Kapitel 20

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Nach einer halben Stunde sind schon alle auf dem Basketballplatz, außer natürlich Moritz. Wir stehen in einem Kreis mitten auf dem roten Tartanplatz und warten auf unseren chronischen Nachzügler. Der Platz sieht aus wie ein richtiges Basketballfeld, glaub ich zumindest, so richtig Ahnung habe ich ja zugegeben nicht davon, an den jeweils beiden kürzeren Feldseiten sind zwei Körbe und dazwischen sind verschiedenste Linien, die irgendetwas begrenzen sollen, den Sinn dahinter versteh ich nicht wirklich. Die Umgebung des Feldes ist aber bildhübsch, rechts grenzt die Sportfläche an den dichten Wald und links sofort an das tiefblaue Meer. Man hört das Rauschen der wilden Atlantikwellen, riecht den salzigen Geruch des Ozeans und über uns fliegen schon wieder die weißen Möwen mit seichten Flügelschlägen. Es sieht hier aus wie auf einem coolen Poster für Basketballfreaks. Ich halte nicht viel von Sport, vor allem nicht von Ballsportarten, Bälle werden wohl nie meine beste Freunde werden, aber irgendwie freue ich mich wirklich auf das Match. Ob das an Till liegt? Ich weiß, dass ich unbedingt Abstand zu ihm halten soll, dass ich einfach noch nicht für einen Annäherungsversuch bereit bin, dass mein ganzes Vorhaben, Gras über die Wunden wachsen zu lassen, heftig ins Schwanken kommt, wenn ich den ganzen Tag in seiner Nähe verbringen werde. Jedoch kann ich schlichthin nicht anders. Ich kann mich nicht dagegen wehren, er übt eine so starke Anziehungskraft auf mich aus, aus der kann ich nicht entfliehen, sie zieht mich magnetisch in seine Nähe und setzt mich unter eine Spannung, die ich von den Haarspitzen bis zu meinen Zehen mit jeder Pore meines Körpers spüren kann. Ich habe mich nicht mehr unter Kontrolle, weder meine Atmung, mein Temperaturempfinden, mein viel zu schnell schlagendes Ding in meiner Brust, noch meine Augen. Mein Blick wandert immer wieder wie von selbst zu Till. Es ist sicherlich nicht das erste Mal, dass ich ihn in Sportklamotten sehe, trotzdem kann ich nicht aufhören ihn anzustarren. Er sieht in der kurzen schwarzen Hose und dem enganliegenden grauen Tank-Top einfach zum anbeißen aus. Wie gerne würde ich mit meinen Fingern über seine von der Sonne gebräunten muskulösen Oberarme streicheln, meine Lippen auf seine weichen wundervoll geschwungenen legen. „Entschuldigung, dass ihr auf mich warten musstet. Meine Mutter hat gerade angerufen und die konnte ich ja nicht ohne Weiteres abwimmeln", rechtfertigt sich unser Geburtstagskind, als es ziemlich abgehetzt auf dem Sportplatz zu stehen kommt. Moritz' plötzlicher Auftritt hat mich total erschreckt und unsanft aus meinen wunderschönen Gedanken gerissen. Ich bin nicht fähig mich zu bewegen, ich stehe nur da und schaue mit starrem Blick vor mich. Meine Gedanken, vielleicht auch meine sehnlichsten Wünsche überfordern mich komplett. Ich will doch Abstand und Zeit und nicht bei der nächstbesten Gelegenheit über ihn herfallen. Er hat mich verletzt, mich zu Boden geworfen und ist auf meinen Gefühlen herumgetrampelt. Wegen diesem Idioten habe ich mich heulend über längere Zeit im Zelt verkrochen, gleichwohl kann ich mir nichts schöneres vorstellen, als in seine starken Arme zu flüchten und mich an seine breite Brust zu kuscheln. Seine Umarmungen strahlen immer so eine Geborgenheit aus. Es gibt keinen Ort an dem ich mich wohler fühle. Erst Jonas Schütteln an meiner linken Schulter holt mich aus meinen verwirrenden Gedanken: „Man Martha! Wie lange willst du noch so dumm in der Gegend rumstehen? Wir wärmen uns alle schon längst auf." Boooaaaa ist das peinlich. Die anderen laufen bestimmt schon ihre zweite Runde um den Platz und ich habe mich immer noch keinen Millimeter bewegt und starre irgendwelche Löcher in die Luft. Zum Glück können sie keine Gedanken lesen, trotzdem merke ich wie sich ein leichter roter Schimmer auf meine Wangen legt, während ich mich der Gruppe anschließe und wir gemeinsam noch weitere 5 Runden laufen. Bin ich froh, dass mich keiner auf meinen komischen Aussetzer anspricht. Nach der Laufeinheit, die mich schon ganz schön zum Schnaufen bringt, teilen wir unsere Gruppe in zwei gleichgute Teams auf. Wie es der Zufall so will, bin ich natürlich mit Till in einem. Na ja, der Profisportler und der Sportmuffel ergänzen sich halt einfach zu gut. Jedes Team legt noch 1, beziehungsweise 2 Auswechselspieler fest. Moritz hat sich ein richtiges Basketballmatch gewünscht, also wird auch nach Regeln gespielt, das heißt es spielen 5 gegen 5. Die Frage warum immer nur 5 spielen, beantwortet mir keiner. Nur Till schüttelt lachend den Kopf und dieses Lächeln lässt mein Herzschlag für einen kurzen Moment aussetzen. Wie soll ich mich bitte auf das Spiel konzentrieren, erstmal ist es ein dummes Ballspiel, also von vornherein schon langweilig und zweitens Till, wenn er in meiner Nähe ist macht mein Körper sowieso was er will. Deswegen bin ich die erste die die Hand hebt, als Till fragt, wer denn zuerst auf der Ersatzbank platznehmen will. Gefolgt von schallendem Gelächter setze ich mich neben das Feld auf den Boden, von wegen Ersatzbank. Rike und Rosa lassen sich noch neben mir nieder und dann kann es auch schon losgehen. Am Anfang hatte ich echt Spaß am Spiel. Nur zuschauen ohne mich selbst bewegen zu müssen, das gefällt mir schon sehr. Auch wenn ich zugeben muss, dass ich nicht immer mit voller Konzentration dem Spiel gefolgt bin. Till hat meine Blicke magisch angezogen. Es sieht aber auch zu heiß aus wie er seine verschwitzen Haare nach hinten streicht. Bei dieser Bewegung spannt sich der Muskel in seinem Oberarm auf eine ganz besondere Weise an. Zum Glück habe ich nicht angefangen zu sabbern, das wäre noch peinlicher als die Rumsteh-Aktion gewesen. Und jetzt stehe ich hier total orientierungslos mitten auf dem Spielfeld. Die letzte Information die mir Leni bei ihrer Auswechslung mit in den Kampf gegeben hat, war „Flügel". Was soll das denn bitte heißen? Soll ich wie ein Vogel mit meinen Armen wild durch die Gegend wedeln? Wahrscheinlich eher weniger. Till scheint zu merken, dass ich keine Ahnung habe, wo ich mich hinstellen soll. Er kommt auf mich zu. „Also ein Basketballprofi bist du ja nicht wirklich!", zieht er mich auf, während er mich mit seinem unwiderstehlichen Lächeln ansieht. Für einen kurzen Moment verliere ich mich in seinen strahlend blauen Augen, bis er mich an meinen Schultern zu der besagten Position „Feder", oder war es doch „Flügel", schiebt. Die Stellen an denen meine Haut, die nur mit einem leichten T-Shirt bedeckt sind, mit seinen warmen weichen Händen in Berührung kommt fangen an zu brennen und eine Gänsehaut überzieht meinen Körper vollständig. Und schon ist er wieder weg, die Hitze die sich in mir angestaut hat, als er mir so nah war, wich mit einem Mal aus meinem Körper, mir wird kalt, eiskalt. Ich vermisse seine Nähe jetzt schon. Das restliche Spiel verbringe ich damit zu versuchen am wenigsten im Weg rumzustehen. Das scheint auch ziemlich gut zu funktionieren. Niemand beschwert sich über mich, nicht mal Till. Die Stimmung ist super, alle haben Spaß, vor allem Moritz. Der blonde Brillenträger läuft die ganze Zeit mit einem fetten Grinsen auf den Lippen durch die Gegend. Irgendwann gehen Rike und Rosa zurück. Sie wollen schon mal das Abendessen vorbereiten. Ich habe gar nicht bemerkt, dass die Zeit so schnell vergangen ist. Ich hätte nicht gedacht, dass mich das Spiel rund um den orangenen Ball so fesseln kann. Ob es jetzt das Spiel an sich oder Till, der einfach nur wahnsinnig gut beim Sportmachen aussieht, war, kann ich nicht wirklich sagen. Nachdem wir nach einer Runde „Shootout", irgendein ein komisches Korbwerfspiel, in dem Moritz sogar gewonnen hat, auf dem Weg zu unseren Zelten sind, ist die Stimmung total frölich. Sogar ich kann wieder aus vollem Herzen lachen und die letzten Tage sind fast vergessen, wären da nicht die wulstigen Narben auf meinen noch nicht ganz verheilten Wunden. Darüber will ich jetzt einfach nicht nachdenken, mich von diesen trüben Gedanken nicht runter ziehen lassen, deswegen konzentriere ich mich wieder auf unser Gespräch über irgendeine bekannte Basketballmannschaft, deren Namen ich natürlich noch nie gehört habe. An den Zelten angekommen, geht jeder schnell duschen, bevor wir uns für das Abendessen wieder treffen. Wir duschen alle in Rekordzeit. Nach den sportlichen Aktivitäten und dem ausgefallenen Mittagessen hat jeder einen Bärenhunger und kann es nicht mehr abwarten endlich was zwischen die Zähne zu bekommen. Nach nicht Mal einer halben Stunde sitzen schon alle um den Tisch und essen die perfekt gebratenen Schnitzel von Rosa und Rike, Moritz absolutes Lieblingsessen. Die Atmosphäre ist toll, alle sind total entspannt, jeder ist glücklich. Ich fühe mich gerade so leicht, fast als wäre ich ein Vogel, der sich nur durch die Kraft des Windes fortbewegt. Anschließend überreichen wir Moritz sein Geschenk. Ich habe es zwar nicht für möglich gehalten, aber Moritz' Grinsen wird noch breiter. Er freut sich so sehr über dieses Fotobuch, dass ihm sogar vereinzelte Freudetränen über die Wangen kullern. Die nächste Stunde verbringen wir damit, in alten Erinnerungen zu schwelgen. Es ist schon verrückt wie viel wir zusammen auf dem Einstein erlebt haben. Jeder einzelne Tag war etwas Besonderes. Und auch nach 5 Jahren wird einem ganz schwer ums Herz, wenn man an die damaligen Geschehnisse denkt. Ein Geburtstag ist kein richtiger Geburtstag ohne Party, das war nach der Erinnerungssession unser Motto. Wir lassen es richtig krachen mit Knabbereien, Alkohol, lauter Musik und auch ganz viel Tanzen. Die Stimmung wird von Stunde zu Stunde ausgelassener. Es entwickelt sich eine feuchtfröhliche Feier, bei der nicht gerade wenig Alkohol fließt. Auch mein Alkoholspiegel steigt kontinuierlich. Es tut so gut, alle Probleme vergessen zu können und einfach Mal glücklich zu sein, ohne dunkle Hintergrundgedanken. Am Anfang der Party habe ich versucht mich von Till fernzuhalten, aber mein mit Alkohol vollgepumpter Körper kann dem starken Verlangen nicht wiederstehen in Tills Nähe zu sein.

5_Jahre_danachWo Geschichten leben. Entdecke jetzt