Kapitel 11

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Till:

Die Sonne scheint kräftig auf mein inzwischen leicht gebräuntes Gesicht. Verträumt blicke ich auf die zwei großen Kugeln Erdbeereis in meiner Hand. Mein Trainer würde mich jetzt schlagen und mir einen zehnminütigen Vortrag über die Vorteile gesunder Ernährung in Verbindung mit Leistungssport halten. Aber gibt es etwas Besseres, als den Sommer mit seinen Freunden im warmen Frankreich zu verbringen? Das gehört einfach gefeiert und für mich gehört dann definitiv auch mal das eine oder andere Eis dazu, dachte ich mir, als ich vorhin mit einem breiten Grinsen im Gesicht vor dem älteren Eisverkäufer mit italienischem Akzent stand. Ich lecke noch einmal genüsslich an der süßen Kaltspeise, hebe meinen Blick etwas und betrachte unsere Umgebung. Die malerische Altstadt, in der wir uns gerade befinden, ist zauberhaft. Die bunt bemalten Reihenhäuser grenzen die schmale, gepflasterte Gasse ab, in der Ferne hört man leise Flötentöne der Straßenmusiker und der Duft von frischen Blumen, die in riesige Steintöpfe gepflanzt wurden, erfüllt die warme Sommerluft. Hinter dem Torbogen, der die Altstadt von dem anliegenden Park abgrenzt, nähern sich zwei Mädchen, beide sehen wahnsinnig glücklich aus. Die Kurzhaarige hebt ihre Hand und winkt uns zu. Ich erkenne in ihr Martha. Die zwei erhöhen ihr Tempo und betreten die kleine Veranda der Eisdiele. Nele nimmt gleich neben Sibel Platz, doch Martha umrundet den kleinen Tisch, kommt neben mir zu stehen. „Hey!", ruft sie in die Runde, wuschelt mir einmal durch die lockigen Haare und setzt sich auf den freien Klappstuhl neben mir. Meine Gefühle überschlagen sich. Die Selbstverständlichkeit, mit der sie durch meine Haare streicht, das Gefühl, sie nach fast zwei Stunden wieder so nah an meiner Seite zu haben. Meine Hände werden schwitzig, ich reibe sie an der kurzen Hose ab, mein Herz schlägt schneller. Ihre Anwesenheit bringt mich einfach jedes Mal aufs Neue völlig durcheinander. Meine zwölf Schulfreunde beginnen sich über die Pläne für den kommenden Tag Gedanken zu machen. „Ich muss leider noch was für mein BWL Studium tun, ich hab echt schon viel zu lange nicht mehr gelernt", sagt mein Freund Viktor etwas geknickt. Pit und Moritz schließen sich ihm an und auch Rosa entscheidet sich nach einiger Zeit dazu, am Campingplatz zu bleiben und noch Dokumente für ihr anstehendes Auslandsjahr im Kinderheim in Ghana auszufüllen. „Also ich hätte ja Lust auf surfen, hab ich zwar noch nie gemacht, aber so schwer kann das ja nicht sein. Wer kommt mit?" Der Vorschlag kommt von Martha und ich muss zugeben, dass ich absolut nichts dagegen hätte, etwas mit ihr zu unternehmen, erst recht nicht, als ich meinen Kopf in ihre Richtung neige, ihre blauen Augen mich anstrahlen und sich die zarten Sommersprossen auf ihrer Nase in der goldenen Nachmittagssonne noch stärker abzeichnen als normalerweise. Und surfen lernen, wollte ich sowieso immer schon mal. Also nicke ich kurz und antworte ihr, dass ich dabei bin. Überraschenderweise ist sonst niemand wirklich begeistert von ihrer Idee, nicht mal Nele. Auch Martha betrachtet ihre Freundin fragend. Diese grinst aber nur und meint ein Skypegepräch wegen ihrer nächsten Kunstausstellung in Berlin zu haben. „Dann geht ihr beide eben nur zu zweit", fügt sie noch hinzu. „Na dann machen wir eben alleine den Atlantik unsicher." Martha stupst mich mit ihrer linken Schulter an, zwinkert mir zu. Mehr als ein leichtes Nicken bekommt sie von mir nicht zurück, bevor meine Gedanken und Gefühle über mich herfallen, wie eine Meute hungriger Raubtiere. Einen ganzen Tag mit der Frau meiner Träume alleine. Einerseits das Schönste, was ich mir vorstellen kann, aber andererseits auch eine riesige Herausforderung: Martha weiß nichts von meinen Gefühlen zu ihr und dass sie romantische Gefühle für mich hat, glaube ich wirklich nicht. Martha mag mich, ja, aber eben nur freundschaftlich. Ich aber, bin Hals über Kopf in sie verliebt. Obwohl ich die Zeit in der kleinen, traditionellen Eisdiele genossen habe, bin ich froh, als wir uns auf den Weg zurück zu unseren Zelten machen. Was ich jetzt brauche, um meine Nervosität wegen morgen im Rahmen zu halten, ist eine große Laufrunde durch den Wald, ganz alleine. Außerdem war mein Training heute morgen ja nicht gerade erfolgreich, über die Hälfte bin ich mit Martha nur gegangen und nicht gerade ins Schwitzen gekommen. Schnell schlüpfe ich in meine Laufhose und das graue Sportshirt und drei Minuten später jogge ich schon den verwurzelten Waldweg entlang an einem kleinen See vorbei. Meine Gedanken überschlagen sich und mir fällt es schwer, in meinem Rhythmus zu bleiben. Die Angst löst ein nervöses Kribbeln in meinem ganzen Körper aus und verdrängt die Vorfreude auf das Surfen. Natürlich verstehen Martha und ich uns gerade so gut wie noch nie, aber genau das macht es auch kompliziert. Ihre Anwesenheit macht mich unruhig, was ist wenn ich zu weit gehe? Wenn ich mich nicht mehr unter Kontrolle habe? Am Lagerfeuer konnte ich mich ganz knapp noch zurückhalten ihren Kopf in meine Richtung zu drehen und ihre vollen, weichen Lippen zu küssen, als sie sich an meiner Schulter anlehnte. Natürlich ist mir nicht entgangen, wie sie mir seit der Versöhnung auch immer näher kommt, aber wir sind momentan auch einfach gute Freunde und da gehört es sich eben, sich auch mal zu umarmen, oder mehr Zeit zusammen zu verbringen. Wenn das für mich nur nicht so kompliziert wäre. Jede ihrer Berührungen löst ein Feuerwerk in mir aus und macht mich unglaublich glücklich. Und was das schlimmste ist: Es macht süchtig nach mehr. Was ist, wenn mein Herz überhand nimmt, meinen Kopf ignoriert und ich zu weit gehe? Sie hat mich schonmal zurückgewiesen, was ist, wenn es wieder passiert? Ich kann das einfach nicht riskieren, unsere Freundschaft ist mir dafür einfach viel zu wichtig. Lieber Martha als gute Freundin, als gar keine Martha in meinem Leben. Ich verlangsame mein Tempo, gehe vom joggen ins walken über und nähere mich, inzwischen in Schrittgeschwindigkeit angekommen, unserer Zeltgruppe. Mein Blick fällt auf meine dunkelblaue Armbanduhr, der Rest wird schon beim Abendessen sein. Ich wische mir den Schweiß von der Stirn und gehe zu den Duschen. Ich muss versuchen, die körperliche Nähe zu Martha so gering wie möglich zu halten, vor allem, wenn wir den morgigen Tag ganz alleine in Badesachen im Meer verbringen. Auf dem Weg zum Abendessen sehe ich schon von weitem nur noch zwei freie Plätze an dem großen Holztisch. Moritz ist der einzige, der sonst noch fehlt, der Rest sitzt fröhlich lachend auf den bunten Campingstühlen. Ein freier Platz neben Martha und einer neben Rike. Heute morgen noch hätte ich nicht lange überlegt und mich neben Martha gesetzt, aber nach meinen Gedanken im Wald bin ich der Meinung, dass es besser wäre, neben der Labertasche Platz zu nehmen. Ich nähere mich dem Tisch und sehe schon das Grinsen der Blonden, die selbstsicher erst zu mir, dann zu dem freien Stuhl neben mir blickt. Ich senke meinen Kopf leicht und lassen mich dann neben Rike fallen. Und kaum berührt mein Körper auch nur den Stuhl, beginnt sie schon loszuplappern. Meine Augen allerdings, wandern an das andere Tischende zu Martha, die jetzt leicht enttäuscht wirkt und in ihrem Teller stochert. Rike neben mir redet und redet. Teilweise versuche ich wirklich, mich darauf zu konzentrieren, dennoch schweifen meine Gedanken immer wieder ab zu dem Mädchen, dass mir schon seit über fünf Jahren den Kopf verdreht. Und wie soll es auch anders kommen? Beim Zähneputzen kommt ausgerechnet Martha zur Tür herein, stellt sich neben mich und holt ihre Zahnbürste aus deiner kleinen, gelben Tasche. „Ich freu mich schon so auf morgen, im Atlantik zu surfen, das muss mega viel Spaß machen! Ach...", sie seufzt leicht und redet sofort weiter, „Sonne, Sandstrand, Meer, Wellen,..." Martha sieht gedankenverloren an die geflieste Decke des Waschraums. Danach blickt sie erwartungsvoll zu mir. Ich nicke ihr nur zu und zeige auf die Zahnbürste in meinem Mund. Eine Ausrede, gerade nicht mit ihr reden zu können. Selbst später im Zelt kreisen meine Gedanken noch um sie. Ist denn in meinem Kopf gar kein Platz mehr für anderes? „Hey Till. Stimmt irgendwas nicht?", fragt mich Viktor, nachdem ich mich einige Zeit von einer Seite auf die andere wälze. Ich drehe mich zu ihm. „Wieso meinst du?" Ich stelle ihm eine Gegenfrage, ist es denn so auffällig, dass ich heute etwas nachdenklich bin? „Naja...Du hast dich heute bisschen komisch verhalten, finde ich. Direkt nachdem wir aus der Stadt zurückgekommen sind, bist du joggen gegangen und dann setzt du dich beim Abendessen auch noch neben Rike, anstatt neben Martha. Ich hab gedacht, euer Streit ist geklärt, ihr versteht euch doch jetzt so gut?" Ich seufze einmal und antworte ihm dann: „Ich bin gerade einfach nur etwas durch den Wind." „Wegen Martha?" Viktor stützt seinen Kopf auf seiner Hand ab. „Ja", antworte ich nur leise, drehe mich wieder von meinem besten Freund weg. Kurz ist es ganz still, ich vernehme nur ein leises Rascheln von draußen und die gedämpften Rufe einer Eule. „Hör auf dein Herz", meint Viktor ruhig zu mir. Ich richte mich daraufhin etwas auf. „Pff...Danke für den super genialen Vorschlag, Viktor. Was mein Herz will, weiß ich schon lange" Deutlich leiser füge ich noch hinzu: „Aber das alleine ist manchmal eben nicht genug..."

5_Jahre_danachWo Geschichten leben. Entdecke jetzt