Kapitel 30

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Wir sitzen alle in diesem riesigen klapprigen Bus, der uns zu dem abgelegenen See im Wald bringt. Viktor hat sich freiwillig dazu bereiterklärt zu fahren, da hätte ich ja jetzt so gar keinen Bock drauf. Ich wäre viel zu abgelenkt und würde wahrscheinlich gegen den nächstbesten Baum fahren. Und das alles nur wegen diesem einen, leider unwiderstehlichen, Typen, der natürlich wieder direkt neben mir sitzen muss. Auch wenn es erst 10 Uhr ist, knallen die Sonnenstrahlen ohne Erbarmen auf das dunkle Autodach, das führt dazu, dass in dem Fahrzeug nach kürzester Zeit schon saunawürdige Temperaturen herrschen. Die ersten feinen Schweißtropfen bilden sich auf meiner leicht gebräunten Stirn. Diese extreme Wärme wäre ja schon ohne Till, der regelrecht an meiner rechten Seite klebt, Oberschenkel an Oberschenkel, Schulter an Schulter, unerträglich. Die vollkommene Nähe zu der Liebe meines Lebens macht das alles nicht viel angenehmer, sie lässt mich verrückt werden, ist für die ausgeprägten Hitzewallungen, die mich plagen, verantwortlich. Es wird von Sekunde zu Sekunde heißer. Ich versuche Till und vor allem die ausgeprägten Reaktionen meines verräterischen Körpers zu ignorieren. Jedoch scheitere ich auf ganzer Linie, habe nicht den Hauch einer Chance gegen diese eindringlichen Empfindungen anzukämpfen. Mein Herz schlägt viel zu schnell in meiner Brust, meine Atmung hat ihren normalen Rhythmus verloren, geht viel zu abgehackt. Das brühheiße Blut schießt durch meine stark pochenden Adern, rauscht so laut, dass ich es selbst in meinen Ohren höre. Sein betörender Duft umgibt mich, mit jedem Atemzug nehme ich seinen unverwechselbaren Geruch so intensiv wahr. Wie ich diesen ganz eigenen Duft, seinen Duft liebe. Er hypnotisiert mich, lässt mich Dinge machen, die ich eigentlich gar nicht will. Mein Kopf dreht sich wie von selbst in seine Richtung. Sein markantes Gesicht ist keine 30 Zentimeter von meinem entfernt. Mein Herz macht einen kleinen Hüpfer, als ich meinen Blick auf seine perfekten Lippen senke, nur um danach in einem undefinierbaren Beat weiter zu stolpern. Ich kann nicht wegschauen, starre ihn an, seine strahlenden grünblauen Augen, seine rosa Lippen ziehen mich magisch an. Wie gerne würde ich ihn jetzt küssen, unsere Münder nach einer viel zu langen Zeit wieder verschmelzen lassen. Auch wenn mein Gehirn dank Tills Gegenwart komplett vernebelt ist, besinne ich mich endlich wieder auf meinen eigentlichen Plan, ihn aus dem Konzept zu bringen, ihn aus der Reserve zu locken. Ich nehme all meinen Mut, all meine Kraft zusammen und wende meinen Blick von ihm ab und streiche mir eine leicht verschwitzte Haarsträhne aus meiner glühenden Stirn. Als ich meine rechte Hand wieder zurück auf meinen Schoß legen will, streife ich wie zufällig, ganz sanft, mit meinen Fingern seinen muskulösen Oberarm, seinen warmen Oberschenkel. Ich höre, wie er bei meinen Berührungen auf seiner Haut die Luft scharf einzieht, nur um sie danach wieder geräuschvoll auszustoßen. Sein Kopf schnellt in meine Richtung. Ich spüre seine ansteigende Nervosität, seinen geschockten Blick auf mir, schaue jedoch einfach weiter starr gerade aus. Versuche mir nicht anmerken zu lassen, dass ich mich diebisch über seine unkontrollierte, impulsive Reaktion freue. Es ist so ein schönes Gefühl zu wissen, dass ich so eine extreme Wirkung auf ihn zu haben scheine. Auch wenn ich jetzt mit meinen überkochenden Hormonen klarkommen muss. Diese Berührungen, so flüchtig sie auch waren, lassen mich natürlich nicht kalt. Und sein starrender Blick, der immer noch auf mir liegt, macht mich total nervös. Die Spannung, die zwischen uns herrscht, ist in diesem Augenblick zum zerreißen gespannt. Ich darf ihn nicht anschauen. Ich weiß, wenn ich jetzt in seine fesselnden Augen sehen würde, mich seinem intensiven Blick aussetzen müsste, würde ich vollständig die Kontrolle über mich verlieren. Zum Glück fahren wir genau in diesem Moment auf den kleinen unscheinbaren Parkplatz mitten im Wald. Die Türen, die gleich darauf aufgerissen werden, die erfrischende Waldluft, die daraufhin hineinströmt, erlösen mich aus dieser spannungsgeladenen Situation. Ich bin so froh, als ich endlich aus diesem aufgeheizten Auto austeigen kann, den Sicherheitsabstand zwischen Till und mir, den ich eindeutig brauche, um nicht komplett durchzudrehen, wiederherstellen kann. Ich schnappe mir meinen dunkelgrünen Rucksack und stelle mich etwas abseits der andern hin, erstmal muss ich wieder runterkommen, mich wieder beruhigen. Ich bemerke, dass mich Nele mit einem wissenden Blick, der immer schelmischer wird, anlächelt. Sie kann es sogar nicht lassen, mir kurz zu zuzwinkern. Meine beste Freundin weiß genau, wie es um mich steht, dass mich Tills Nähe mehr als nervös macht, dass ich mit diesem Zustand, mit dieser starken Anziehungskraft äußerst überfordert bin. Und was macht sie, sie macht sich lustig über mich, sowas schimpft sich also beste Freundin. Das werde ich mir auf jeden Fall merken. Jedoch habe ich nicht lange Zeit mir Gedanken über meinen Racheplan zu machen, unsere Gruppe macht sich nämlich in diesem Moment auf den Weg zu diesem Waldsee. Nach einem 5 minütigen Fußmarsch auf einem dünnen Trampelpfand, der sich in kleinen Kurven zwischen den großen Bäumen hindurch schlängelt, kommen wir endlich an diesem wundervollen Platz an. Meine ehemaligen Mitschüler haben nicht übertrieben, es ist wirklich unglaublich schön hier. Der kleine See glänzt in den eindrucksvollsten Türkistönen. Der dichte Wald hört erst kurz vor dem Ufer auf, verschluckt es fast, der Übergang ist fließend. Die Baumwipfel spiegeln sich in dem klaren Wasser, lassen diesen Ort geheimnisvoll wirken. Die auf die Oberfläche des Gewässers treffenden Sonnenstrahlen bewirken, dass die Wasseroberfläche wie abertausende funkelnde Kristalle glänzt. Ich bin noch total von der Schönheit dieses unglaublichen Platzes geflasht, als wir unsere Handtücher auf der großen Liegewiese nahe dem Ufer ablegen. „Wer als letztes im Wasser ist, muss beim nächsten Mal allen ein Eis ausgeben", schreit Hermann, während er schon in Richtung kühles Nass läuft. Das lassen wir uns natürlich nicht zweimal sagen, in Windeseile ziehen wir uns alle bis auf unsere Badesachen aus und folgen dem jungen Zech ins Wasser. Rike ist die Letzte, die den See erreicht. Sie sieht natürlich nicht ein, dass sie beim nächsten Eisessen die Rechnung übernehmen soll und zettelt daraufhin eine riesige Wasserschlacht an. Die nächsten Minuten verbringen wir damit, uns gegenseitig unterzutauchen, mit Wasser vollzuspritzen. Es entsteht ein richtiger Jeder-gegen-Jeden-Kampf, alle sind in diese Schlacht involviert, niemand wird verschont. Ein Glück sind nur noch wenig andere Badegäste da. Wir würden sie mit unserem schallenden Gelächter, mit unserem lauten Geschrei bestimmt nerven. Nach einer halben Stunde können wir nicht mehr, nehmen Rikes Friedensangebot an, die sich doch dazu bereiterklärt uns das nächste Eis zu spendieren und gehen zusammen zu unseren ausgebreiteten Badetüchern zurück. Ich lasse mich total ausgepowert auf mein kuschliges Handtuch fallen. Das war ganz schön anstrengend, hat aber total gutgetan, endlich musste ich nicht die ganze Zeit an diesen angeberischen Sportposer denken, auch wenn er die ganze Zeit um mich herum war, konnte ich seine Anwesenheit, wie ich das geschafft habe, ist mir echt ein Rätzel, sehr gut ausblenden. Jetzt, hier auf dem Rücken liegend, die Augen geschlossen, sehe ich ihn zwar nicht, ich nehme seine Gegenwart jedoch mit jeder Faser meines Körpers wahr. Jedoch muss ich zugeben, ich genieße seine Nähe einfach. Das verliebte Kribbeln breitet sich von Sekunde zu Sekunde weiter in mir aus, setzt mich unter Strom, lässt mich schweben. Ich könnte bestimmt noch Ewigkeiten so daliegen und diese durchdringenden Gefühle in mich aufsaugen, da macht mir aber Till einen Strich durch die Rechnung: „Genug Erholung, mir ist langweilig. Ich muss irgendetwas machen. Ich glaube in der kleinen Hütte da vorne kann man sich Stand-Up-Paddling-Boards ausleihen. Ich schau mal kurz nach, bin gleich wieder zurück." Und schon ist er aufgesprungen und in Richtung der angeblichen Verleihstation verschwunden. Ich vermisse seine Nähe sofort. Die intensiven Gefühle, die seine pure Anwesenheit in mir auslöst sind von Jetzt auf Gleich verschwunden. Ich fühle mich plötzlich so leer. Ich kann nicht mehr liegen, ich muss mich aufsetzen.

5_Jahre_danachWo Geschichten leben. Entdecke jetzt