Kapitel 42.

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Später am Abend saßen wir auf dem Boden des Wohnzimmers, den Rücken gegen die Ledercouch gelehnt und eine dampfende Box mit chinesischem Essen auf den Knien. Matthew hatte mir zuvor gezeigt, wie ich das Monstrum von einem Fernseher anschaltete und jetzt sahen wir uns irgendeinen schwarz weiß Streifen an, in dem es um Liebe und Intrigen ging. Ich steckte mir gerade eine Gabel mit Nudeln in den Mund, als sich Matthew ein wenig zu mir drehte und mich ansah. Ich zog die Augenbrauen zusammen und schluckte schnell. „Was ist?“, fragte ich ihn und er runzelte die Stirn. „Du hattest bei unserem ersten Treffen in meinem Büro etwas von einem Exfreund gesagt und..nunja.. ich bin ehrlich gesagt neugierig, um was für einen Typ Mann es sich bei ihm handelt.“

Ich zuckte die Schultern. Ich wollte ehrlich gesagt nicht über ihn reden, es machte mir bereits schlechte Laune, wenn ich an ihn dachte. „Er ist ein Arsch.“, murmelte ich nur und genehmigte mir eine weitere Gabel mit Nudeln. Matthew kicherte neben mir. „Das ist alles? Er ist ein Arsch? Keine weiteren Ausführungen?“ Wieder zuckte ich die Schultern. „Wir waren jung, wir wollten heiraten, er ging fremd. Er ist ein Arsch.“ Matthew hatte die Augen weit aufgerissen, als ich ihn wieder ansah. „Ihr wolltet heiraten?“ Er klang durch und durch entsetzt. „Mhm. Wie gesagt, wir waren jung. Ich war bis über beide Ohren in ihn verliebt und viel zu naiv.“ Ich hörte, wie meine Stimme immer kälter wurde. Ich sprach tatsächlich furchtbar ungern über ihn.

„Du meintest, er ging fremd?“ Ich nickte. „Es war seine Praktikantin. Sie war 19, sie war blond und sie hat ihm schöne Augen gemacht.“ Der Gedanke daran versetzte mir einen Stich. „Er ist ein Arsch.“, sagte Matthew inbrünstig und ich grinste. „Sag ich doch.“, pflichtete ich ihm bei und stellte mein Essen weg. Der Appetit war mir vergangen. „Ich war so verliebt in ihn, ich wollte sogar Kinder von ihm.“ Das Lachen blieb mir im Hals stecken. Matthew schaute mich fragend an. „Das hört sich so an, als hättest du eigentlich keine Kinder gewollt?“ Ich seufzte.

„Nein, ich möchte keine Kinder. Ich weiß, ich bin noch jung und alle sagen mir, dass die Zeit noch kommen wird, aber was das angeht war ich mir eigentlich schon immer sicher. Ich wollte mich immer auf meine Karriere konzentrieren, wollte die Welt bereisen…Ich bin einfach kein Mutter-Typ. Bei mir kommen keine Gefühle hoch, wenn ich ein Baby im Arm halte. Ich bin froh, wenn ich es wieder abgeben kann. Ehrlich gesagt bin ich ziemlich egoistisch. Wenn ich etwas machen oder haben möchte, dann will ich keine Rücksicht nehmen müssen. Ich möchte zum Beispiel einfach in den Flieger steigen können, ohne mir Gedanken darüber machen zu müssen, wo ich meinen Sprössling lasse. Und da ich keinen Kontakt mehr zu meiner Familie habe, gibt es keine Großeltern, zu denen ich ihn bringen könnte. Also nein, ich will keine Kinder.“

Matthew hörte sich meinen Redefluss genau an und betrachtete mich danach lange. „Das verstehe ich gut. Aber warum wolltest du dann von ihm Kinder?“ Er schien tatsächlich sehr verwirrt. Was ich ihm nicht verübeln konnte. Lange Zeit hatte ich mich selbst nicht verstanden. „Nunja, ich hatte immer das Gefühl, dass wenn ich sein Fleisch und Blut austrage, dann kann ich ihn bei mir halten. Dann geht er mir nicht fremd, dann sind wir eine kleine, glückliche Familie wie aus dem Bilderbuch. Ich bin froh, dass er mich nicht geschwängert hat. Ich hätte mir ewig Vorwürfe gemacht, weil ich dem Kind nicht das hätte sein können, was es braucht: eine gute, ihn über alles liebende Mutter.“

Noch immer schaute er mich an und seine blauen Augen schienen in mir etwas zu suchen. Ich war mir nicht sicher, ob er es gefunden hatte, als er schließlich sprach. „Weißt du, Lauren? Wenn du so redest habe ich immer das Gefühl, dass du eigentlich viel älter bist.“ Ich zuckte die Schultern. „Ich denke, ich musste einfach schon früh erwachsen werden. Ich hatte keine leichte Kindheit und keine Freunde, die das Gleiche durchmachten. Ich musste das Ganze mit mir selbst regeln. Ich habe mich früher sehr nach Liebe gesehnt, die ich nicht bekommen habe. Stattdessen habe ich die Hand zu spüren bekommen. Als ich dann Logan kennenlernte, war er für mich das Licht im dunkeln Tunnel. Er hat mich aus diesem schwarzen Loch gezogen, das alle anderen Leben nannten und hat mir gezeigt, dass auch ich begehrenswert sein konnte. Ich habe diese Gefühle genossen, habe mich daran geklammert wie ein Ertrinkender an ein Stück Holz und als er mir dann das Herz brach, bin ich zusammengebrochen. Das hat mich stärker gemacht und vielleicht auch reifen lassen, ich weiß es nicht.“

Jetzt war er es der nickte. Er stellte sein Essen weg und nahm mich in die Arme. „Ich danke dir, dass du so offen mit mir darüber redest, dass du dich mir anvertraust.“ Ich ließ meinen Kopf an seine Schulter sinken und atmete seinen unverkennbaren Geruch ein. Bei ihm fühlte ich mich geborgen. Ich empfand die Schmerzen, die an die Erinnerungen gekoppelt waren, nicht mehr als so schlimm, wenn er in der Nähe war. „Ich wünschte, ich könnte das Gleiche von dir behaupten.“, flüsterte ich und spürte, wie er sich plötzlich unter mir anspannte.

„Lauren, das Thema hatten wir doch schon..“, protestierte er, doch ich schüttelte den Kopf. „Nein, Matthew. Das Thema hatten wir noch nicht. Immer, wenn ich dich darauf anspreche, blockst du ab. Ich verstehe das nicht. Was kann so schlimm gewesen sein, dass du nicht darüber reden willst?“ Sofort löste er sich aus der Umarmung und stand auf. Er griff nach den Boxen und verschwand aus dem Raum. Langsam wurde ich wütend darüber, dass er seiner Vergangenheit immer wieder aus dem Weg ging. Somit stand ich auf und folgte ihm in die Küche.

„Matthew, das ist doch nicht der richtige Weg, immer zu verschwinden, wenn es für dich unangenehm wird. Glaubst du, mir fiel es leicht, als ich mit dir über meine Kindheit und die Sache mit Logan gesprochen habe? Ganz sicher nicht. Und ich habe ich es getan, weil ich dir vertraue.“ Als ich ihn erreichte, knurrte er. „Das ist etwas ganz anderes!“ Ich fluchte leise. Wie konnte er nur so stur sein. „Scheiße noch mal, Matthew! Es ist nichts anderes“ Es geht um deine Vergangenheit wie es um meine ging. Warum bist du so verschlossen?“, versuchte ich es noch mal und plötzlich sah ich ihm beim Explodieren zu.

Laut fluchend fegte er die Boxen mit dem chinesischen Essen von der Küchentheke und wirbelte herum. „Du verstehst gar nichts!“, brüllte er und ich machte einen Schritt zurück. Sein Ausbruch machte mir Angst. Er war wieder dieser unberechenbare Mann aus dem Parkhaus. „Matthew…“, flüsterte ich und drückte ich mit dem Rücken gegen den Kühlschrank. Sein Gesicht war dunkelrot, seine Hände an den Seiten wieder zu Fäusten geballt und er bebte. Ich sah, wie angespannt seine Muskeln waren. Er stand vollkommen unter Strom.

„Nichts Matthew! Kannst du nicht einfach mal deine verdammte Klappe halten? Musst du immer wieder bohren? Du nervst mich, Lauren! Du und deine ewige Fragerei. Wenn ich dir etwas zu sagen hätte, dann würde ich es schon tun! Aber es gibt nichts zu sagen! Wann verstehst du das endlich?“, schrie er mich an und kam auf mich zu. Wütend ragte er vor mir auf und schlug seine Fäuste rechts und links neben meinem Gesicht gegen die Kühlschranktür. Ich zuckte zusammen und duckte mich leicht. Sein Gesicht war nur wenige Zentimeter von mir entfernt und das Beben, das von ihm Besitz ergriffen hatte, wurde immer stärker.

„Ich schwöre dir Lauren, wenn du nicht endlich aufhörst zu fragen, dann werfe ich dich aus der Wohnung und dann war’s das. Ich hatte meinen Spaß mit dir, es war schön, aber ich habe auf so eine bohrende Klette wie dich keine Lust.“, zischte er und seine Worten waren wie ein Schlag in den Magen. Ich wimmerte. „Du hast gesagt, du liebst mich.“, flüsterte ich und er grinste fies. „Ich sage viel, wenn der Tag lang ist und ich mit einer Frau ins Bett will.“ Hätte er mich geschlagen, es hätte weniger geschmerzt. Er kam noch ein Stück näher, wie auch immer das möglich war. Sein Atem traf stoßweise auf mein Gesicht und ich zitterte vor Angst. Dieser Mann war vollkommen verrückt. Eben hatten wir noch gemütlich zu Abend gegessen und jetzt drückte er mich wutentbrannt gegen den Kühlschrank, hatte sich kaum noch unter Kontrolle.

„Nerv mich einfach nicht mit deinen Fragen!“, zischte er noch einmal, dann ließ er von mir ab und stürmte aus der Küche. Wenige Augenblicke hörte ich die Wohnungstür zuschlagen. Er war weg. Weinend rutschte ich am Kühlschrank hinab und umklammerte meine Knie. Was sollte ich nur tun?

Lustful - Erwachte BegierdeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt