Das kann er natürlich nicht auf sich sitzen lassen. Ich kann gar nicht so schnell schauen, da trifft mich schon ein Wasserschwall mitten ins Gesicht. Jetzt ist es Till, der anfängt schallend zu lachen. Obwohl ich eigentlich sauer auf ihn sein sollte, breitet sich ein breites Lächeln auf meinen Lippen aus. Seine Lache ist so unglaublich süß, die leisen Gluckser die sich einschleichen, wenn er versucht Luft zu holen, machen sie unverwechselbar. Er sollte viel öfter aus vollem Herzen lachen. Trotzdem schreit seine Aktion regelrecht nach Rache, und zwar nach einer ziemlichen nassen Rache. Ich muss Sibel, die uns die ganze Zeit beobachtet hat, nur einen kurzen Blick zu werfen und sie versteht sofort, was ich von ihr will. Sie schleicht sich leise hinter Till und wir fangen gleichzeitig an ihn mit Wasser vollzuspritzen. Diese Einladung nehmen die anderen natürlich gerne an, in kürzester Zeit sind wir alle in eine ausgelassene Wasserschlacht verwickelt. Als uns die Puste ausgeht und unsere Hände und Füße aussehen wie die unserer Großeltern, gehen wir wieder an den Strand zurück, legen uns auf unsere Handtücher und lassen uns von der Sonne trocknen. Ich fühle mich gerade zwischen meinen alten Einsteinern pudelwohl, es fühlt sich nicht so an, als wären seit dem letzten Zusammentreffen schon 5 Jahre vergangen. Wir verstehen uns so super, vielleicht sogar besser als zu unserer Schulzeit. Ich schließe meine Augen und genieße einfach den Moment, die warmen Sonnenstrahlen auf meiner Haut, das sanfte Rauschen des Meeres, die leisen Gespräche der andern und ja, auch Tills Nähe. Noch gestern konnte ich mir nichts Schlimmeres vorstellen, als neben, oder wie im Kajak, hinter ihm zu sitzen und jetzt kann ich ihm gar nicht nah genug sein. Ich glaube, ich bin jetzt offiziell verrückt geworden. Soll ich mich freiwillig in eine Psychiatrie einweisen lassen? Ich war gerade dabei wegzudösen, als Hermann plötzlich aufsteht, sich vor uns stellt und anfängt rumzumotzen: „Mir ist sooooo langweilig, können wir nicht irgendwas machen? Ihr könnt in der Nacht faul rumliegen, aber doch nicht mitten am Tag!" „Okay, Mister Streichekönig, was schlägst du denn vor?", fragt ihn Jona daraufhin. „Lasst uns irgendetwas spielen. Wie wäre es zum Beispiel mit Wahrheit oder Pflicht?", schlägt Hermann begeistert vor. Ein synchrones Seufzen ist die erste Reaktion aller. „Das ist doch ein Spiel für Teenager. Sind wir dafür nicht schon viel zu alt?", frage ich, nicht gerade begeistert von der Idee in die Runde. Rike scheint aber Feuer und Flamme zu sein: „Ich finde das Spiel super. Das ist doch die perfekte Möglichkeit herauszufinden, was wir alle so in den letzten Jahren getrieben haben." Wo sie Recht hat, hat sie Recht. Das sehen die anderen genauso, deswegen sitzen wir wenige Momente später um ein Buch über irgendwelche neuentdeckten Galaxien. Es ist uns wirklich allen ein Rätzel, warum Pit diesen dicken Wälzer sogar mit zum Strand schleppt. Aber als Unterlage bietet es sich gerade perfekt an. Till trinkt noch den letzten Schluck aus seiner Wasserflasche und schon kann es losgehen. Da Hermann die Idee hatte, darf er natürlich zu erst drehen. Die Flasche bleibt bei Moritz stehen. „Also, Wahrheit oder Pflicht?", fragt Hermann ganz aufgeregt. „Da ich echt Angst vor deinen Pflichten habe, nehme ich mal lieber Wahrheit.", antwortet Moritz eingeschüchtert. „Weichei! Lass mich mal überlegen....... Wann warst du das letzte Mal so richtig stolz auf dich?" „Das ist ja eine tolle Frage, die kann ich ganz einfach beantworten. Ich habe letztes Jahr den „Axel-Springer-Preis für junge Journalisten" gewonnen und ich muss zugeben da bin ich schon ziemlich stolz drauf", erzählt uns Moritz mit einem fetten Grinsen im Gesicht. „Wow, Glückwunsch! Das wusste ich ja noch gar nicht", spricht Rike aus, was wir alle denken. „Ich wollte es halt nicht an die große Glocke hängen", versucht sich Moritz zu erklären. Jetzt kann er sich jedoch nicht mehr vor dem Lob verstecken, wir überhäufen ihn mit Glückwünschen bis er uns unterbricht: „Stopp, ich werde ja schon ganz rot, lasst uns endlich weiterspielen." Die nächste, die von der Flasche ausgewählt wird, ist Rosa. Sie entscheidet sich sogar für die Pflichtaufgabe und muss uns deshalb einen Tanz vorführen. Das war richtig gut. Ich wusste gar nicht, dass Rosa so gut tanzen kann. Der nächste der daran glauben muss, ist Viktor. Und Rosa stellt ihm eine Frage, die uns seit seiner Liaison mit Frau Levin doch brennend interessiert: „Auf welchen Typ Frau stehst du eigentlich? Findest du ältere Frauen interessanter?" Viktor wird auf einmal knallrot im Gesicht und stammelt: „Ja, ich kann es nicht abstreiten, ältere Frauen machen mich an. Meine letzte Beziehung war zum Bespiel mit einer 35 jährigen Frau." „Hey, Viktor! Das muss dir doch nicht peinlich sein. Solange sie nicht deine Lehrerin war ist doch alles gut", versucht ihn Rike aufzuheitern. Wir fangen alle an zu lachen, der Spruch ist aber auch witzig, selbst Viktor kann sich ein Lächeln nicht verkneifen. Nachdem wir uns alle wieder beruhigt haben, dreht Viktor die Flasche. Oh Gott, jetzt bin ich dran, soll ich Wahrheit oder doch lieber Pflicht nehmen? Eigentlich habe ich jetzt keinen Bock Liegestützen oder irgendeinen anderen Scheiß zu machen. „Ich nehme Wahrheit", antworte ich mit fester Stimme. „Wie oft warst du schon verknallt? Also nicht nur verknallt, sondern so richtig verliebt?", stellt mir Viktor die Frage, vor der ich am meisten Angst hatte. Ich kann nichts dagegen tun, meine Hände fangen an zu zittern, die Röte steigt mir ins Gesicht und mein Blick wandert zu meinen Füßen. Ich muss nicht lange darüber nachdenken, es liegt auf der Hand, ich will diese Peinlichkeit jedoch so lange wie möglich herauszögern. „Martha, wir warten!", erinnert mich Pit daran, dass ich ihnen noch eine Antwort schuldig bin. Ich nehme meinen ganzen Mut zusammen und erhebe meinen Blick wieder und schaue sofort in die grünblauen Augen auf die ich jetzt getrost verzichten könnte. Seit wann sitzt Till mir gegenüber? Das macht doch alles noch viel schwieriger. Ich muss unbedingt irgendwo anders hinsehen, der Leuchtturm am Ende des Strandes ist doch interessant. „Ich hatte erst zwei Mal wirklich tiefe romantische Gefühle für eine andere Person.", antworte ich nuschelnd. Auch wenn ich den Leuchtturm mit meinem Blick fast hypnotisiere, entgeht mir das leichte Funkeln in Tills wunderschönen Augen nicht. Was hat das denn jetzt zu bedeuten? Dieser Typ verwirrt mich komplett. „Erst 2 Mal, das hätte ich jetzt nicht gedacht. Einer der Glücklichen ist natürlich Kasimir, aber wer ist denn der andere?", hakt Viktor weiter. Ich muss schlucken, die Frage kann ich beim besten Willen nicht beantworten. Das geht einfach nicht. Jetzt greift zum Glück Nele ein: „Viktor, muss man dir die Spielregeln erklären? Man hat immer nur eine Frage und du hast deine schon gestellt! Also muss Martha nicht darauf antworten." Ich lächle Nele kurz dankend an, drehe dann so schnell wie möglich die Flasche, um von mir abzulenken. Mal abgesehen von dieser pikanten Situation, hatte ich wirklich viel Spaß. Ich habe im Laufe des Spieles so viel Unerwartetes über meine ehemaligen Mitschüler erfahren. Auch die anderen waren hin und wieder echt überrascht. Und die lustigen Pflichten zwischendurch haben die Stimmung immer wieder aufgelockert. Gerade warten wir auf die letzte Frage, die ausgerechnet Till beantworten muss. „Wie viele Beziehungen hattest du eigentlich schon?", ich schaue Till mit großen Augen an, die Antwort interessiert mich jetzt schon. „Oh, schon sehr viele auch wenn die meisten ziemlich kurz waren. Ich habe irgendwann aufgehört mitzuzählen, aber bestimmt schon 15 oder so?" Und schon wieder zieht der Leuchtturm meinen Blick magisch an. 15 Beziehungen, das passt doch gar nicht zu Till. Ich kann nichts gegen die Fragen unternehmen, die jetzt auf mich einprasseln. Warum hatte er so viele Beziehungen? Warum hat keine länger gehalten? War er daran schuld, dass die Beziehungen so schnell in die Brüche gegangen sind? Oder hat er einfach noch nicht die Eine gefunden? Gleichzeitig kann ich nichts gegen das Gefühl machen, das sich jetzt den Weg durch meinen Bauch bis in mein Herz freikämpft und sich dort niederlässt. Ich kenne dieses Gefühl nicht, ich habe so noch nie gefühlt. Fühlt sich so Eifersucht an? „Martha Pracht, ich rede mit dir!" Auf einmal bin ich wieder im Hier und Jetzt und schau mich verwirrt um. Alle sind weg, nur noch Till steht dort und lächelt mich mit seinem Grübchenlächeln an. „Ähh..wo sind die anderen?", frage ich ihn. „Die sind schon vorgegangen, um alles für das Lagerfeuer vorzubereiten. Keiner hat es geschafft dich aus deinen Gedanken zu holen. Habe ich dich etwa so gefangen gehalten?" „Wer sagt denn, dass ich überhaupt an dich gedacht habe! Spinner! Komm, lass uns zurück gehen, es wird langsam echt kalt." Ich packe schnell mein Zeug zusammen und gehe schon in Richtung Campingplatz vor. Wenige Augenblicke später schließt Till zu mir auf. Wir laufen einfach nur nebeneinander, keiner sagt ein Wort. Ich genieße diesen intensiven Moment einfach. Hinter uns geht die Sonne unter und färbt den Himmel in die wundervollsten Rottöne, man hört das Meer noch leise im Hintergrund rauschen. Das ist mit Abstand der bisher romantischste Augenblick meines Lebens. Scheiße! Was läuft denn bei mir falsch? Seit wann steh ich auf so einen Kitsch? Ich sollte noch einmal über die Idee mit der Psychiatrie nachdenken. Für meinen Geschmack sind wir viel zu schnell zurück am Campingplatz. Viktor und Moritz sind gerade dabei das Feuer anzuzünden. Das scheint jedoch nicht wirklich zu funktionieren. Till beobachtet die beiden kurz und dreht sich dann zu mir um: „Ich glaube, ich sollte den beiden mal helfen, wenn wir heute noch etwas Essbares zwischen die Zähne bekommen wollen." Und schon steht er zwischen den beiden Feuerhelden und erklärt ihnen, wie sie das Holz doch noch zum Brennen bekommen. Ich schau den dreien noch kurz bei ihren anfänglichen Versuchen zu, bis ich von Sibel gebeten werde beim Vorbereiten des Stockbrotteigs zu helfen. Jetzt ist es stockdunkel und wir sitzen alle um das wärmende Feuer, jeder mit einem Stock in der Hand, der entweder mit einem Stockbrot oder einem Würstchen gespickt wurde. Während dem Essen schwelgen wir in Erinnerungen an unsere unvergessliche Schulzeit auf dem Albert Einstein Gymnasium. Nachdem jeder satt ist, holt Rosa ihre Gitarre und fängt an irgendwelche Melodien zu spielen. Es wird ganz leise, man hört nur noch die sanften Töne der Gitarre und das Knistern des Feuers. Diese entspannte Stimmung lullt mich richtig ein. Ich werde müde und mein Kopf wird immer schwerer und schwerer, bis er mir zu schwer wird und ich ihn auf die starke Schulter, der Person rechts von mir lege. Dabei ist es mir egal, dass diese Person Till ist. Er schaut nur kurz verwundert, lächelt mich kurz an und schaut dann wieder ins Feuer. Es sieht so schön aus, wie sich die orangeflackernden Flammen in Tills wundervollen Augen spiegeln. Es wird immer später und dementsprechend immer kälter. Das Feuer kann auch nicht mehr so viel Wärme spenden, wie am Anfang. Ich habe meinen Kopf seit einer halben Stunde bestimmt keinen Zentimeter bewegt, geschweige denn von seiner Schulter genommen. Dafür genieße ich seine Nähe viel zu sehr. Langsam fange ich jedoch wirklich an zu frieren, das scheint Till zu merken, denn im nächsten Moment legt er seinen linken Arm um mich. Auf einmal wird mir total heiß und mein Herz fängt an wie bekloppt zu rasen. Die plötzliche Nähe gefällt mir aber so gut, dass ich mich noch mehr in seinen Arm kuschle. Auf der anderen Seite der Feuerstelle sitzt Nele, die uns grinsend beobachtet. Wir gehen erst ins Bett, als das Feuer komplett abgebrannt ist. Und ich muss zugeben, ich vermisse ihn jetzt schon.
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5_Jahre_danach
FanfictionEin Wiedersehen nach über 5 Jahren. Zwei Menschen, deren Anziehungskraft immer noch so stark ist, wie die zweier Dipole. Eine leidenschaftliche Liebe, die die beiden immer wieder zueinander führt. Zwei Leben, die sich so lange Zeit nicht berührten...