Ich wusste nicht, wie lange ich auf dem Boden gesessen und meinen Tränen freien Lauf gelassen hatte. Doch irgendwann waren die Tränen versiegt und ich schluchzte nur noch. Matthew hatte mich mit seinen Worten unglaublich verletzt. Es fühlte sich an, als hätte er mir das Herz aus der Brust gerissen und darauf herumgetrampelt. Ich wusste nicht, was ich jetzt machen sollte, nur, dass ich unbedingt hier weg musste. Mühsam rappelte ich mich auf und trottete ins Schlafzimmer, wo ich bereits vor dem ersten Problem stand. Ich hatte nichts anzuziehen. Das Kleid, das ich beim Kennenlernen seiner Familie getragen hatte, war vollkommen verdreckt und zerrissen, der Absatz des einen Schuhs abgebrochen.
Ich wollte mir keine von seinen Klamotten nehme, doch mir blieb keine andere Wahl. Ich würde sie ihm zurückschicken, sobald ich Zuhause war. Ich durchsuchte seinen Schrank nach einer Jogginghose und einem T-Shirt und schlüpfte in eine Sweatjacke. Der Geruch, der an der Kleidung haftete trieb mir erneut die Tränen in die Augen, doch ich atmete tief durch und versuchte mich zu beruhigen. Ich wollte nicht noch mehr weinen, das hatte ich bereits zur Genüge getan. Jetzt musste ich erst einmal hier raus. Ich griff nach meiner Handtasche und dem Smartphone, das er mir geschenkt hatte und trat den Rückzug an.
Nur auf Socken verließ ich die Wohnung, in der ich so viele wunderbare Stunden verbracht, so viel Liebe erfahren hatte. Und so viel Hass. Diese kleine penetrante Stimme in mir schien ihren Spaß daran zu haben, mich darauf hinzuweisen, warum ich das alles verließ. Als ich in den Fahrstuhl stieg fühlte ich mich hundsmiserabel. Mein Gesicht war verweint, die Augen geschwollen und mein Kopf schmerzte. Wie hatte sich das Blatt nur so schnell wenden können? Ich liebe dich. Ich habe dich den ganzen Tag unglaublich vermisst. Deine weiche Haut, das Funkeln in deinen Augen, wenn du dich über mich lustig machst, dein Geruch, der mich süchtig macht. Ich liebe dich. Ich liebe dich. Ich liebe dich. Immer wieder hörte ich seine Worte in meinem Kopf, versuchte mir vor Augen zu führen, was ihn verraten hatte, dass er mich belog.
Doch da war nichts. Nichts, was mir einen Hinweis darauf hätte geben können, dass er nicht meinte, was er sagte. Er hatte seine schauspielerischen Fähigkeiten perfektioniert. Oder ich war einfach zu dumm gewesen, um ihn zu durchschauen. Ja, daran musste es liegen. Ich war schon wieder so naiv gewesen. Du kommst eben nicht aus deiner Haut. Einmal Dummchen, immer Dummchen. Ich seufzte, wischte eine weitere lästige Träne weg, die mir bereits wieder über die Wange floss. Die Türen des Fahrstuhls öffneten sich und ich betrat die kleine Empfangshalle des Gebäudes. Zum Glück war niemand da, der mich in diesem Aufzug hätte sehen können. Langsam ging ich zur Tür. Du nervst mich, Lauren! Ich habe auf so eine bohrende Klette wie dich keine Lust. Ich sage viel wenn der Tag lang ist und ich mit einer Frau ins Bett will.
Das hatte er zu mir gesagt, bevor er die Wohnung verlassen hatte. Bevor er mich mit gebrochenem Herzen zurückgelassen hatte. Die Kälte des Fußgängerwegs schnitt mir durch die Socken in die Füße. Es war bereits stockdunkel, nur die flimmernden Gehwegleuchten spendeten ein wenig Licht. Langsam machte ich mich auf den Weg. Ich wollte mir noch kein Taxi rufen, denn die eisige Kälte, die mir durch die Kleidung fuhr, ließ mich einen kühlen Kopf bewahren. Die Menschen, die mir entgegen kamen schauten mich mitleidig an. Vermutlich sah ich aus wie jemand, der auf der Straße lebte. Doch es war mir egal. Alles war mir egal. Ich trottete weiter, bog links ab, dann rechts, bis ich keine Ahnung mehr hatte, wo ich war.
An jeder Straßenecke waren Pubs und Clubs und die laute Musik schallte durch die überfüllten Straßen. Ich wurde angerempelt und mit ekelhaften Sprüchen angemacht, doch ich achtete nicht darauf. Ich wollte nur weg. Als ich um die nächste Ecke bog, hörte ich seine Stimme. „Lauren!“ Entsetzt sah ich mich um. Matthew kam mit langen Schritten auf mich zu. Er war ganz in Schwarz gekleidet. „Lass mich in Ruhe!“, rief ich und beschleunigte meine Schritte. „Bleib stehen, es tut mir leid! Bitte, ich muss mit dir reden!“ Seine Stimme klang flehend. „Fahr zur Hölle, Caulfield!“ Mittlerweile rannte ich bereits die Straße entlang, schaute jedoch immer wieder über die Schulter, nur um zu sehen, dass er näher kam.
„Lauren, bitte!“ Noch ein flehender Ruf. Ich zeigte ihm den Mittelfinger. „Vergiss es, lass mich in Ruhe! Ich will dich nie wieder sehen!“ Meine Füße schmerzten, doch durch das Adrenalin, das durch meine Adern pumpte, war auch das mir egal. Der eisige Wind biss mir ins Gesicht und in die Hände und das Blut rauschte mir in die Ohren. Wenn er mich kriegen sollte, dass würde ich wieder schwach werden. Und ich wollte nicht schwach werden, nicht nach dem, was er zu mir gesagt hatte. Du nervst mich, Lauren. Ich liebe dich. Ich hatte meinen Spaß mit dir, es war schön, aber ich habe auf so eine bohrende Klette wie dich keine Lust. Ewig Dein, In Liebe M.
Diese gegensätzlichen Worte spukten durch meinen Kopf. Ich verlangsamte meine Schritte, nur um kurze Zeit später wieder zu Rennen, als wäre der Teufel hinter mir her. Und das stimmte in gewisser Weise sogar. Immer wieder brüllte er meinen Namen, seine Schritte kamen immer näher. Panik brach in mir aus, als ich um die nächste Ecke bog. „Lauren, bitte bleib stehen! Ich liebe dich!“ Ein hysterisches Lachen kam aus meiner Kehle, als ich mich erneut umsah. „Du kannst verdammt gut lügen, du…“, begann ich und sah, wie er plötzlich entsetzt die Hand hob. „Nein, Lauren. Pass au..“
Lautes Quietschen. Ein ohrenbetäubender Knall. Dann Stille. Ich lag auf dem Rücken, war verwirrt. Warum lag ich auf dem Rücken? Es klingelte in meinen Ohren. Ich blinzelte. Alles war verschwommen. Was war passiert? Ich versuchte meinen Kopf zu bewegen, doch ich konnte nicht. Irgendetwas hielt mich fest. Oder hielt mich gar nichts fest? Ich wusste es nicht. Konnte kaum einen klaren Gedanken fassen. Plötzlich tauchte vor meinen Augen ein Gesicht auf. Ich kannte es. Aber ich wusste nicht, woher. Das Gesicht machte den Mund auf. Lange. Es redete. Es schrie. Doch ich hörte nichts. Da war nur dieses Klingeln. Das Gesicht begann zu verschwimmen. Ich blinzelte wieder. Es dauerte lange, bis ich die Augen wieder öffnete. Das Gesicht war immer noch da. Und noch zwei andere. Diese Gesichter kannte ich nicht. Auch sie sagten etwas, wieder konnte ich nichts verstehen. Es war, als wäre ich in einer Blase gefangen.
Einer wedelte mit seiner Hand vor meinem Gesicht herum. Ich wollte ihm sagen, dass er das lassen sollte, dass mir davon schwindelig wurde, doch ich konnte nicht. Ich wusste nicht, wo mein Mund war. Ich konnte nur blinzeln. Die Hand senkte sich wieder. Und dann war da Schmerz. Alles überschattender Schmerz. Mein Körper schien in Flammen zu stehen. Ich verbannte bei lebendigem Leib. Das Feuer fraß sich bis in meinen Kopf und ich wollte schreien. Wollte alles herausschreien. Doch es ging nicht. Stumm lag ich da. Blinzelte nur. Das Blinzeln dauerte lange. Doch dann waren meine Augen wieder auf. Mein Blick wanderte gen Himmel. Da waren Sterne. Viele kleine helle Punkte, verteilt auf tiefschwarzem Hintergrund. Ich hatte in der Schule immer Sterne gemalt. Ich mochte Sterne. Sterne bedeuteten, dass da mehr war. Viel mehr. Nicht nur wir. Nicht nur die langweilige, immer gleiche Erde. Nicht die immer gleichen, bösen Menschen. Du nervst mich, Lauren.
Diese Stimme. Ich kannte sie. Sie war gemein zu mir. Du Mieses kleines Miststück, nichts gönnst du deiner Mutter, nichts! Du hast es nicht verdient zu leben. Du bist egoistisch! Noch eine Stimme. Weiblich. In meinem Kopf. Auch sie kannte ich. Schon lange. Viel zu lange. Die Sterne verschwammen. Langsam aber sicher wurden sie zu Lichtstreifen. Mein Blickfeld zog sich zusammen. Dann war da plötzlich wieder dieses bekannte Gesicht vor meinen Augen. Ich kannte es. Ein abgebrochener Zahn. Blaue Augen. Es brüllte. Da war eine Falte auf seiner Stirn. Es brüllte noch immer. Noch immer. Noch immer. Es wurde immer dunkler um mich, bis ich nur noch Augen sehen konnte. Helle blaue Augen. Augen, in denen Eis funkelte. Dann verschwanden auch die Augen. Da war nur noch Schwärze. Ich liebe dich. Und dann war da nichts mehr.
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Lustful - Erwachte Begierde
Romance"Ich werde Sie ihn vergessen lassen, Miss Carter. Denn wissen Sie was? Ich will immer die volle Aufmerksamkeit, ich teile nicht gerne. Lassen Sie sich auf dieses Spiel ein und ich verspreche Ihnen, Sie werden mehr davon haben, als er Ihnen jemals hä...