Geschockt starre ich diese fremde Person an, die gerade diesen wundervollen, berauschenden, unheimlich intimen Moment zwischen Till und mir zerstört hat. Ich bin nicht fähig mich zu bewegen, stehe stocksteif, wie zu einer Salzsäule erstarrt, da. Meine Gedanken rasen durch meinen Kopf, viel zu schnell, hin und her. Mein Herz pocht, mein Puls rast. Ich weiß nicht, was ich fühle, weiß nicht was gerade in mir, was gerade mit mir, passiert. Aber ich bemerke, wie sich die heiße Wut glühend in meinem Körper ausbreitet, wie ich langsam richtig sauer werde, wie ich meinen Groll nicht mehr lange vor den anderen verstecken kann, wie der Kampfhund sich versucht die Oberhand über mein Handeln zu erbeißen. Und ich vermisse ihn, ich vermisse Till, seine Nähe, seine feste, muskulöse Brust an meinen Rücken, die wohlige Wärme, die einnehmende Ruhe, die er, sein perfekter Körper ausstrahlt, die er an mich abgibt, wenn wir uns so nah sind, wie noch vor wenigeren Augenblicken. Jetzt steht er nicht mehr hinter mir, sondern an meiner linken Seite, ganz eng, ganz dicht und trotzdem berühren wir uns nicht, ich kann ihn, seine erhitzte Haut nicht spüren, verzehre ich mich nach ihm, nach seinen Berührungen, nach seiner ungeschmälerten Aufmerksamkeit, nach unser ungeteilten Zweisamkeit. Ein weiterer Indikator, ein weiteres Holzstück, das den brennenden, lodernden Zorn auf die drei unbekannten Menschen, auf deren Bekanntschaft ich auch Trost verzichten konnte, zu einem riesigen, züngelnden Feuer entwickelt, das mein Blut zum Kochen bringt, das dazu führt, dass sich der ätzende Unmut rasend schnell in meinem vollständigen Körper ausbreitet, von den Haarspitzen bis zu den Zehen, alles ist angespannt, alles steht unter Höchstspannung, alles ist glutheiß, alles brodelt und droht bei der kleinsten Erschütterung zu platzen, zu reißen, wie ein lavaspuckender Vulkan auszubrechen. Da hilft auch das kühle Salzwasser des Atlantiks nicht mehr, das immer noch in kleinen sanften Wellen meine Hüfte umspielt, als ob nichts gewesen wäre, als ob immer noch Till, seine pure Anwesenheit, unsere flammende Leidenschaft, die heftige Anziehungskraft, die uns wie ein reißender Fluss mitzieht, der in einem mächtigen Strudel aus heftiger Sehnsucht, bodenloser Begierde, endlosem Begehren endet, aus dem wir keine Chance haben uns zu befreien, aus dem wir beide keine Möglichkeit finden aufzutauchen, weder er noch ich, wir müssen uns dieser gewaltigen Kraft einfach hingeben, uns dem anderen hingeben, uns von ihr mitreißen lassen, für die feurige Hitze in mir verantwortlich ist und nicht mein beißender Zorn auf diese aufgeblasenen möchtegern Tussis vor mir. Wie von selbst scannen meine Augen den weiblichen Hauptübeltäter, genau vor mir, ab. Sie ist umwerfend, bildhübsch, trotz ihrer recht kleinen Körpergröße. Hellbraune seidig glänzende Haare, die in leichten Wellen über ihre Schultern fallen, blaue, stechende Augen, feine, wunderschöne Gesichtszüge, die sie wie ein Engel erscheinen lassen, so unschuldig, so rein. Ein eindrucksvoller Körper, der durch ihren türkisen Bikini hervorragend in Szene gesetzt wird, super sportlich, aber noch nicht zu durchtrainiert, einfach perfekt. Dieses unbekannte Wesen ist der Traum einer Frau. An ihrer Seite stehen zwei weitere, nicht minder schöne Frauen. Die Linke hat blonde schulterlange Haare, die ihre smaragdgrünen Augen auf eine ganz besondere Weise zum Leuchten bringen. Natürlich ist sie auch mehr als sportlich, darauf lässt zumindest ihr perfekt trainierter Körper schließen, den sie selbstverständlich mit einem sehr aufreizend geschnittenen Badeanzug betonen muss. Auch die dritte Person in Bunde schaut aus wie ein makelloses Sportmodel. Definierter Body, bezauberndes Gesicht, wunderschöne pechschwarze Haare, die ihrem Auftreten einen ganz besonderen, ein wenig mysteriösen Charme geben. Ich kann gar nichts dagegen tun, diese wuchtigen Gefühle überrollen mich einfach, wie ein tonnenschwerer Felsbrocken, der mich plattdrückt, mich dem Erdboden gleich macht, mir so die nötige Luft zum Atmen nimmt. Ich merke, wie meine Schultern alle Spannung verlässt, wie ich in mir zusammenfalle, wie ich auf einen Schlag einen großen Teil meines Selbstvertrauens verliere, wie ich auf einmal nicht mehr die Martha bin, die jeder meint zu kennen, die ich aber eigentlich gar nicht bin. Die Selbstzweifel zerfressen mich, schon wieder. Ich fühle mich von Sekunde zu Sekunde unwohler in der Situation, will einfach nur noch weg, mich, meinen Körper unter einem Handtuch verstecken, will keinen mehr sehen, will nicht, dass mich, meinen unförmigen Körper noch irgendjemand sieht. Erst eine warme, weiche Hand, die meine Linke umschließt, holt mich aus dem machtvollen Sog, der mich immer weiter in die düsteren Tiefen, in die rabenschwarze Unendlichkeit der Minderheitsgefühle mitgezogen hätte. Till, mein Retter, mein Anker. Ich spüre seinen durchdringenden, stechenden Blick auf mir, auf meinen verhärteten Gesichtszügen. Langsam drehe ich meinen Kopf in seine Richtung und werde sofort von seinen glasklaren, blauen Augen gefangen genommen, in denen ich mich immer und immer wieder aufs Neue verliere, die den Schlüssel zu meinen innersten Gedanken, Gefühlen und Empfindungen, die ich versuche vor allen anderen zu verbergen, besitzen, die die düstere, abscheuliche Kiste an qualvollen Komplexen und ungeheuren Unsicherheiten ohne große Mühe in mir finden und für seine Augen aufschließen. Und ich bin machtlos, kann einfach nur zusehen, wie ich wie ein offenes Buch von ihm gelesen werde, wie er einfach die nächste, versteckte, dunklere Seite aufgeblättert hat ohne, dass ich nur den Funken einer Chance hatte mich dagegen zu wehren. Seine wahnsinnigen, für mich so unheimlich wertvollen Augen funkeln mich an, als ob er genau wüsste, was in mir vorgeht, als ob er mich besser, als jede andere Person auf dieser Welt kennen würde. Und ich warte auf das Gefühl der stechenden Angst, der schneidenden Panik, das mich überschwämmen wird, mich fortreißt auf eine, meine einsame Insel, auf der ich ganz alleine, ohne jegliche andere Menschen sein kann, ohne jeglichen sozialen Kontakt, auf der ich mich vor allem und jedem verstecken, verkriechen kann, auf der das Leben zwar eintönig und langweilig ist, ich aber keine Sorgen haben muss, dass ich verletzt werden kann, dass mich unerwartete Begegnungen in die endlose Tiefe der schlechten Gefühle stürzen können, dass ich mich jemandem anderen öffnen muss, dass ich mich vor jemandem regelrecht entblößen muss, dass mich jemand durschaut, in meine innerste, verheimlichte Gefühlswelt blicken kann, auf die Insel auf die ich mich zurückziehen kann, die mich betäubt. Jedoch ist diese gewaltige Welle nicht kräftig genug. Till, seine Augen, mein Anker halten mich fest, sind zu stark, lassen es nicht zu, dass mich diese negativen Empfindungen fortspülen, sie halten mich am Leben, in diesem farbenfrohen Leben. Sein vertrauensvoller Blick, seine vor Zuversicht glänzenden Augen, sein samtiger Daumen der über den Rücken meiner zitternden Hand streicht, halten mich im hier und jetzt, füllen meine Lunge wieder mit Sauerstoff, füllen meinen Körper wieder mit Kraft und Willen, füllen mich wieder mit Liebe. „Du bist doch Till, oder?", die kleine Frau aus der Mitte der Gruppe reißt mich aus meinen immer positiver werdenden Gedanken, zwingt mich dazu meinen Blick von Till abzuwenden, auch wenn mir das mehr als schwerfällt. Wie gerne wäre ich jetzt alleine mit ihm, hätte ich ihn jetzt einfach nur für mich. Auch Till zuckt kurz zusammen, wendet sich dann von mir ab, und sieht sich die drei Frauen genauer an. Meine Hand lässt er dabei aber nicht los, die hält er immer noch fest in seiner, auch sein Daumen streichelt immer noch unaufhörlich über meinen Handrücken. Diese behutsame Berührung, diese liebevolle Geste hilft mir dabei das Stechen in meiner Brust zu ignorieren, na ja zumindest abzuschwächen. Trotzdem macht sich schon wieder ein übles Gefühl in mir breit. Eine bösartige, giftige Mischung aus Minderheitskomplexen, hoffentlich checkt Till nicht, wie viel besser die drei ausschauen, wie viel besser sie zu ihm passen, und Eifersucht auf die drei Frauen, auf die Blicke, die Till ihnen gerade zuwirft, auf die Aufmerksamkeit, die er ihnen gerade schenkt. „Ähh Jo, der bin ich. Wer seid ihr?" „Ich bin Raika und das sind meine besten Freundinnen Mia und Carina." Während sie uns die anderen beiden mit leicht schnippischer Stimme vorstellt, zeigt sie kurz auf die zwei Frauen, erst auf die Blonde, dann auf die Dunkelhaarige. „Kannst du dich etwa nicht mehr an uns erinnern?", jetzt klingt sie vorwurfsvoll, sogar ein bisschen enttäuscht. „Nein, sollte ich mich an euch erinnern?" Der genervte Unterton in Tills Stimme zaubert mir ein kleines, zerbrechliches Lächeln auf die Lippen. „Ja, eigentlich schon. Sommercamp vom Sportverband letztes Jahr. Klingelts jetzt?" „Aahh. Ja, klar. Ihr seid die Volleyballmädels mit denen Kai die ganze Zeit rumgehangen hat?" Und schon ist das Lächeln auch wieder erlöscht. Till kennt die. Das sind Sportlerinnen. Ich höre das Blut in meinen Ohren rauschen, spüre wie meine Hände schwitzig werden, spüre, wie mein Herzschlag sich plötzlich verdoppelt, wie mir das Atmen wieder schwerer fällt. Ihm scheinen die heftigen Reaktionen meines Körpers nicht zu entgehen. Er drückt meine Hand ein bisschen fester, kommt ein kleines Stück auf mich zu. Oberarm an Oberarm. Selbst in dieser unschönen, miserablen Situation beschwört diese unerwartete Berührung eine unfassbar starke Gänsehaut herauf, die sich von meinen Armen, meinen Nacken über meinen ganzen Körper ausbreitet. „Genau, die sind wir. Was ein schöner Zufall, dass wir uns hier treffen" Was für ein scheiß Zufall, dass wir uns hier treffen. „Du bist ja ganz schön erfolgreich gewesen im letzten Jahr. Aber das war mir schon klar, so hart wie du trainierst", säuselt diese Resa oder Raika oder wie auch immer Till die Ohren voll. Gerade noch so, dass sie nicht auf ihrer eigenen Schleimspur ausrutscht. „Ach, danke. Es macht mir auch einfach Spaß. Und wie schaut's bei euch aus? Was habt ihr über das Jahr alles so abgeräumt?", fragt Till die drei Nervtöter meiner Meinung nach viel zu nett. „Ich und Mia sind Deutscher Meister geworden und haben uns für die Euro nächstes Jahr qualifiziert." Ich, ich, ich. Der Esel nennt sich immer zuerst, oder was. Dieser kleine Giftzwerg ist mir sowas von unsympathisch. „Mega. Dann werden wir uns ja da auf jeden Fall sehen." Wow, wie cool. Ich habe noch nie etwas schöneres gehört. Mir ist bewusst, dass ich die klaffende, blutige Wunde, die Tills Worte in meinem Herzen hinterlassen haben, mit meiner zynischen, leicht aggressiven, vor Wut kochenden Art überspielen will. „Das ist übrigens Martha, meine ähhh... eine gute Freundin", stellt mich Till vor, da ich viel zu sehr damit beschäftigt bin, mich selbst anzulügen, mich innerlich auf diesen Kampf vorzubereiten, mich vor verletzenden Angriffen zu schützen. Und der erste, schmerzende Schlag landet jetzt schon in meinem Gesicht und das ausgerechnet von Till. Eine Freundin, ich will nicht nur eine Freundin für ihn sein, ich will seine Freundin sein, ich will die Frau an seiner Seite sein. Allein seine Aussage hat die Kraft und die Macht mein verletzliches Herz in klitzekleine Stücke zu zerreißen, mich in den Abgrund zu stoßen. Jedoch macht Raikas Reaktion es noch viel unerträglicher, reißt mir den Boden komplett unter den Füßen weg, zerstört mich innerlich. Sie sieht bei Tills Worten auf unsere immer noch ineinander verschränkten Hände und fängt dann an zu grinsen. Ein schreckliches Grinsen. So spöttisch, so boshaft, so gemein.
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5_Jahre_danach
FanfictionEin Wiedersehen nach über 5 Jahren. Zwei Menschen, deren Anziehungskraft immer noch so stark ist, wie die zweier Dipole. Eine leidenschaftliche Liebe, die die beiden immer wieder zueinander führt. Zwei Leben, die sich so lange Zeit nicht berührten...