Kapitel 7

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Nach einer gefühlten Ewigkeit kommen wir endlich am Campingplatz an. Während derFahrt haben die anderen irgendwelche bescheuerten Witze gerissen und sich, dannnatürlich darüber schlapp gelacht. Eigentlich wäre ich die letzte, die bei soetwas nicht mit einsteigen würde, geradeeben konnte ich mir aber nichtsBesseres vorstellen, als endlich aus dem Auto flüchten zu können. Das ganze Gegackerehat mich einfach unglaublich genervt. Ich weiß auch nicht was mit mir los ist.Noch am Ufer habe ich mit Nele zusammen herumgealbert und im Auto wollte ichkeinen mehr sehen, geschweige denn hören. Deswegen springe ich auch sofort ausdem Auto, als es auf dem Parkplatz zustehen kommt. Ohne auf die anderen zu achten,hole mir meinen kuschligen und viel zu großen Lieblingspulli aus unserem Zeltund verschwinde in Richtung Strand. Ich brauche jetzt einfach ein paar ruhigeMomente nur für mich alleine. Natürlich entgehen mir die fragenden Blickemeiner ehemaligen Mitschüler nicht, vor allem Neles Blick spüre ich brennendauf meinem Rücken. Kurz bevor ich in den kleinen unscheinbaren Trampelpfandabbiege, der sich durch die Dünen bis zum Sandstrand schlängelt, sehe ichViktor und Till, die beiden haben ihre Sportklamotten an und manchen komischeDehnübungen. Ich kann nicht anders, ich muss Till ein paar Sekunden längeranschauen. Und schon wieder spüre ich wie mein Herz sich schmerzlichzusammenzieht. Was habe ich nur gemacht? Da ich echt keine Lust habe, dass diebeiden noch auf mich aufmerksam werden beschleunige ich meine Schritte. Erstals ich hinter den Dünen verschwunden bin, bleibe ich kurz stehen und ziehemeine Schuhe aus. Es ist so ein schönes Gefühl den noch von der Sonne erwärmtenSand unter den nackten Füßen zu spüren. Die letzten Meter gehe ich ganz langsamund genieße den Moment. Der Wind weht durch meine blonden Haare und ein paarMöwen kreisen über meinem Kopf. Die Weite des Ozeans fasziniert mich, ich fühlemich so frei, wenn ich über das Wasser bis zum Horizont blicken kann. Ichsetzte mich in den weichen Sand und beobachte den unruhigen Wellengang desAtlantiks. Die Wellen schlagen hin und her, ziehen sich zurück und kommendoppelt so stark wieder. Es ist ein richtiges Chaos, wie meine Gefühlswelt. Ichbin so sauer auf mich, immer ist es der gleiche Scheiß, ich schaffe es nie zudenken bevor ich rede, vor allem nicht, wenn ich das Gefühl habe provoziert zuwerden und Tills Aussage hat genau das bei mir bewirkt. Er bringt mich mitseinen bekloppten Machosprüchen total in Rage, ich habe mich dann kein bisschenmehr unter Kontrolle und handle unglaublich impulsiv und will ihn einfach nurnoch beleidigen. Till! Mir geht sein verletzter Blick einfach nicht mehr ausdem Kopf. Bis zu unserem Streit war er so gut drauf, er hat die ganze Zeitgelächelt. Dieses eine unvergleichbares Lächeln, bei dem die feinen Grübchen inseinen Wagen zum Vorschein kommen. Wie ich sie liebe! Stopp! Das geht jetzteindeutig in die falsche Richtung! Nach meinem Ausraster war er auf einmal soanders, er sah so unglaublich traurig aus, der Glanz ist aus seinen Augengewichen, er ist richtig in sich zusammengefallen. Und was wirklich untypischfür ihn ist, er hat nicht mal gekontert. Ich habe Till bis jetzt nur einmal sogeknickt gesehen und daran war ich auch Schuld. Er hat mir die Probleme mitseiner Familie anvertraut und was mach ich blöde Kuh, ich verwende es gegenihn. Und dass nur, weil ich mich nichtunter Kontrolle hatte wie jetzt auch. „Vielleicht kannst du auch einfach nichtdamit umgehen, wenn dich jemand nicht will wie zum Beispiel deine Familie diekonnte dich auch nicht schnell genug wieder los werden", ich bereue diesen Satzbis heute und anstatt, dass ich mich bei ihm dafür entschuldige, setze ich 5Jahre später noch eins drauf. Ich bin ein so schlechter Mensch! Plötzlich spüreich wie sich jemand leise neben mich setzt und mir ein Taschentuch hinhält. Ichmuss mich gar nicht umdrehen, ich weiß, dass es nur Nele sein kann. Ich nehmedas Taschentuch und tupfe mir die Tränen weg, die meine Wangen entlang kullern.Ich war so in Gedanken, dass ich gar nicht gemerkt habe, dass ich angefangenhabe zu weinen. „Martha es tut weh dich so zu sehen. Ich mach mir echt Sorgenum dich. Was ist mit dir los?", fragt mich Nele mit sanfter Stimme. Das gibtmir denn Rest, mir laufen immer mehr Tränen über die Wangen, ich fange an hemmungsloszu schluchzen und mein ganzer Körper beginnt zu zittern. Daraufhin nimmt michNele einfach nur in den Arm, streichelt mir über den Rücken und wartet bis ichmich beruhige. Das ist genau das, was ich gerade brauche, eine feste Umarmung.Nach einiger Zeit löse ich mich von Nele und schau wieder auf das wilde Meerhinaus. Die Sonne geht gerade unter und lässt den Horizont in den schönstenRottöne erstrahlen. „Warum bin ich so ein schlechter Mensch?", frage ich Neleverzweifelt. „Martha, du bist doch kein schlechter Mensch! Du bist für mich diewichtigste Person auf der Welt! Du bist meine beste Freundin!", lächelt michNele aufmunternd an. „Danke. Du bist natürlich auch meine beste Freundin! Aberwas ist mit Till, den verletzte ich wirklich immer. Hast du gesehen wiebedrückt er ausgesehen hat. Er hat auf der ganzen Kajaktour nicht einmal mehrgelächelt, er hat nur traurig vor sich hingestarrt. Dabei wollte ich ihn dasdoch gar nicht an den Kopf werfen. Es tut mir so unglaublich leid!" „Dannentschuldige dich bei ihm!", unterbricht mich Nele. Ich stöhne laut auf: „Wenndas so einfach wäre!". „Martha es ist so einfach, geh zu ihm, sag ihm, dass esdir leid tut und du es so nicht gemeint hast. Er wird dich verstehen. Tillkennt dich doch." „Du hast ja recht. Es ist aber leichter gesagt als getan "Ich drehe mich in ihre Richtung: „Du Nele, ich habe da doch eine Frage. Tillmuss sich doch öfter irgendwelche Beleidigungen anhören. Er kann doch sonst sogut damit umgehen. Er hat immer einen lockeren Spruch auf den Lippen. Aberimmer, wenn ich ihn blöd anmache reagiert er so komisch, irgendwie verletzt undenttäuscht." Jetzt lächelt Nele leicht: „Man Martha, ein bisschen dumm bist duja schon. Hast du einmal daran gedacht, dass Till sich deine Aussagen so zuHerzen nimmt, weil du ihm etwas bedeutest." Nele macht eine kurze Pause undredet dann weiter: „Ich gehe wieder zurück. Denke über meine Worte nach und entschuldigedich bei ihm", Nele steht auf, streichelt mir kurz über meine Schultern und istdann auch schon verschwunden. Jetzt bin ich wieder alleine, alleine mit meinenGedanken. Ich weiß, dass sie Recht hat. Ich muss mich bei ihm entschuldigen.Die Aussage, dass ich Till etwas bedeute, verwirrt mich komplett. Kann eswirklich sein, dass er genauso fühlt wie ich? Ahhh man, ich werde es doch nieerfahren, wenn ich mich nicht jetzt bei ihm entschuldige. Ich atme einmal tiefdurch, dann stehe ich auf, lass meinen Blick ein letztes Mal über den Horizontschweifen, die Sonne ist schon vollständig im Wasser verschwunden. Ich schließe für einen kurzen Augenblick meineAugen, fahre mir kurz durchs Gesicht, drehe ich mich um und mache mich auf dieSuche nach Till. Ich finde in schneller als mir es lieb ist. Till ist heute mitViktor für das Abendessen eingeteilt, deswegen war es nicht schwer ihn zufinden. Jetzt stehe ich hier, 5 Meter von ihm entfernt und sehe wie er mit demKochen komplett überfordert ist. Viktor ist nicht da, der deckt wahrscheinlichgerade den Tisch. Bei Till ist das große Chaos ausgebrochen, das Nudelwasserkocht über, die Soße brennt an und eigentlich sollen die Nudeln schon längst imWasser sein, die befinden sich jedoch immer noch in Tills Händen. Der Arme, ersieht noch trauriger aus, als ich es in Erinnerung habe. Hat er sogar geweint? seine Augen sind ganz rot und angeschwollen.Bei seinem Anblick verdoppelt sich mein schlechtes Gewissen. Das kann ich mirnicht länger ansehen, ich muss einfach eingreifen. Ich gehe langsam auf ihn zu:„Till, ich helfe dir jetzt, keine Wiederrede". Till antwortet zwar nichtdarauf, aber zumindest lässt er es zu. Das ist doch ein gutes Zeichen, oder?Zusammen schaffen wir es die Soße vor dem Müll zu retten und die Nudelngelangen doch noch in das kochende Wasser. Gerade warten wir darauf, dass dieNudeln fertig werden. Wir stehen einfach nur neben einander und starren beide Löcher in die Luft. Das ist meine Chance. Ich fange leise an zu sprechen „Till,ich wollte mich bei dir entschuldigen, meine Worte auf dem Boot waren sounüberlegt, es tut...", weiter komme ich nicht, da Till mich lautstarkunterbricht: „Martha ich habe da jetzt echt keine Lust drauf! Lass mich einfachin Ruhe!". Während er mir die Worte an den Kopf wirft sieht er mich soverzweifelt an. Meine Beine tragen mich wie von selbst von selbst in unserZelt. Ich bin so eine Niete, ich werde es doch nie schaffen mich bei Till zuentschuldigen. Und schon wieder laufen vereinzelte Tränen über mein Gesicht.Meine Laune war an ihrem Tiefpunkt angelangt. Das Abendessen hat sich auchnicht wirklich verbessernd auf meinen seelischen Zustand ausgewirkt. Die Nudelnwaren total versalzen und die Soße hat auch irgendwie seltsam geschmeckt. Jetztliege ich schon seit 2 Stunden wach auf meiner Matratze, mein schlechtes Gewissen lässt mich nicht einschlafen.

5_Jahre_danachWo Geschichten leben. Entdecke jetzt