst wie anders es hier aussieht. Ein paar meiner alten Klassenkameraden, ich gehe mal stark davon aus, dass Rike irgendwie mit drinnen steckt, haben in der Nacht unseren Platz geschmückt. Überall hängen jetzt farbenfrohe Girlanden und Luftballons, der Tisch ist mit Tonnen an greller Deko überdeckt und in der Mitte steht ein riesiger Geburtstagskuchen. Also ich bin mir jetzt wirklich nicht mehr sicher, ob Moritz 21 oder doch erst 12 Jahre alt wird. Alle sind schon da, außer Moritz. Und das ist keine Überraschung, er ist eigentlich immer überall der letzte, manchmal wird er von mir abgelöst, aber sonst geht der erste Platz von hinten immer an ihn. Wir warten bestimmt schon seit 5 Minuten, als er langsam schlendernd um die Ecke biegt Sofort fangen wir an voller Inbrunst „Happy Birthday" zu singen. Das dabei nicht alle Vögel tot von den Bäumen fallen ist echt ein Wunder, mit unserem engelsgleichen Gesang könnte man Leichen wieder zum Leben erwecken. An Moritz' Stelle wäre ich schreiend weggelaufen. Er freut sich jedoch sehr über unsere Überraschung Ich bilde mir sogar ein, dass seine Augen kurz verräterisch feucht werden. Nach unserer unverwechselbaren Gesangseinlage und einer Runde Glückwünsche für Moritz sitzen wir schon alle mit vollem Mund am Tisch. Es gibt ein richtiges Geburtstagsfrühstück mit ganz vielen Leckereien und für mich natürlich das allerwichtigste, PFANNKUCHEN. Wenn es jemand mit meinen heißgeliebten Pfannkuchen aufnehmen kann, dann ist es Till, der natürlich mir gegenüber sitzt. Wo soll er denn auch sonst sitzen? Und meinen Blick zieht er mal wieder magisch an, so als wären er und meine Augen zwei Dipole. Seit einiger Zeit herrscht gefräßige Stille, in die Cäcilia plötzlich fragt: „Was machen wir eigentlich heute?". „Ich bin dafür, dass Moritz entscheidet, wie wir unseren Tag verbringen. Es ist ja schließlich sein Ehrentag.", antwortet Rike schmatzend. Wir nicken alle synchron. Moritz überlegt kurz, bis er mit einem fetten Grinsen im Gesicht vorschlägt: „Ich hätte richtig Bock auf ein Basketballmatch und hier auf der Anlage gibt es auch einen sehr schönen Platz. Also lasst uns Basketball spielen." Mit diesem Vorschlag hat keiner gerechnet, jedoch findet jeder die Idee ziemlich cool, auch ich, der Körperklaus. Während wir die Reste des königlichen Frühstücks essen, machen wir aus, dass wir uns in einer halben Stunde in Sportklamotten auf dem Basketballplatz treffen.

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